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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

seines Liedes deutete Chemnitz selbst auf dem Titel durch die Worte an: „Nach einem Gedichte von Straß.“ Damit glauben wir eine Mittheilung der in Hamburg erscheinenden, sonst gut unterichteten „Nessel“ genügend widerlegt zu haben, welche die Urheberschaft des Schleswig-Holstein-Liedes ausschließlich Straß vindiciren wollte.

Da die Gartenlaube in den Stand gesetzt ist, ihren Freunden das einzige bis jetzt vorhandene Bildniß des Dichters vorlegen zu können, so fügen wir jenem zugleich einige biographische Notizen bei.

Matthäus Friedrich Chemnitz ist am 10. Juni 1815 zu Barmstedt, einem Marktflecken im südlichen Holstein, geboren. Der Reichthum seines Vaters, eines Predigers, waren nach dem Sprüchwort und nach der Weise der meisten Geistlichen: liberi und libri, zu Deutsch: Kinder und Bücher. Der ersteren besaß er über ein Dutzend, und unser Chemnitz war von den sieben Söhnen der älteste. Nachdem er in einer glücklichen Kindheit den Unterricht seines Vaters genossen, bezog er das Gymnasium zu Altona und 1834, im Todesjahre seines Vaters, die Universität Kiel. Im Jahre 1810 ließ er sich, nachdem er die juristische Staatsprüfung glänzend bestanden, als Rechtsanwalt in Schleswig nieder. Hier versah er mehrere Jahre zugleich die Stelle eines Substituts des Staatsanwalts für das Herzogthum Schleswig, und hier wurde er sehr bald mitten in die Kämpfe des Landes gegen das immer frecher andringende Dänenthum eingeführt. Aus dieser Zeit kennt man, außer dem Nationalliede, noch einige andere politische Dichtungen von ihm; außerdem war er ein eifriger Correspondent für deutsche Zeitungen im Interesse der Herzogthümer. Auch die Gründung des Beseler-Fonds verdankt ihm ihre erste Anregung. Inzwischen war der März des Jahres 1848 herangekommen mit einem hoffnungsreichen Freiheitshauche. Am 24. erhoben sich die Herzogthümer, und am selben Tage warf Chemnitz eine Schleswig-Holstein’sche Marseillaise – wie er seine schwungwllen Verse nannte – in die allgemeine Begeisterung.

„Auf, Schleswig-Holstein, auf, erwache!
Der Tag bricht an, der Morgen graut.
Horch! Dich ruft die heil’ge Sache,
Ruft zu Waff’ und Wehr Dich laut,“

so begann das Lied, welches die ersten schleswig-holsteinischen Truppen mit nach Flensburg und Bau hinauftrugen.

Während der Jahre der Volkserhebung in den Herzogthümern war Chemnitz erst einer der Beamten der „Provisorischen Regierung“ und später Secretair in dem Gottorfer Verwaltungs- und Justizamte erster Instanz. Nach dem elenden Untergang der schleswig-holsteinischen Volksbestrebungen siedelte er erst nach Hamburg, wo er für eine Zeitung thätig war, und 1851 nach Würzburg über, wo er seine zweite Heimath fand. Dort war er bis 1854 Secretair der Maindampfschifffahrts-Gesellschaft und ist seitdem Secretair des polytechnischen Vereins, dessen 50jährige Geschichte er 1856 geschrieben hat. Chemnitz lebte seit 1855 in glücklicher Ehe, die leider im vorigen Jahre der Tod zerriß; zwei Kinder, ein Söhnchen und ein jüngeres Töchterchen, sind sein Trost und seine Liebe geblieben. Seine bürgerliche Stellung ist eine bescheidene; es wäre dem verdienten Manne wohl zu wünschen, daß das Glück seiner alten Heimath, wenn es erblüht ist, auch ihm persönlich mit zu Gute käme.

Gegen öffentliche Kundgebungen von Ergüssen seiner männlich freien Gesinnung hatte der Ausgang der Sache seiner Heimath im Jahre 1851 ihn lange Zeit zu sehr verbittert. Erst 1861 langte er die verstaubte politische Leier wieder herab von der Wand. Seine drei Lieder: „Deutschland, mein Hort!“ „Die deutsche Kaiserkrone“ und „Das deutsche Lied“, componirt von V. E. Becker, wurden von den Liedertafeln freundlich aufgenommen, und sein „Schleswig-Holsteins Recht“ zum 18. October und „Jetzt oder nie!“ vom 24. Novbr. 1863 zeugen dafür, daß auch er in seinem Herzen

„treu gewahrt, was schwer errungen,
Bis ein schönrer Morgzen tagt.“




Das ewige Licht.
Von Carl August Heigel.
(Fortsetzung.)
3. Die Donau rauscht.

