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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

aus nichts weiter, als einem durch einen Breterverschlag dem großen Druckersaale abgewonnenen sehr engen Raume, indessen machte es den jungen Arbeiter glücklich. Das Gefühl einer gewissen Selbstständigkeit kam über ihn; er hatte einen Ort, wo er sich seinen eigenen Arbeiten überlassen konnte, und das spärlich ausgestattete Behältniß, Wohn-, Schlaf- und Studirzimmer in Einem, wurde die Wiege seiner Bildung.

Vor Allem mußte die Kenntniß des Deutschen und Französischen vervollkommnet werden. Als er die Erlaubniß bekam, einzelne kleine Nachrichten aus der Vossischen Zeitung für die Gazeta warszawska in’s Polnische zu übersetzen, fühlte er sich um ein Stück gewachsen. Es ging ihm plötzlich auf, daß es ja nicht unmöglich sei, ein wirklicher Uebersetzer zu werden, und das wurden seine kühnen Träume! Sein Ehrgeiz war angestachelt. Jeder Mensch, welcher gut Deutsch sprach, war für den jungen Polen ein Gegenstand der Bewunderung und des stillen Neides.

Hauptsächlich aber war es das Theater, das seine junge, für alles Echte und Schöne empfängliche Seele mit Entzücken und Begeisterung erfüllte. Ein namenloser Zauber schien ihm um Alles gewoben, was mit der Bühne zusammenhing; der geringste Coulissenschieber war ihm ein beneidenswerthes Geschöpf! Wie oft stand er, fast erstarrt von der eisigen Winterkälte, gepeitscht von Regen und Schnee, in der dunkeln Ecke am Eingangspförtchen, welches zu den Garderoben der Schauspieler führte, um einen flüchtigen Blick jener Glücklichen zu erhaschen!

Mit der Zeit jedoch genügte das Anbeten aus der Ferne seinem regen Geiste nicht mehr; er wollte in eine engere Verbindung mit den Männern treten, denen er sich in dunkler Vorahnung so nah, so verwandt fühlte. Zu diesem Behufe näherte er sich einem alten, freundlichen Manne, dem in der Zeitungsofficin die Besorgung der Theaterzettel oblag. Zaghaft brachte er seine Bitte vor, ihn in die Geheimnisse des Setzens einzuweihen. Bald war er der Handgriffe so mächtig, daß sein Gönner, der Gewissenhaftigkeit und Geschicklichkeit des Schülers vertrauend, ihm die Zettel zu setzen überließ und dafür das weiche Lager suchte. Niemand war glücklicher als Dawison, bis tief in die Nacht stand er am Setzkasten, vor sich das Manuscript des Theaterzettels mit den Namen der Auserwählten und Beneideten, – er war ja nun mit thätig an dem großen Werke der Kunst, wie er in seiner Unschuld sich vorredete. Da schlugen jene Keime in seinem Busen zum ersten Male Wurzel, die wir jetzt als vollendete, prächtige Pflanze bewundern, und es rief wohl schon damals eine leise Stimme in seiner Seele: „Anch’ io sono pittore!“

Bald sollte er dem ersehnten Ziele einen Schritt näher kommen. Durch den Unterricht des pensionirten Tänzers Terracini wurde Dawison mit einigen untergeordneteren Mitgliedern des Warschauer Theaters bekannt, in deren Kreis er durch die glückliche Nachahmung der verschiedensten Persönlichkeiten rasch zu einer gewissen Geltung gelangte.

Von da an hatte der junge Mensch nicht Rast und nicht Ruhe. Zitternd sehen wir ihn eines Tages vor dem Tyrannen des Warschauer Theaters, dem Director Dmuszewski, stehen und um Aufnahme in die dramatische Schule bitten. Sie wurde ihm gewährt. Zwei Jahre seufzte er, „in spanische Stiefeln eingeschnürt“ unter dem Zopfunterricht der Anstalt, die es so gut meinte und so wenig zu leisten verstand. „Wie viele Jahre,“ sagt Dawison selbst scherzend, „hatte ich zu arbeiten, um Alles das zu vergessen, was ich damals gelernt hatte!“

Endlich – endlich kam (1837) der ersehnte Tag des ersten Auftretens! Der Erfolg war günstig; trotzdem gab er seine Stellung bald wieder auf, weil sie ihm nicht genug Gelegenheit bot, sich zu versuchen. Den gährenden Kopf zog es zu den kleineren Truppen. Er ging nach Wilna, wo sein Fleiß willkommen war, und fing an Alles zu spielen. Die sogenannten Liebhaber, polternde Alte, Helden, Intriguanten, gab es in dem gewöhnlichen Sinne schon hier nicht für ihn. Er lernte in jeder Rolle den Menschen herausfinden und ihn in eigenthümlicher Weise darstellen, und den „Vater der Debütantin“ spielte er mit derselben Hingebung, wie den „Hamlet“.

Da löste sich die polnische Truppe in Wilna auf.

„Jetzt kannst du vor das Publicum Warschaus hintreten!“ rief es in Dawison, und mit freudiger Zuversicht flog er seiner Vorstadt entgegen; was sah er für Triumphe vor sich! Sein erster Weg war zu Dmuszewski, dem Director des polnischen Theaters.

