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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Brenn- und Glanzpunkt des Invalidenhauses dagegen ist seine Kapelle, geweiht dem heiligen Joseph, den die barmherzigen Schwestern absonderlich verehren, und zu welchem sie ein sogenanntes „ewiges Gebet“ unterhalten. Diese Kapelle ist zur Zeit eine der schönsten und prächtigsten Kirchen, die man weit und breit finden kann. Wieviel Tausende müssen für sie verschwendet worden sein! Allenthalben ist sie auf das Eleganteste ornamentirt, vergoldet, mit Teppichen, feinen Linnen und Spitzen, mit goldenen, silbernen und seidenen Paramenten, mit Fahnen und Guirlanden, mit Heiligenbildern und prächtigen Altären ausstaffirt. Und doch hat der Hospizienfonds nicht die geringste Pflicht, jene Kapelle zu unterhalten und einen Geistlichen dafür besonders zu besolden, und er giebt dem Wortlaut der Anweise-Register nach auch jährlich nur 75 fl. für den Bedarf der Kapelle her! Betrachtet man indeß den überaus zahlreichen Gottesdienst, der täglich mit Aufwendung einer Menge von Wachskerzen stattfindet, so lehrt ein Blick, daß jene 75 fl. nicht hinreichen, nur das Wachs zu bezahlen, das auf den Altären verschwendet wird. Schwester Adolphe weiß die Unterhaltungskosten dieser Kirche, die jährlich eine enorme Summe erfordern, anderswoher zu beziehen.

Doch nicht allein das blos Aeußerliche der Anstalt zeigt den vollständigen Klosteranstrich, auch in der inneren Organisation des Hauses herrscht ein klösterliches Leben und Treiben. In der alten Hausordnung stand kein Wörtlein von einer Verpflichtung der Insassen zur Theilnahme an gottesdienstlichen Verrichtungen. Die „Schwestern“ aber haben diese Hausordnung entfernt und nach und nach mit der größten Strenge eine rein klösterliche Hausordnung eingeführt. Katholische Gebete wurden öffentlich, wenigstens sechs Mal des Tages, in allen Sälen verrichtet und Protestanten und andere Confessionsangehörige mußten daran Theil nehmen. Zwei Mal mindestens im Tage, Morgens und Abends, mußten die Invaliden in der Kapelle dem Gottesdienste beiwohnen. Wer ihn versäumte, wurde bestraft; alten Männern ward von blutjungen Fanatikerinnen, die sich „barmherzig“ nennen, Hausarrest u. s. w. dictirt, wenn sie beim „Rosenkranz“, bei der „Messe“ fehlten oder zu spät kamen. Schwester Adolphe ließ einen armen, krüppelhaften Invaliden, Namens Damian Müller, sogar in den Schweinestall einsperren, weil er nicht in die Kirche gehen wollte! „In die Kirche wurden wir,“ sagten die Invaliden eidlich, „wie Postpferde getrieben.“ Zum Beichten, zum Empfang der Sacramente wurden jene unglücklichen Menschen moralisch genöthigt. Und das Alles geschah aus „Barmherzigkeit“, d. h. in der den „Barmherzigen“ entweder bekannten oder unbekannten Absicht, das Invalidenhaus der Bürgerschaft gegenüber als eine rein katholisch-kirchliche Anstalt erscheinen zu lassen.

Daß es aber den „Barmherzigen“ überhaupt wenig um „Barmherzigkeit“ zu thun war, zeigt die ganze Behandlung, die sie den Invaliden angedeihen ließen, welche nichts weniger als Barmherzigkeit verräth. Den Statuten nach, wird nur Der in die Anstalt aufgenommen, welcher sich, sei es aus anhaltender Kränklichkeit, aus Altersschwäche oder aus Krüppelhaftigkeit, nicht mehr durch die Arbeit seiner Hände ernähren kann; er sucht also eine Zuflucht in seinem körperlichen Elend und soll, nach der Absicht, welche der Gründung jener Anstalt unterlag, in dieser ein ruhiges Asyl für seine alten Tage finden. Aber wie sieht es mit diesen Veranstaltungen aus? Die „Barmherzigen“ müssen doch sparen, sparen, damit die Unterhaltung des Gottesdienstes und der Invaliden nicht so große Summen verschlingt und der Fonds von dem Einfluß des Gemeinderathes „emancipirt“ werden kann. Und so sieht man im Invalidenhaus Alles arbeiten, was noch die Hand regen kann. Morgens sechs Uhr müssen, Sommer und Winter, die alten Leute aufstehen, selbst ihre Betten machen und Ordnung und Reinlichkeit in ihren Sälen selbst aufrecht halten. Zum Kehren, Reinigen, zum Arbeiten für die Invaliden überhaupt, haben die Nonnen keine Zeit und keine Kraft, indem sie oftmals, sogar in der Nacht, und mit Aufopferung des nothwendigen Schlafes, mit ihren Lieblingsspielereien für die Kirche, d. h. mit Nähen, Stricken, Häkeln, Kränzewinden, Guirlandenbinden, Rosenkranzandachten, St. Josephsgebeten, Besuchungen des heiligen Altarsacramentes, mit Vorbereiten auf Beichte und Communion, mit Ausschmückung der Kirche und der Heiligenbilder, mit Blumenmachen und Blumenzucht (für die Kapelle), mit Theilnahme an dem Gottesdienste etc. etc. endlos beschäftigt sind.