Horch!…

Er kniete am Betstuhl in seiner Zelle, nicht im Gebet, sondern ganz Ohr, ob die Thorglocke nicht klang, nicht hastige Schritte sich näherten; ganz Ohr, seitdem die Nacht in einen trüben Tag übergegangen war. Vorbei das Gewitter, aber der Himmel ist sonnenlos, grau; dunklere Wolken ziehen daran empor, wallen und wechseln, theilen sich und entlasten weiße Flocken, wie Rauch. Der Regen strömt endlos hernieder, rauscht im Epheu der nahen Felswand und schlägt an die Fensterscheiben. Sonst Alles still, wie wenn Niemand mehr im Kloster wäre, als sein unglücklicher Prior und das einsame Gespenst der Zeit, das hin und wieder die Glocke im Kirchthurm streift …

Es gab einen Augenblick, in welchem Gregor’s Geist die Folter des Einen Gedankens nicht mehr ertrug. Die Wimpern schlossen sich, und Gregor blieb eine Weile bewußtlos. Als er die Augen wieder aufschlug, war seine erste Empfindung eine Art Wollust, das Erwachen von einem entsetzlichen Traum; aber mehr und mehr rauschte die lethäische Welle zurück; er keuchte im Kampf mit der rückkehrenden Wahrheit; zuletzt sprang er empor und rief, sich die Brust zerschlagend: „Nein! nein! Ich bin ein Mörder.“

Dann war es, daß er am Betstuhl sich niederwarf und zum Christusbilde verzweiflungsvolle Gebete stammelte. Er ist jetzt der Mittelpunkt des Weltalls; Himmel und Erde müssen jetzt auf ihn blicken, und das Ungeheure seiner That fordert ein Wunder der Allmacht … Eines Menschen Rettung aus sturmgepeischten, tosenden, nachteinsamen Fluthen ist kein größeres Wunder, als das Versinken der Seele im Wirbel der Leidenschaft, als eine verbrecherische That aus erhabenen Motiven … Benedictus kann nicht todt, muß gerettet sein. Bald, bald wird er hereintreten und seinem Freund an die Brust sinken … Dies Ereigniß malt Gregor sich aus und genießt seine Seligkeit im Voraus. Er flüstert sanft die Namen: „Benedict! Freund! Bruder!“ und weint die Thränen der Neue, Freude und Versöhnung.

Aber der Wahnsinn der Hoffnung dauert nicht. Der Verstand fordert Wahrscheinlichkeit und menschliche Gründe. Und nun sinnt Gregor mit ängstlicher Hast sich Zufälle aus, die Benedict’s Rettung ermöglichten. Die Fährknechte haben seinen Schrei gehört und ihn im Kahn gerettet! Oder der Fluß selbst hat ihn an’s Land getragen! … Doch warum ist er dann noch nicht zurückgekehrt? … Der Gedanke durchzuckt ihn jählings, daß Benedictus am Leben sei, aber nicht zurückkehren, nicht vergeben und vergessen wolle. Er ist in der Stadt, klagt Gregor des Mordversuches an, ruft die Gerichte auf – – –

Unwillkürlich ist der Prior an’s Fenster getreten und hat es geöffnet.

Unten zieht sich der schmale Baumgarten dem Haus entlang bis zum Fluß. Im Halbkreis schließt ihn der Felsen ein. Am andern Ufer fallen die hohen Steinwände senkrecht in die Fluth. Der Strom selbst, vom Regen geschwellt, ras’t wild dahin. Gregor hört das Geräusch des Wassers, es summt und wächst und donnert zuletzt in seinem Ohr. Er ringt die Hände, selber ein Ertrinkender … Jener Strom war erbarmungslos: todt ist Benedictus!

Nun gilt es nur noch, die Schuld zu verbergen, des Hauses Ehre zu retten!

Und er horchte. – – –

Es schlug zehn Uhr. Kaum waren die Schläge verhallt, so läutete die Thorglocke.

Der Prior befand sich weitab vom Eingang, im zweiten Flügel, aber der Klang erschütterte ihm Mark und Bein. Die Posaunen des Weltgerichts können nicht lauter und ahnungsvoller tönen. So grell, so ganz besonders klang die Glocke, Jeder hat sie gehört, Jeder verstanden – sie gellte: „Mord!

„Sie bringen ihn,“ flüsterte er. „Fassung, o, jetzt nur Fassung!“

Er trat an sein Pult und griff hastig nach einem Buch. Indem er es aufschlug, fiel ein gesticktes Merkzeichen heraus. Das Buch war Benedict’s Spinoza.

Dieser Zufall gab ihm Kraft und Bewußtsein. Das Buch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_046.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)