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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

noch heute, durch Absetzung des Professors die gute, alte Ordnung wieder herstellen zu können. Es half aber nichts. Im Gegentheil ward Galilei als vom Senate Venedigs berufener Professor der Mathematik in Padua (1592) weltberühmt. Nicht blos die wißbegierige Jugend Italiens strömte in das alte Padua, auch berühmte Cardinäle und Prinzen fernen Auslandes (wie z. B. Gustav Adolph) studirten hier, um die lebendigen, scharfen, graciösen und witzigen Vortrage Galilei’s im besten Italienisch zu hören. Daß er das alte Latein aufgab und im klangvollsten lebendigen Toscanisch sprach, war eine akademische Revolution. Sein Haus in der düstern, dicht von Studenten bevölkerten Universitätsstadt, lag unscheinbar neben der berühmten Benediktiner-Abtei Santa Giustina, aber das fortwährende Aus- und Einströmen von Studenten, berühmten Fremden und Damen und die heitere Geselligkeit, die zuweilen aus der geöffneten Thür vom Garten her sichtbar ward, verriethen die Wohnstätte des berühmtesten und glücklichsten Mannes. Mit einer schönen Griechin verheirathet und bald von herrlichen Kindern umspielt, in der Blüthe seines Glücks, seiner Gesundheit, seines Wissens, seines mächtigen Wortes, seines Ruhmes noch von keinem Neide, keiner Verfolgung berührt, genoß er hier den Hochsommer seines Lebens, der freilich durch den frühen Tod seiner Gattin empfindlich getrübt ward. Er überließ hernach seine glänzende, gastliche Häuslichkeit einer zuverlässigen Haushälterin, die für eine gar zu große Zahl von Gästen aus der Abtei immer so viel Silberzeug, als sie brauchte, geliehen bekam.

Während dieser Zeit sprudelten die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen aus seinem Geiste in die staunende Welt. Wir können hier nur die wichtigsten nennen, ohne uns auf deren Erklärung oder Wichtigkeit einzulassen, weil dies allein den vorgeschriebenen Raum überfüllen würde.

Nachdem er den Proportionalcirkel erfunden, rechnete er die mathematische Formel für die Gesetze des Falles heraus, nämlich daß ein fallender Körper in dem Maße von 1, 3, 5, 7 u. s. w. mit zunehmender Geschwindigkeit von der Erde angezogen werde oder falle, also z. B. in der ersten Secunde 15, in der zweiten 45, in der dritten 75, in der vierten 105 Fuß u. s. w. Ob er auch das Thermometer erfunden oder nur vervollkommnet, wie viel ihm in den Forschungen über Magnetismus zukomme und in welchem Grade er als Erfinder des Mikroskops und des astronomischen Himmelsschlüssels oder Fernrohrs im wörtlichen Sinne anerkannt werden müsse, kann hier der Umständlichkeit wegen nicht erörtert werden. Sicher ist, daß er zuerst wirkliche astronomische Teleskope zusammenstellte und damit den Himmel aufschloß. Die Galilei’schen Fernröhre wurden erst in Italien, dann in der ganzen Welt ein aufregendes Ereigniß, zumal als die von ihm entdeckten Monde des Jupiter, die Mondgebirge und Sonnenflecke und die daraus gezogenen Schlüsse bekannt wurden. An den Jupiter-Trabanten sah er die Bestätigung des Copernikanischen Systems von der Umdrehung kleiner Himmelskörper um größere, in den von Ost nach West fortrückenden Sonnenflecken die Drehung der Sonne um ihre Achse und damit ein Bild der Rotation der Erde.

Der Ruhm Galilei’s war damit weit über die Erde verbreitet worden, sodaß es sich der Großherzog Cosmo II., der Medicäer, zur Ehrenaufgabe machte, ihn nach Pisa zurückzurufen und ihm bei sicherem, anständigem Gehalte vollständig freie Muße zur Verfolgung seiner Entdeckungen, so wie unbeschränkte Wahl der Wohnung in seinem Staate zu verbürgen.

Galilei folgte 1610 diesem Rufe und lebte zunächst meist auf dem Lustschlosse eines Freundes bei Florenz. Hier entdeckte er in den „Phasen“ (Lichtabwechslungen) des Mondes, der Venus und des Mars die überzeugendsten Beweise für das Copernikanische System, da diese Phasen die Umdrehung dieser Körper um die Sonne (des Mondes um die Erde und mit ihr um die Sonne) zu mathematischer Gewißheit erhoben.

Die Gelehrten, welche auf Aristoteles, die Priester und alle guten Katholiken, welche auf die Bibel schworen und jede davon abweichende Meinung als Ketzerei mit geistlichem und gelegentlich leiblichem Tode bestraften, waren außer sich über diese Revolutionen in den Himmeln und auf der Erde, durch welche ihrem Wissen und Glauben, der Macht und Untrüglichkeit der Kirche aller Boden unter den Füßen schwand. Freunde warnten, Feinde umlauerten den von Herrscherfreundschaft geschützten und in sich selbst siegesgewissen Erlöser der Wissenschaft. Immer lauter wurden die Vorwürfe, daß seine Lehren nicht mit der Bibel übereinstimmten und er ein Ketzer sei.