Allein auch die Invaliden, männlichen und weiblichen Geschlechts, sieht man in allen Abtheilungen der Anstalt für die Kapelle in Anspruch genommen, besonders an den Tagen, welche einzelnen großen Nonnenfeierlichkeiten vorausgehen. Wer aber nur irgendwie noch geeignet ist, etwas für den Bedarf der Anstalt selbst zu arbeiten, wird, um zu „sparen“, von den Schwestern ausgedeutet. Alte Weibchen, die kaum noch gehen können, die am ganzen Körper zittern, müssen auf der Nähstube spinnen oder nähen, stricken und flicken, Garn haspeln und Wolle zupfen. Das Geld für die Waschweiber sparen die Nonnen, indem sie – selbst etwa sich an die Bütten stellen? Nein, sondern dadurch, daß sie die Invaliden dazu anhalten, denen sie noch überdies, damit dieselben ihrem Widerwillen keinen Ausdruck geben möchten, während der sauren Arbeit den Rosenkranz vorbeten. Ja sogar der elende Tisch der Invaliden wird, soweit dessen Zubereitung Anstrengung erfordert, von den Invaliden selbst bereitet. Sie müssen die Kartoffeln schälen, die Gemüse putzen, Wasser und Brennmaterialien herbeischaffen, das Holz sägen und kleinmachen. Auch hat die Anstalt ihre eignen Werkstätten, z. B. Schreinerei, Schuhmacherei, Schneiderei, Küferei, Schlosserei etc., worin für die Anstalt und für die Kirche die Hände der Invaliden unablässig schaffen müssen.

Gewiß wird kein vernünftiger Mensch etwas dagegen einwenden, daß man den Hospitaliten die ihnen sonst unerträglich werdende Langeweile durch ihren schwachen Kräften angemessene Beschäftigungen zu kürzen sucht. Das geschieht ja in allen ähnlichen Anstalten, deren Unterhaltungskosten dadurch gleichzeitig vermindert werden. Wenn aber, wie es im Mainzer Invalidenhause der Fall, die den altersschwachen Männern und Weibern angemuthete Arbeit zur härtesten Grausamkeit und wahren Tortur wird, – alsdann verdient das System öffentliche Brandmarkung.

Kein Wunder, wenn mit einer solchen Quälerei die „barmherzigen“ Schwestern, trotz der Verschwendung in der Kapelle, noch verschiedene tausend Gulden gegen früher, wo keine Nonnen in der Anstalt waren, ersparen; kein Wunder, besonders im Hinblick auf die Aermlichkeit und Dürftigkeit des Invalidentisches. Statt acht Loth Fleisch erhielten die armen Alten nur vier oder fünf Loth, wie übereinstimmend viele Zeugen aussagten. Suppe und Gemüse waren so schlecht, daß die Hospitaliten dieselben nicht genießen konnten. Beklagte sich Jemand darüber, so hieß es: „Wenn das Euch nicht schmeckt, so lasset es nur stehen!“ Was Menschen genießen sollten, aber nicht konnten, damit wurde ein ansehnliches Contingent von Schweinen und Federvieh gefüttert, und hierdurch also nicht nur wiederum „gespart“, sondern ein reicher Erwerbsquell für die „Barmherzigen“ eröffnet, welche einen großartigen Federviehhandel auf eigene Rechnung etablirten. Die barmherzigen Schwestern selbst aber führten, ihre Beschäftigungen für die Kapelle ausgenommen, ein überaus behagliches Leben, einen guten Tisch, und wenn ihnen Jemand in ihrer beschaulichen Ruhe lästig entgegentrat, so hatten sie ja die „Blockkammern“, die Irrenabtheilungen, die Absonderungslocale, wo gegen alles Recht und Gesetz einzelne Invaliden, unter dem Vorwand, daß sie dem Trunk ergeben seien, wie in einer staatlichen Strafanstalt hinter Schloß und Riegel gehalten wurden. Kurz, die Insassen der Anstalt wurden ähnlich wie in einer Zwangsstrafanstalt behandelt; denn unter der Barmherzigkeit der Schwester Adolphe ward ihnen sogar der sonst übliche freie Ausgang nach dem Feierabend verwehrt; die frommen „Barmherzigen“ benahmen sich nicht anders, als wie hochmütige Gebieterinnen, die nicht einmal die Grüße der Armen erwiderten, die nicht Zwei oder Drei ungestört zusammen sprechen ließen, den alten Veteranen die unschuldigsten Spiele untersagten, die in ihrer grausamen Barmherzigkeit sogar so weit gingen, daß sie altersschwachen Eheleuten nicht einmal zusammenzusitzen erlaubten.

Der Warburg’sche Proceß hat diese und ähnliche moralische Schändlichkeiten an’s Tageslicht gebracht, und Warburg hat, wie die meisten Invaliden aussagten, wenigstens bewirkt, daß es den armen Leuten jetzt etwas erträglicher geht. Das ist für Warburg, wie er bei seiner Vertheidigung in rührender Weise aussprach, ein großer Trost und eine innere Genugthuung dafür, daß er um der Wahrheit willen im Kerker schmachten muß.

Das also ist die Barmherzigkeit der barmherzigen Schwestern in Mainz! Oder besser gesagt: so hat man zur Schande der Menschheit das heilige Wort „Barmherzigkeit“ als eine Maske gebraucht, hinter welcher man die eigennützigsten und selbstsüchtigsten Zwecke zu verhüllen suchte. Wahre Barmherzigkeit ist ein herrliches

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_111.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)