Der war nun gar kein Enthusiast. „Es ist Alles recht schön,“ erwiderte er, „ich will gern glauben, daß es Ihnen Vergnügen machen wird, in Warschau aufzutreten – aber was reden Sie von Theaterfreunden? – Sie sind hier längst vergessen, keine Katze kommt Ihretwegen in’s Parterre. Und Honorar? Gage? – nein, Bester. Das ist zu viel! Ist es Ihnen nicht Ehre genug, daß man Sie überhaupt in Warschau auftreten läßt?“

Das war allerdings für Dawison’s augenblickliche Verhältnisse zu wenig. Er wartete deshalb zwar einige Wochen, trat auch einmal auf, schnürte aber doch erleichterten Herzens sein Bündel, theilte vorsichtig sein geringes Reisegeld ein und verließ zum zweiten Male die Hauptstadt, als ihm von Lemberg der Antrag gemacht worden war, an das dortige Theater zu kommen. Hier ging es ihm bald wieder besser. Obwohl der Kampf, den sein höheres Wissen, sein besseres Können gegen den alten Schlendrian aufnahm, ihm unzählige Feinde machte, hielt doch der Intendant Graf Skarbek zu ihm, und Beide hatten die Idee einer gründlichen Reform des polnischen Theaters noch nicht aufgegeben, als ein neuer Umstand plötzlich dem Leben Dawison’s eine ganz andere Richtung gab.

Dawison hatte nämlich in Lemberg unter seinen Collegen auch die Bekanntschaft einer Familie gemacht, deren Mitglieder zu den vorzüglichsten Künstlern der Bühne gehörten. Besonders zeichnete die eine Tochter, eine zarte, junge Dame, das feinste Verständniß und jener instinktive Blick aus, der das Schöne und Richtige trifft, nicht weil er es gelernt nach Regeln sich zu entwickeln, sondern weil er von allem Verkehrten unharmonisch berührt wird. Von der natürlichen Anmuth der Erscheinung angezogen, war der junge Heißsporn bald leidenschaftlich gefesselt. Wanda sollte sein Weib werden. Mit der beglückenden Gewißheit aber, daß sie es auch wollte, war es allein nicht gethan. Hindernisse der mannigfachsten Art traten den Beiden entgegen.

Da bemächtigte sich jetzt, wo Dawison seinen Namen auf ein geliebtes Wesen übertragen wollte, seiner der glühende Wunsch, jenen glänzend aufzurichten durch das Ringen nach den höchsten Zielen. Polen war für seine Pläne kein Boden mehr. Mit andern Ländern verglichen, wie Deutschland und Frankreich, war es in Bezug auf seine Literatur ein verwahrlostes Land. Dawison sah voraus, daß für ihn hier der Tag kommen mußte, wo er sich zu sagen habe: jetzt ist das Gefäß ausgeschöpft. Seine Natur mußte aber Herculesausgaben vor sich sehen, um an eine innere Befriedigung glauben zu können.

Er wollte sich seine Braut mit seinem Ruhm erkaufen – für ihn gab es nur zwei Wege dazu: entweder nach Frankreich oder nach Deutschland. Er wählte, nachdem er die Kunstrichtungen beider Länder genau studirt hatte, das letztere zu seinem neuen Vaterlande, nicht weil ihm hier ein leichterer Weg zum Ziele zu führen schien, sondern gerade weil der ernstere Sinn der Deutschen ihm offener vorkam für die reine Wahrheit, zu deren Darsteller er sich berufen fühlte; weil die Deutschen die einzige Nation waren, welche außer ihrer eigenen reichen Literatur sich auch die Schätze aller anderen zugeeignet haben, und ganz besonders, weil unter ihnen damals fast allein das Verständniß des großen Briten Shakespeare lebte. –

Wenn man in Berlin die O–straße heruntergeht, so kommt man rechts an ein stattliches, wohlverschlossenes, spitalartig gebautes Haus. Hier war es, wo Dawison zum ersten Male einem deutschen Publicum in Deutschland gegenüber stand, und zwar einem Publicum und in einem Locale, welches beides eigenthümlicher nicht gedacht werden konnte. Ein regelrechtes Streckbett, durch einen grünen Teppich kunstvoll seiner ursprünglichen Bestimmung entrückt, bildete das Hauptmöbel des Zimmers, welches durch eine in der Höhe, wo sonst gewöhnlich der Kronleuchter zu hängen pflegt, sich quer unter der Decke fortziehende Leiter eine anmuthige Decoration erhielt; allerhand aus den Wänden hervorstehende Sprossen, Handhaben und Gurte gaben eine passende Vervollständigung. Auf einem Ecktisch endlich stand eine Punschbowle, die durch ihre Riesendimensionen ebenfalls eher den Gedanken an körperliche Kraftübung als an geistige Erfrischung hervorrief.

Der Schauplatz ist im orthopädischen Institut des Dr. –, und diesem Rahmen entspricht das allmählich sich ansammelnde Publicum vollständig. Endlich öffnet sich die Thür, und der Künstler – tritt nicht auf, sondern wird auf einem Rollstuhle hereingefahren. – Wir müssen um einige Zeit zurückgreifen.

Als Dawison von Lemberg, wo er mit Glück seine ersten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_006.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)