Seite:Die Gartenlaube (1864) 097.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 7.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Als Hellmuth in das hell erleuchtete, von zahlreichen Pulten besetzte Comptoir hinaustrat, in welchem die dort arbeitenden jungen Leute sich eben fertig machten, ihr Tagewerk zu beschließen, blieb er wie unwillkürlich stehen und überschaute den Raum, worin alle Fäden des ausgebreiteten Geschäfts zusammenliefen – sein Blick fiel auf das einzige verlassene Pult, und langsam strich er, als wolle er einen plötzlich entstehenden Zug von Sorge verbergen, mit der Hand über die Stirn; in der nächsten halben Minute aber schon hob er mit völlig klarem Gesichte den Kopf wieder und wandte sich dem Platze seines ersten Buchhalters zu. „Herr Gruber, es würde mich freuen, Sie morgen bei mir zu Tische zu sehen!“ sagte er, und mit einem hellaufschießenden Roth in seinen Wangen verbeugte sich der junge Mann. Der Principal nickte wohlwollend und trat dann nach der hohen erleuchteten Hausflur hinaus, in welcher die breite gebohnte Treppe nach den oberen Stockwerken führte. Langsam, wie in Gedanken versinkend, erstieg er jene, und erst als nach Aufschließen der Corridorthüre ihm das helle Lachen einer Mädchenstimme entgegenklang, schien er mit Macht das, was seine Seele beschäftigt, von sich zu weisen.

In dem großen, mit dem vollen modernen Luxus ausgestatteten Zimmer, welches er öffnete, saßen zwei junge Damen; die eine an dem glänzenden Stutzflügel, noch immer lachend, die andere in einen Fauteuil zurückgelehnt, eine zusammengerollte Stickerei im Schooße; die erstere im weißen Casimir-Negligé, im frischesten Blühen und Strahlen der Jugend, die andere im dunkeln einfachen Hauskleide, die bleichen feinen Züge nur durch ein Paar große dunkelblaue Augen belebt. „O Papa, Du kennst die Anna noch nicht,“ rief die Erstere dem eintretenden Hellmuth entgegen; „sie hat sich vorgenommen, mich nicht spielen zu lassen, oder zu klimpern, wie sie es in ihrer Artigkeit nennt, und sie darf auch nur eine ihrer trockenen Bemerkungen machen, so ist meine Aufmerksamkeit verloren!“

„Glaub’ der Eugenie doch nicht, Vater,“ sagte die Zweite ruhig, während es dennoch wie leichter Humor in ihren Mundwinkeln zuckte, „es kann ja Niemand verlieren, was er noch gar nicht gehabt hat!“

Der Eingetretene nickte lächelnd, indem er, langsam mit der Hand durch das dichte graue Haar fahrend, mit einem eigenthümlich aufmerksamen Blick die beiden Mädchen musterte, der dann an Eugenie’s glänzender Erscheinung haften blieb. „Ich kam nur, Kinder, um Euch mitzutheilen, daß wir morgen zum Mittag einen Gast haben,“ sagte er, „einen jungen Mann von weither, den ich Eurer Aufmerksamkeit empfehle; es liegt mir etwas daran, daß er sich bei uns wohl fühlt. Theilt der Wirthschafterin das Nöthige mit. Und Du, Anna, machst dann auch wohl ausnahmsweise und mir zu Liebe einmal etwas mehr Toilette als gewöhnlich?“

Die Angeredete erhob sich leicht, und ein Lächeln, das ihren Zügen ein ganz neues Leben gab, glitt über ihr Gesicht. „Dir zu Liebe würde ich Alles thun, Väterchen,“ erwiderte sie; „aber denke doch nur, wie ungeschickt ich mich im Putz ausnehme. Eugenie ist in der Pension zur großen Dame erzogen worden, ich aber bin bei der Großmutter ein bescheidenes Gänseblümchen geblieben – ist es ein so großer Herr, so laden wir die Tante Geheimeräthin ein, und ich bleibe vom Tische weg –“

„Glaube ihr nicht, Papa!“ unterbrach sie Eugenie, vom Flügel aufspringend, „sie ist reizend, wenn sie nur Toilette machen will; aber sie hat die Marotte, sich für zu unbedeutend zu halten!“

Ueber Hellmuth’s Stirn war ein Gedanke gegangen, welcher dem augenblicklichen Gespräche ganz fremd zu sein schien, und wie noch unter dem Einflusse desselben wandte er sich nach dem Mädchen im Fauteuil. „Thue denn, wie Du willst, Anna, aber wir wollen nur unter uns sein!“ sagte er, auf die Angeredete zutretend und sie auf die Stirn küssend, „Du, denke ich, würdest in jeder Lage glücklich werden können! – Für Dich, Eugenie, bedarf es ja wohl keiner Ermahnung,“ setzte er von Neuem lächelnd hinzu, einen Blick vollen Wohlgefallens über die Gestalt der Genannten laufen lassend; „ich will nur noch bemerken, daß ich Euern Freund Gruber mit eingeladen habe, um etwas Leben in unser Zusammensein zu bringen.“

„Unsern Freund Gruber?“ sagte Eugenie, mit gekräuselter Lippe die Augen senkend, „was habe ich denn mit dem jungen Herrn zu schaffen?“

„Gut, so wird sich Anna seiner annehmen,“ erwiderte der Hausherr mit einem eigenthümlichen halben Blicke nach der Andern.

„Wenn er es sich gefallen läßt, herzlich gern,“ erwiderte diese trocken; „er geht mir aber immer gern drei Schritte weit aus dem Wege, da ich nicht sehr für blondes Haar, und was damit zusammenhängt, schwärme.“

Hellmuth nickte mit einem leichten „Hm“ der Befriedigung, aber es war, als hätten sich seine Gedanken bereits wieder von dem Gespräche entfernt. Langsam wandte er sich nach dem Ausgange. „Ich habe noch zu arbeiten, Kinder,“ sagte er, „und so denkt an das Nöthige.“

„Denkt an das Nöthige,“ wiederholte Eugenie, als sich die Thür hinter dem Davongehenden geschlossen; „hast Du den Vater schon so in Sorge um einen einzelnen Gast gesehen? was hat er bei uns zu thun?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_097.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)