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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nun schelten, weil sich Kinder und Narren zuweilen die Finger verbrennen?“

Der Kellermeister machte große Augen. „Du meinst doch nicht im Ernst, daß Pater Benedict …“

„Ich will keinem Menschen zu nahe treten,“ unterbrach ihn Eusebius, „am wenigsten einem Ordensbruder und geweihten Priester, aber – mehercle! wenn ich Prior wäre, hätte ich ihn längst in ein Strafkloster geschickt, wo er Nichts als vier kahle Wände sehen und an den Spinnengeweben Naturgeschichte studiren sollte! Blickt er nicht mit Verachtung auf uns herab, als sei er Platon unter Scythen? Menschlich sind menschliche Schwächen, sagt Thomas von Aquin; aber wenn ich Prior wäre – nicht aus Feindseligkeit gegen Benedictus, sondern um des christlichen Seelenheiles willen würd’ ich ihn einsperren! Denn heißt es nicht die Jugend vergiften, wenn man solch einen Freimaurer jährlich als Professor nach der Stadt schickt? Heißt es nicht die Gemeinde corrumpiren, wenn man ihn Sonntags predigen läßt?“

„Aber wenn Benedict predigt, ist die Kirche voller als bei jedem Anderen!“

„Das ist ja das Unglück! Weil er ein Schönredner, ein heilloser Sophist ist, strömt ihm das dumme Volk zu. Die Kanzel ist kein Lehrstuhl des Zweifels, sondern der Thron des Dogma’s.“

„Aber Benedict macht unser Kloster berühmt! Und seine Schrift, die vom vorigen Jahre, haben selbst protestantische Professoren gerühmt.“

„Per deum!“ rief Eusebius und schlug auf den Tisch; „glaub’ es wohl, daß die Protestanten ihn loben! Giebt er doch den Ketzern in mehr als Einem Fall Recht! sagt an einer Stelle sogar, der Luther und die Reformation hätten unsrer Kirche seit den Aposteln den meisten Nutzen gebracht! Ein katholischer Priester! ein Ordensgeistlicher! Der bare Atheismus steckt dahinter. Das Buch gehört so gut auf den Index, wie Voltaire und David Strauß!“

„Das mußt Du besser wissen, als ich. Ich bin nur ein schlichter Bruder und darf mir kein Urtheil anmaßen. Aber gram kann ich ihm nicht sein. Er ist gegen uns Brüder gut und freundlich. Er spricht mit unser Einem, als wenn er selber Zeitlebens Küfer gewesen wäre! Und doch ist er kein Weintrinker! Er weiß und kennt eben Alles.“

Eusebius pfiff leise vor sich hin und spielte mit dem Scapulier.

„Rühme diese Tugenden doch dem Pater Prior!“ spottete er.

„Ich werde mich hüten. Zwischen diese Beiden mag sich ein Andrer wagen!“

„Du hältst sie wohl für zwei Mühlsteine?“

„Ich bin nur ein schlichter Bruder und darf mir kein Urtheil erlauben. Das steht Dir zu.“

Der Pater schloß die Augen und faltete die Hände. „Menschlich sind menschliche Schwächen,“ sprach er. „Ich sehe an meinen Oberen nur das Gute.“

„Hm, wie war’s aber vor acht Tagen, als Du auf Deinen Aerger über den Pater Prior süßen Ungar trinken mußtest?!“

„St!“

„Er sei ein unverbesserlicher heftiger Grobian, sagtest Du; er hätte Landwirth bleiben oder Husar werden sollen, dazu passe er schon seiner Figur und Körpergröße nach besser. Sein Latein hätte er aus Büchern über Düngerwirthschaft …“

Eusebius hielt dem Kellermeister die Hand vor den Mund.

„Still!“ rief er. „Wenn der Pater Prior das erfährt, schlägt er diesen Steinkrug auf unsern Köpfen entzwei. Ich will nur noch Wasser trinken, wenn Du seinen Jähzorn nicht mehr als einmal kennen gelernt hast!“

„Lassen wir das. Ich will Dir etwas Neues anvertrauen.“

„Ein Geheimniß?“

„Zwischen dem Pater Prior und Benedict kommt es heute oder morgen zum Austrag. Ich verstehe mich auf Physiognomien. Unser Prior wetterleuchtet schon. Entweder wird Benedictus –“

Von oben herab tönte plötzlich in die Nachmittagsstille die Thorglocke. Beide Mönche sprangen empor. „Da kommt Besuch,“ sagte der Kellermeister. „Spute Dich, bevor der Pförtner hinterm Ofen vorkriecht!“

Eusebius war schon die Treppe hinangesprungen und stand bereits im Thorweg, als die Glocke zum zweiten Male erklang.

„Kling, kling! nur nicht so eilig!“ brummte der Bruder Pförtner, der aus seiner Thüre trat und sich die verschlafenen Augen rieb.