Galilei versuchte bis an das Ende seines Lebens seine katholische Unbescholtenheit zu retten, ohne der Wissenschaft Abbruch zu thun. In diesem Widerspruche, aus welchem er sich nicht herauswagte, hatte er stets viel zu kämpfen und zu leiden. Ein Versuch, die Umdrehung der Himmelskörper aus der Bibel (Josua, der die Sonne stillstehen hieß) zu beweisen, wurde just zum Vorwande, ihn ernstlich zu verdächtigen. In Rom wurde es bedrohlich für ihn. Zornig in seinem heißen Blute reiste er 1611 selbst mitten in die Hauptstadt des Papstes und des unerschütterlichen Glaubens und bewies durch Lehre und Fernröhre den Cardinälen und Großen des Reichs die Wahrheit und Wirklichkeit seiner Entdeckungen. Binnen drei Monaten ward er auch hier zum Triumphator und reiste, mit Ehren überhäuft, nach Florenz zurück. Nun lehrte, forschte und schrieb er noch rücksichtsloser, so daß es seinen Feinden gelang, ihn bei dem Papste Urban VIII., seinem ehemaligen Freunde Barberini, verdächtig zu machen und das Inquisition-Tribunal gegen ihn zu hetzen. Vor diesem sollte er sich 1615 verantworten. Er reiste unter dem Schutze seines Fürsten wieder nach Rom, wo er in dem großherzoglichen Palast Wohnung nahm und durch sein Ansehen, seine Beredsamkeit, seine Ueberzeugungskraft sofort alle Verdächtigungen niederschlug und geachteter, gerühmter dastand, als je zuvor. In diesem Gefühl seiner Macht glaubte er der Wissenschaft einen neuen Sieg verschaffen zu müssen, er verlangte vom Inquisitionsgericht die Anerkennung der Copernikanischen Lehre, d. h. seines eigenen Standpunktes. Der Papst übertrug die Entscheidung darüber einer Versammlung von Cardinälen, die sich zu dem Erkenntniß einigten, daß die Bewegung der Erde nicht mit der Bibel übereinstimme und Werke, welche diese Uebereinstimmung behaupten, verboten seien.

Galilei äußerte sich darüber schon ungehalten, sodaß ihn Cosmo zurückrief, um wegen dieser Freundschaft nicht in Feindschaft mit der Kirche zu gerathen. Galilei kehrte zurück mit der Weisung des Inquisitions-Tribunals, von Uebereinstimmung des Copernikanischen Systems mit der Bibel nicht weiter zu reden. Im Uebrigen sollten ihm astronomische Forschungen und Lehren frei stehen. Damit scheint er denn auch während der folgenden fünfzehn Jahre ausgekommen zu sein. Aber in Folge von entdeckten Kometen und Urtheilen und Streitschriften darüber wachte die alte Feindschaft der Jesuiten wieder auf, die auf Grund seines berühmtesten Werkes, „Dialog über die beiden größten Weltsysteme, das Copernikanische und das Ptolemäische“, zur wüthenden Verfolgung ausartete. Der Dialog ist zwischen drei Personen vertheilt, von denen die eine den Copernikus, die andere (Simplicio) das Ptolemäische System von der ruhenden Erde als dem Mittelpunkte der Welt, und die dritte den Kritiker zwischen beiden spielt, Um den Streit, nachdem Simplicio sich in ganzer Lächerlichkeit und Unhaltbarkeit ausgesprochen, zuletzt der Form nach unentschieden zu lassen. Namentlich hatte Galilei durch Vorrede und Schluß die in der That glänzendste Vertheidigung der neuen Wissenschaft und Forschung zu verdecken gesucht. Der Papst, der zu dem Werke die Censurerlaubniß befohlen hatte, hielt sich für hintergangen und gerieth in den größten Zorn, als ihn die Jesuiten zu überzeugen suchten, unter Simplicio sei er persönlich lächerlich gemacht und das Copernikanische System auf das Ketzerischste verherrlicht worden. Dennoch war der Papst im Gefühle ehemaliger Freundschaft großmüthig und suchte die Anklagen der Jesuiten durch Vermittelungen, statt durch das Inquisitions-Tribunal, zu beseitigen. Aber das in alle gebildete Sprachen übersetzte, in Italien durch Streitschriften und aufgeregte Parteien in allen Köpfen spukende Meisterwerk Galilei’s und dessen eigene hitzige Leidenschaft für die Wahrheit führten ihn doch endlich im Februar 1633 vor das Inquisitions-Tribunal. Hier wurde er durchweg mit der größten Auszeichnung behandelt und nie eigentlich gefangen gehalten. Man ließ ihn meist im toscanischen Gesandtschafts-Palaste wohnen.

Zum Widerrufe und zur Abschwörung seiner Lehre wurde er freilich gezwungen, aber nicht durch Tortur, wie in so vielen Büchern über ihn gefabelt wird. Auch die Strafen, wozu er verurteilt ward, Gefängniß und Ausübungen, erlitt er einige Tage blos zum Schein. Er durfte zwölf Tage nach der Verurtheilung im Palaste seines Freundes, des Erzbischofs von Siena, wohnen und ungehindert studiren. Hier und später auf seinem eigenen Landgute verlebte er in ungestörten Forschungen seine letzten Jahre

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