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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Am andern Morgen wurden wir in’s Verhör geführt, aber abgesondert vernommen. Auch nun kam keinerlei Anklage zum Vorschein; die an mich gerichteten Fragen waren großentheils durch den Paß beantwortet. Nur zwei derselben gingen weiter und deuteten auf Veranlassung unserer Gefangennahme: ich sollte angeben, mit welchen Personen wir auf der Reise zusammengetroffen und was wir mit ihnen und unter einander gesprochen. Letztere Frage war so albern, daß der Landrichter – das war auch der uniformirte Herr der Nachtscene – selber lächeln mußte; die erstere ließ sich natürlich auch nur unvollständig beantworten, da der Personen so viele, aber meist (für unser Gedächtniß) namenlose gewesen, mit denen wir in gewöhnlichen Reiseverkehr gekommen. Alle diese Fragen erwiesen sich auch sehr bald als leere Formalität, und der Landrichter, ein humaner und verständiger Mann, dem die Verhandlung offenbar peinlich war, äußerte mir geradezu: „Ich sehe, man hat mir eine sehr unangenehme Arbeit und Ihnen eine ganz unnöthige Störung Ihrer Reise gemacht. Ich bin aber nur eine Vollzugsbehörde und muß höhern Befehlen gehorchen. Diese lauten dahin, daß Sie Ihre Reise nicht nach Botzen fortsetzen dürfen, daß Sie vielmehr auf dem kürzesten Wege nach Innsbruck gehen, nicht aber in Gemeinschaft wie bisher. Graf Colloredo und H. Pichler werden noch heute dahin abreisen; Sie werden Clausen erst morgen verlassen. Aber ich erlaube mir, Sie Nachmittag zu einem Spaziergang einzuladen, da Sie Freund von landschaftlichen Schönheiten zu sein scheinen.“ Auf meine wiederholte Anfrage nach dem Grund des gegen uns eingeschlagenen Verfahrens erfuhr ich nichts Anderes, als „es geschehe auf höheren Befehl“; dieser selbst aber ward mir nicht gezeigt, noch mitgetheilt, von wem er ausgegangen.

Ein kurzer Abschied ward den drei Freunden gestattet; er war – nach so froh verlebten Tagen herzlicher Gemeinschaft – bitter genug. Der Nachmittagspaziergang (ins benachbarte Kapuzinerkloster) war sehr schön; der Landrichter benahm sich durchaus gut, stellte auch keine Wache mehr vor meine Thür im Wirthshaus, und so hoffte ich das Schwerste hinter mir zu haben.

Am andern Morgen wurde ich noch einmal aufs Landgericht geladen. Der Landrichter eröffnete mir, ich würde – da ich es wünschte – meine Reise zu Fuß machen, ein Diener in Civil würde mich begleiten und meine Sachen tragen. Mein Einverständniß damit hatte ich durch meine Unterschrift kund zu geben. Man ließ mir meinen mineralogischen Stock und meine Zeichenmaterialien, dazu die Landkarte und ein Buch zum Lesen, nicht aber meinen Paß; „ihn hat der Führer,“ hieß es. Die Reise ging trefflich von statten; das Wetter war günstig und der Führer ein ganz ordentlicher Tyroler. In Brixen ward ich aber nicht, wie ich wünschte, in den „Elephanten“, sondern ins Polizeigebäude geführt und, nach stundenlangem Stehen in einem Vorraum, endlich von einem alten Männchen durch dunkle Klostergänge – in ein Wirthshaus? nein! – in ein Gefängniß gebracht. Es war ein kleiner Raum von etwa 6 Fuß im Quadrat, mit einer Pritsche an der einen Wand, einem halbzerbrochnen Wasserkrug daneben, einem ganz zerbrochenen, aber vergitterten Fenster darüber. Mein altes Männchen nahm mir „auf höheren Befehl“ Alles ab, was mir der Landrichter in Clausen noch gelassen hatte, wünschte mir freundlich „Lebewohl“ und verschloß und verriegelte meine Thüre.

Auf diese Anwendung des seinem Wortlaut nach ganz unverfänglichen Spruches des Clausener Landgerichts war ich nicht gefaßt. Nachdem man mich etwa eine Stunde oder länger meinen Gedanken überlassen, kam das alte Männchen mit einem (wohl seinem) alten Weibchen und einer Schüssel Wassersuppe, die sie mich einluden, mit „gutem Appetit“ zu verzehren, wozu ich mich bereit finden ließ, da eine Wahl mir nicht gelassen war. Es waren gutmüthige Leute, die mir durch ihre Gesellschaft wenigstens eine Stunde lang die Kerkerhaft erträglicher machen wollten. Wieder allein hinter Schloß und Riegel, streckte ich mich aufs Lager und suchte im Schlaf Vergessen der widrigen Gegenwart. Durch’s offene Fenster tönte Tanzmusik und gab mir mit der Vorstellung fröhlicher und freier Menschen angenehme Traumbilder, die mich bis zum Morgen umgaukelten. Da wecke mich Kettengerassel vor meiner Thür. „Wo kommt er hin?“ hörte ich fragen, und die Antwort: „nach Innsbruck aufs Zuchthaus!“ Mir ward nicht wohl dabei zu Muthe; denn wo hatte ich Aussicht auf irgend einen Beistand? Die Kerkerthür ward geöffnet, aber sogleich wieder geschlossen: ich war nicht die gesuchte Person. Eine Stunde später ward ich zur Weiterreise abgeholt, die unter den Verhältnissen, wie von Clausen aus, stattfand. Der Weg war eben so erfreulich durch landschaftliche Schönheiten, als interessant durch geschichtliche Erinnerungen an den Krieg von 1809, den mein Führer als Tyroler „Aufständischer“ mitgemacht.