Pater Eusebius that, als käme er vom Hofe, und wartete, bis der Fremde eingelassen wurde. Auch der Kellermeister kam nachgeschlichen. Jetzt beim Tageslicht erschien der kleine, schmächtige Pater gegen seinen dicken und breitschultrigen Zechgenossen, den das kurze Scapulier der Brüder gar komisch kleidete wie Fallstaff’s Page. Das schwarze Sammtkäppchen nahm sich auf der dünnen, ganz schwarzgekleideten Figur mit dem vergilbten und verkniffenen Gesicht wie das Tüpfelchen auf einem i aus.

Ein hübscher Knabe von fünfzehn Jahren, von einem Livreebedienten begleitet, trat ein. Bevor er vom Mönchstrifolium Notiz nahm, wandte er sich an den Diener. „Sie können gehen! Lassen Sie sich zum Dorf zurückrudern, wo der Doctor wartet. Sagen Sie ihm, daß ich nicht ertrunken sei und daß ich um zehn Uhr wieder bei ihm sein würde!“ Der Diener ging.

Jetzt wandte sich der Fremde zu den Benediktinern und begrüßte sie. Der Kopf, der leicht auf den Schultern saß, hatte feine, angenehme Züge. Das Haar war sorgfältig gescheitelt, die Hautfarbe schimmernd. Trotz der Reitgerte, welche der Junge keck in seiner Rechten schwang, brachte er die parfümgetränkte Salonluft mit. Kurz, es war eine jener Knabengestalten, die beim ersten Anblick unwillkürlich an ihre Mutter oder Schwester erinnern, so daß wir die aschblonde, zarte, aber nervöse Dame zu sehen und ihr Seidenkleid rauschen zu hören glauben.

„Was wünschen Sie?“ fragte mürrisch der Pförtner.

„Mein Name ist Geldern, Graf Felix Geldern –“ Die drei Mönche verbeugten sich, sowie sie den Titel Graf hörten, wie auf Commando.

„Ich wünsche meinen Professor, den Pater Benedictus, zu besuchen.“

„Ueberlassen Sie den jungen Herrn mir,“ sagte Eusebius zum Pförtner und wandte sich dann mit hoher Miene an seinen Freund, den Kellermeister. „Bitte, kommen Sie, Graf Geldern!“

Sie gingen über den Hof nach dem andern Flügel. Der Büchersaal im Kloster war weißgetüncht und schmucklos. Die Wände waren mit Büchern, zum größten Theil mit den Folianten der Kirchenväter bedeckt. Am breiten Eichentisch in der Mitte saß ein Mönch und las. Beim Anblick des hastig eintretenden Knaben erhob sich dieser Mönch rasch, eine schmächtige, unscheinbare Gestalt; das Gesicht verwacht und von ungesunder Farbe; die braunen Augen groß und klar, der Scheitel fast kahl, wodurch der Stirne Wucht und Bedeutung noch mehr hervortrat. Er streckte dem jungen Grafen freundlich die Hand entgegen. „Willkommen, Felix faustusque!“ rief er. Es war Benedictus.




2. Das ewige Licht leuchte ihm!

Das Meer des Lebens schlug mit der Stimme des blonden Knaben an ihr Ohr. Im matterleuchteten Speisesaal saßen sie und hörten auf das harmlose Geplauder von Schauspielen und Festen, dreizehn schwarzgekleidete Männer, verschieden an Alter und Antlitz, eins in der Entsagung. Sie durften, mit Ausnahme des Priors und Pater Benedict’s, der den Gast hatte, nicht selber sprechen, denn das Abendbrod war vorüber, und Pater Eusebius hatte aus den Legenden die Geschichte vom heiligen Benedictus vorgelesen, der, von irdischen Wünschen und Begierden entbrannt, sich nackt in die Dornen der Rosensträucher warf. So beobachteten sie denn das gebotene Schweigen, aber, das Auge auf den jugendlichen Erzähler gerichtet, hörten sie das Getön der fernen Hauptstadt, Musik und Gesang, sahen hellerleuchtete Säle und lächelnde, in Seide rauschende Gestalten, und der Welt buntes Maskenspiel erschien den Aelteren wie ein Märchen, den Jüngeren – ein Traum.

„Und Ihre Frau Mutter,“ fragte der Prior, „gab in diesem Winter wohl auch viele Feste?“

„Nein,“ antwortete der junge Graf mit der Offenheit der Knaben; „nein, meine Mutter ist seit einiger Zeit sehr leidend.“

„Wie alt ist Ihre Frau Mutter?“

„O, noch sehr jung, fünfunddreißig Jahre. Die Leute halten mich immer für ihren Bruder. Meine gute Mutter! Ich war drei Jahre alt, als Papa starb, aber sie ist so klug und so zärtlich besorgt, daß ich nie einen Vater vermißte.“

„Und sie ist krank?“

„Krank wohl nicht, aber traurig. Pater Benedict würde sie kaum wieder erkennen, so blaß und still ist sie seit dem vorigen Herbst geworden. Oft finde ich sie mit verweinten Augen. Unser

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