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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Doch nicht so ganz,“ sagte der Sachenbacher. „So oft ich hereinkomm’ und von Weitem an dem Martel vorbeikomm’, hängt ein Kranzel dran …“

„Ja, ja,“ erwiderte der Förster, „das Binl ist ein wackeres, kreuzbraves Mädel, das seinen Schatz nicht so leicht vergißt, wie manche Andere – die bleibt ihm auch noch im Grabe treu. Die Kränze kommen von ihr …“

„Nit allemal, Herr,“ sagte hinzutretend ein Bursche, der auf dem Verhau geschlafen und erst den letzten Theil des Gesprächs mit angehört hatte. „Ich bin heut’ früh mit einer Fuhr’ Bäume hinein auf die Schneidemühl’ … es ist mir zuerst gar nit besonders aufgefallen, aber weil jetzt die Red’ davon ist, kommt’s mir hinterher absonderlich vor … da hab’ ich meine Pferd’ ausschnaufen lassen über der Anhöh’, wo’s hineingeht in die Klamm an der langen Wand – da ist mir ein Tiroler begegnet …“

„Was? Ein Tiroler?“ riefen[WS 1] Alle durcheinander. „Und das sagst Du jetzt erst?“

„Wann hätt’ ich’s denn sagen sollen?“ fragte der Bursche verwundert. „Ist ja noch keine Stund’, daß ich zurück bin und ausgespannt hab’ …!“

„Wie sah der Mensch aus?“ fragte der Förster.

„Nun, wie halt ein Tiroler ausschaut! Ein großer, starker Bursch’ mit einem sakrischen Schnurrbart und auf den Achseln hat er einen Pack Teppich’ getragen – er wird wohl handeln damit!“

„Wirklich?“ rief der Förster. „Also hat der Hiesenfranz doch recht gesehn! Ein Teppichhändler! Und das war schon in der Früh’?“

„Zu Morgens – um ein Zehne herum.“

„Und Abends war er noch hier! Also schleicht er offenbar herum und ist entweder ein Spion oder ein Flüchtling! Aber geschwind – erzähle weiter – was war’s mit dem Tiroler?“

„… Er hat mich gegrüßt und ist rasch an mir vorbeigegangen; ich hab’ ihm so nachgeschaut und hab’ gesehn, daß er in die Klamm hinein ist. Was hat nur der Tiroler in der Klamm zu thun? hab’ ich mir ’denkt, solltest ihm doch Wunders halber nachgehn und schaun, was er macht … Meine Ross sind gestanden wie die Lampeln – also bin ich ihm die paar Büchsenschuß nach und da hab’ ich gesehn, er hat sich vor dem Marterl an der Wand hingekniet und hat eine Weil’ gebet’t – dann ist er zu dem Strauchwerk hin, hat was abgerissen und hat ein Kranzel daraus gemacht – das hat er dann über das Gemäl’ gehängt …“

Alle horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, besonders Lipp. „Weiter, weiter!“ drängte der Förster.

„Ich bin in meiner Verwunderung noch dagestanden, wie er wieder heraus ist aus der Klamm,“ fuhr der Bursche fort. „Er ist verhofft, wie er mich erblickt hat, und es ist mir vor’kommen, als wenn’s ihm nit recht wär’ und wann er Handel wollt’ anfangen mit mir. Er hat sich aber besonnen, hat „Gelobt sei Jesus Christus“ gesagt und ist an mir vorbei. „In Ewigkeit,“ hab’ ich geantwortet … und „hast den Jager wohl ’kennt, weil Du ihm gar ein Kranzel bringst?“ … Da hat er mich fuchsteufelswild und doch wieder so gewiß traurig angeschaut … „Ja,“ hat er gesagt – „ich hab’ damals gedient in der Gegend – ich hab’ an den Margarethentag zu denken, so lang’ ich leb’ …“ Damit ist er fort, und ich bin meiner Weg’ gefahren …“

„Höchst merkwürdig und auffallend in der That!“ rief der Förster. „Es ist kein Zweifel mehr, daß hier ein verdächtiger Zusammenhang besteht: gewiß aber ist, daß wir unsern Teppichhändler haben und daß es Niemand anders ist, als der Wildschütz und Rebellencommandant, der Vomper-Hans! Wir müssen unsere Wachsamkeit verdoppeln und eine neue Streife aussenden – er darf uns nicht entgehn!“

Beistimmend und berathend traten die Bauern zusammen. „Und ich mein’,“ murmelte Lipp, bei Seite tretend, vor sich hin, „ich weiß jetzt auch, wer den Jäger hinuntergestürzt hat über die lange Wand … Das kann ich brauchen bei dem starrsinnigen Mädel! Wenn sie ihre Rach’ auslassen kann an dem Mörder, wird sie ruhiger werden … wird ihn vergessen, und dann will ich sie schon erinnern, wer ihr dazu verholfen hat …“

Er wollte unbeachtet fort und den Waldweg zur Alm einschlagen, das Rufen des Hiesenfranz, der athemlos herangelaufen kam, veranlaßte ihn, noch einen Augenblick zu verweilen. „Jetzt sagt noch einmal, daß ich nit recht gesehn hab’!“ keuchte der Bursche. „Ich hab’ ihn wieder aufgegangen – ich weiß, wo er steckt!“

„Wer? Der Tiroler? Der Teppichhändler?“ rief Alles durcheinander.

