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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 8.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Von diesem Tage an aber hatte sich das Verhältniß zwischen dem jungen Manne und den Töchtern des Hauses merkbar verändert. Nach einer schweren Nacht war Gruber zu dem Schlusse gelangt, daß Hellmuth, der ihm jetzt sein ganzes Geschäft anvertraut, doch kaum einen recht stichhaltigen Grund haben könne, ihm nicht auch eine seiner Töchter für das Leben anzuvertrauen – wußte er doch aus einer frühern Aeußerung von Meier, der als untrüglicher Geschäfts-Historiker galt, daß der Principal selbst klein genug angefangen hatte, bis er durch einen unerwarteten, wunderlichen Glücksfall Mittel zur Ausdehnung des Geschäfts erhalten, und wenn Hellmuth nur wollte, brauchte ja nicht einmal eine geschäftliche Aenderung durch eine Verbindung zwischen Gruber und Eugenie einzutreten.

Da kam ihm am andern Morgen ein Gedanke. Gegen Anna, die mit dem ganzen unveränderten Wesen ihrer Kinderzeit ihm gegenüberstand, die erst den jetzigen Brand in seine Seele geworfen, durfte er sich aussprechen, das fühlte er, und ohne weitere Bedenken war er rasch nach der Hausflur gegangen, um dem heimkehrenden Mädchen, ehe es noch die Glocke zog, die Thür nach dem Eingange zu der Familienwohnung zu öffnen. Er hatte dabei nicht wahrgenommen, daß Meier ihm nachgeschlichen, und erst, als er das mit der Eintretenden hastig begonnene leise Gespräch beendet, als diese mit einem Lächeln voller Theilnahme ihm die kleine behandschuhte Hand entgegengestreckt und halblaut gesagt hatte: „Bringen Sie nur erst die Hauptsache in Ordnung; das Uebrige, wenn es auch noch etwas Kampf kosten sollte, wird sich dann schon machen – ich selbst will gern dabei mein Mögliches thun!“ erst da war sein Auge auf einen in der Comptoirthüre verschwindenden Flügel von Meier’s mausegrauem Arbeitsrock gefallen, und damit hatte er auch gewußt, was geschehen. Doch mit der Beruhigung, daß der Schleicher nicht mehr gehört, als Anna’s letzte Aeußerung, hatte sich Gruber mit erleichtertem Herzen an seine verlassene Arbeit gemacht.

Am darauffolgenden Sonntage aber, als er in Eugenie’s Augen geblickt, wußte er auch, daß Anna bereits das Nöthige zu der Schwester gesprochen. Eine noch größere Hoffnung jedoch war ihm geworden, als er sich nicht nur mehrfach zu kleineren zwanglosen Gesellschaften herangezogen gesehen, sondern diese ihm auch Einladungen in befreundete Familien des Hauses gebracht hatten. So war er allmählich seiner bisherigen Scheu und Befangenheit ledig geworden und hatte es im Gefühle eines leisen, inneren Glückes oft sogar vermocht, einen kurzen Mittelpunkt der gesammten Unterhaltung abzugeben, sodaß Hellmuth einmal lächelnd geäußert: „Unser Gruber thaut auf, wie ich es seinem geschäftlichen Wesen bisher kaum zugetraut!“ Trotzdem aber war sein Verhältniß zu Eugenie nur dem eines schweigenden Verständnisses ähnlich geblieben. Noch nie hatte er eine wunderliche Feigheit überwinden können, wie wenig er diese auch in andern Beziehungen zu seinen Fehlern zählte, sobald er an ein offenes Aussprechen seiner Empfindungen dem Mädchen gegenüber gedacht – es war ihm dabei gewesen, als müsse sein erstes Wort das ganze stille Glück, in welchem er jetzt lebte, zerstören.

Und so war es geblieben, bis Meier eines Tages eine halbdunkle Bemerkung über einen angelangten jungen Fremden gemacht, der wohl bald sich im Hause zeigen werde, dabei indessen mit seltsamen Seitenblicken auf den jungen Prokuristen einzelne halblaute Redensarten, wie: „Frühe Herrlichkeit vergeht am schnellsten!“ und „Hintenherum geht oft in die Irre!“ hatte fallen lassen. Gruber hatte wohl gefühlt, daß die ganze Aeußerung in Beziehung auf ihn stehe, ohne sich jedoch diese Beziehung erklären zu können, und erst als am nächsten Tage Meier’s plötzliche Entlassung, die augenscheinlich durch diesen selbst herbeigeführt war, erfolgte, als Willmann sich über den angekommenen Fremden, den der Principal erst nicht gekannt und dann plötzlich zum Mittagsessen eingeladen hatte, gegen ihn aussprach, waren die wunderlichsten Befürchtungen in ihm aufgestiegen.

Alle diese Bilder zogen abgerissen und zerstreut auf dem jetzt unternommenen Wege vor seinem Geiste vorüber, und als ihm endlich die Strahlen der beiden Laternen am Eingange des gesuchten Hotels blendend in die Augen fielen, hob er überrascht den Kopf, verwundert über die vermeintliche Kürze der Zeit, welche er zu seinem Gange gebraucht hatte.

Er war nicht unbekannt in dem allgemeinen Gastzimmer des Hauses; trotzdem zögerte er einen Augenblick, ehe er es betrat – es war ihm fast, als stehe er vor einer der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens; dann aber, einen kräftigen Entschluß fassend, öffnete er rasch die Thür.

Er hatte kaum sich an einem Seitentische des weiten, hell erleuchteten Raums niedergelassen und seinen Schoppen Wein bestellt, als auch sein durch die Gruppen der Gäste schweifendes Auge auf den entlassenen Buchhalter Meier fiel, im nächsten Momente aber von diesem hinweggleitend sich fest auf die Gestalt von dessen Nachbar heftete. Es war ein eleganter junger Mann, mit lockigem, glänzend schwarzem Haare, das gebräunte, edel geschnittene Gesicht durch einen leichten dunkeln Schnurrbart gehoben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_113.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2021)