Schon Tags zuvor hatte ich bemerkt, daß ein Wagen mit zwei Personen in einiger Entfernung mir und meinem Begleiter gefolgt war. Heut fuhr er vor uns her, und bald sah ich, daß der eine der Passagiere in Ketten war. Es war der für das Innsbrucker Zuchthaus bestimmte Arrestant, ein – wie mein Führer mir sagte – verurtheilter, seiner Haft entsprungener und wieder eingefangener Strauchdieb. Ich sollte bald seine nähere Bekanntschaft machen.

In Sterzing, im Polizeigebäude – von einem Wirthshaus war keine Rede mehr – um 11 Uhr Vormittags angelangt, drang ich sogleich auf Weiterreise, da das Wetter unvergleichlich schön war und ich sehnlichst wünschte, aus der höchst unangenehmen Lage, in die ich ganz unverschuldet gekommen, mich befreit zu sehen. Meine Bitten und Vorstellungen fanden kein Ohr. Neben dem Zuchthäusling stand ich vor dem tauben Polizeicommissär, und als ich endlich noch einmal ihn eindringlich frug: „Ist’s wahr, daß ich heute nicht weiterreisen soll?“ antwortete er: „das wird Er gleich sehen!“ zog die Klingel, und nun traten zwei baumstarke, riesige Urtyroler ein mit Schlüsseln und Stöcken und commandirten „Arrestanten! Marsch!“ und so wurde ich mit dem Verbrecher zugleich abgeführt. Nachdem dieser untergebracht worden, geleiteten mich die Polizeiknechte durch einen langen, dämmerigen, feuchten Gang bis vor eine kleine vergitterte Thüre, schlossen diese auf, stießen mich in das dahinter befindliche Loch, und verwahrten alsbald wieder die Thüre mit Riegeln und Schlössern. Dafür also hatte ich mich nach den Tyroler Bergen und seinem Kernvolk gesehnt; dafür hatte ich den Bacchuszug nach Indien mit Aufwand all meiner Gelehrsamkeit und mit gutem Erfolg beschrieben, um hier hinter feuchten Gefängnißmauern Betrachtungen anzustellen über die Ergötzlichkeiten einer Reise durch kaiserliche Lande! Zuerst war von meinen Sinnen nur die Nase in Anspruch genommen durch den in dem Loche herrschenden pestilenzialischen Geruch, der kaum zu athmen gestattete. Als sich das Auge etwas an das Dunkel um mich gewöhnt, nahm es eine Art Lager wahr. Ich versuchte mich darauf zu strecken; aber im Augenblick wurde ich von gierigem Ungeziefer derart überfallen, daß ich in aller Hast mich flüchten mußte. Wohin ich jedoch trat, empfing mich nur größeres Ungemach, der Kerker war – vielleicht seit undenklichen Zeiten nicht gereinigt – durch den in einer Ecke stehenden überlaufenden Kübel zu einem Kothloche geworden.

Nach einer Stunde kamen die beiden Polizeiknechte, mich „zum Essen“ abzuholen. Sie führten mich in ein tiefer liegendes Gefängniß. Da fand ich den Zuchthäusler in Ketten auf faulem Stroh; vor ihm stand ein hölzerner Napf mit einem – Hundefutter. Das sollte ich mit ihm gemeinschaftlich genießen. Abgesehen davon, daß der Mensch nicht nur den Stempel des ganz gemeinen Verbrechers, als welcher er verurtheilt worden, auf seinem Gesichte ausgeprägt trug, so war auch sein Anblick so ekelerregend durch die Zeichen der scheußlichsten Krankheit um Mund und Nase, daß ich entsetzt zurücktrat und zum Commissär geführt zu werden verlangte. Dies ward mir verweigert oder für unmöglich erklärt, aber als ich entschieden mich widersetzte, mit jenem Mitgefangenen aus demselben Napfe zu essen, gestattet, in meinem Kerker aus einem besonderen Napfe die Mittagskost zu nehmen. Es war ein Mahl, um das mich kein verhungernder Hund beneidet hätte, und ich habe zum Andenken daran den getrockneten Teig eingesteckt, den man mir als Brod zum Wasser gereicht.

Bald war ich wieder allein in meinem Kerkerloch. Der Gang vor demselben lag unterhalb der Straße und erhielt einiges Licht durch eine Art Kellerfenster. Ein Schimmer davon drang auch in mein Verließ und erzählte mir von der Lieblichkeit der Nachmittagsonne und der Pracht der von ihr überglänzten Alpenlandschaften. Zuweilen hörte ich die Tritte der auf der Straße Vorübergehenden; im Hause aber herrschte Todtenstille. War es die Phantasie, die mich auf den Schwingen verstohlen eindringender Lichtstrahlen in’s Freie trug, auf die sonnigen Felsenhöhen, zu rauschenden Waldbächen, grünen Matten und schneeigen Gipfeln und allen Naturschönheiten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_089.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)