„Ja … wie ich vorhin weg bin in meinem Aerger,“ fuhr der Hiesenfranz fort, „da hab’ ich mir gedacht, ich wollt’ es Euch zeigen, daß ich meine Augen nicht umsonst im Kopf stecken hab’… ich hab’ gewiß gewußt, daß er da sein muß, ich hab’ ihn ja gar zu bestimmt gesehn – gefunden haben wir ihn nit – also muß er versteckt sein! Aber wo kann das sein? Ich hab’ hin und her studirt – hab’ alle Plätz’ und Winkel durchgemustert, da ist mir die alte Feldkapellen eingefallen! Wie der Wind bin ich hinübergestrichen und bin am Fenster hinaufgeklettert … es war hell genug, daß ich es hab’ sehen können … ein Mannsbild ist der Läng’ nach auf dem Betstuhl gelegen … es muß der Tiroler sein …“

Allgemeiner Beifall wurde dem aufmerksamen Wächter, und die zuvor am meisten gelacht hatten, wetteiferten nun in Lobeserhebungen. Eine neue, noch genauere Streife wurde verabredet und auch sogleich in’s Werk gesetzt; alle möglichen Richtungen und Wege wurden bedacht und mit einer Kette von Streifern versehen. Wie bei einem Treibjagen sollte von allen Seiten an die Kapelle vorgedrungen und der Bogen gegen die Almhütte und die lange Wand hin abgeschlossen werden, über welche hinab es kein Entrinnen gab. Lipp, seine besondere Bekanntschaft mit der Oertlichkeit vorschützend, wußte es so einzuleiten, daß er an die Spitze der linken Flanke kam und also jedenfalls vor allen Andern an der Sennhütte ankommen mußte. Die Büchsen wurden geladen und untersucht; dann zerstreute sich der Zug nach allen Seiten.

Mitternacht war vorüber.

Sabine war indessen, ermüdet vom Sinnen und Weinen, eingeschlafen, um in unruhigem Schlummer durch Träume gequält zu werden, die noch ängstlicher waren, als die Ereignisse des Wachens. Sie glaubte, Gotthard zu hören, der Einlaß verlangte … dann war es wieder nicht er, sondern der Fremde mit der trügerischen Stimme, und wie sie zu öffnen zauderte, war es doch Gotthard’s blutige Gestalt, die durch die verschlossene Thüre schwebte, vor sie hintrat und sie mit drohenden Blicken ansah. Dazwischen kam es ihr wieder vor, als sähen die Nachbarn alle durch die Stube und nickten und lachten ihr zu und riefen: „Gieb dir keine Müh’, es zu verbergen, wir wissen es doch, daß du dein Gelöbniß gebrochen hast,“ und Lipp verzog das höhnische Gesicht und schrie über Alle hinaus, daß er ihr helfen wolle, es zu halten …

In Schweiß gebadet, fuhr sie empor und glaubte noch zu träumen, als sie um sich blickte. Das Fenster der Hütte ging nach Osten, wo ein bleicher Streifen am Himmel verrieth, daß die Nacht sich zum Abzuge rüste. In der Kammer war es düster und unheimlich, und noch unheimlicher tönte von außen der Schall einiger rasch nacheinander fallenden Schüsse herein. „Heilige Mutter,“ rief sie aufspringend, „was bedeutet das? Sind die Bauern noch unterwegs? Sollten sie ihn etwa gar aufgefunden haben?“

Hastig riß sie das Fenster aus und horchte hinaus, es war wieder still geworden; nichts war zu sehen – um ihr brennendes Gesicht strich die Morgenluft frisch und scharf, wie sie den Reifnächten vorausgeht. Die Kühle war ihr Erquickung.

Plötzlich stieß sie einen leichten Schrei aus … durch das Dämmergrau eilte ein Mann auf die Hütte zu …

Es war der flüchtige Tiroler.

Im nächsten Augenblick hatte sie, ohne selbst zu wissen, wie, die Thür geöffnet, und der Fremde stand vor ihr, ohne seinen Pack, ohne Hut, athemlos und abgehetzt, den rechten Hemdärmel mit Blut bedeckt.

„Ich bin’s, Sennerin,“ sagte er zu der sprachlos ihn Anstarrenden, „… ich muß schon wieder bitten, daß Du mich einlaß’st …“

„Aber was ist’s denn mit Dir?“ fragte sie beklommen. „Hat denn das Schießen Dir gegolten? Haben’s Dich wohl gar getroffen?“ Sie gab sich alle Mühe, unbefangen und ruhig zu erscheinen – aber die Hast, mit welcher sie die Worte herausstieß, verrieth nur zu deutlich die Aufregung und Sorge, der sie entsprangen.

„Die Bauern haben mich verfolgt und auf mich geschossen,“ antwortete der Tiroler, indem er wie erschöpft sich am Heerde niederließ, während sie in ängstlicher Schnelligkeit die Thür schloß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: riefe
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_034.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)