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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

er bei solchen Anschauungen mit den Hütern der Forsten in steter Fehde leben, und obgleich er sich bis zum Beginn unserer Bekanntschaft noch keines größeren Forst- oder wohl gar Wildfrevels schuldig gemacht haben mochte, so war er doch schon mehrmals bei Vogel- und Fischfang und unbefugtem Holzlesen – wozu er auch das Absägen eines „Stängelchens“, das, wie er mir selbst eingestand, ungefähr sechs Zoll Durchmesser gehalten hatte, mit rechnete – betroffen und dafür mit „Haidetage thun“ bestraft worden.

Mit Entrüstung sprach er deshalb von den „lumpigen Forstbütteln“, wie er alle Forstleute ohne Unterschied ihres Ranges betitelte, und erklärte sich ganz offen als ihren erbitterten Feind. Viel verderblicher jedoch, als sein Haß gegen die Jägerei, der sich in der Hauptsache doch nur auf Redensarten beschränkte, war für die Forsten seine Leidenschaft für Pulvergaukelei, die ihm auch den Namen „Pulverfuchs“ zugezogen hatte. Immer führte er nämlich das gefährliche Teufelszeug mit sich herum, das er dann auf seinen einsamen Waldgängen ohne allen Zweck verpuffte oder aus einem alten Terzerol verschoß. Manche kleine Haide- und Grasbrände auf dürrem Boden waren bereits die Folgen solcher Ungebührlichkeiten gewesen, wovon ich selbst einmal Augenzeuge zu werden Gelegenheit fand. In meinem Beisein pflegte er seiner Liebhaberei keinen Zwang anzulegen, und so traf ich ihn einst an einem schönen, aber windigen Spätherbsttage, wie er einen Laubstreuhaufen auf dürrem Grasplan, neben einem jungen Kiefernbestand, zusammengetragen hatte und eben durch einen Pistolenschuß ohne Pfropfen entzündete. Knisternd züngelten die Flammen empor, die der scharfe Wind rasch zur baumhohen Lohe anfachte und den dicken Qualm über die Haide hinwälzte. Aber bald ergriff der glühende Brand auch die dürren Schmälen am Boden und verzehrte mit rasender Schnelle die wogenden Halme. Schon sengte die gewaltige Gluth die harzigen Nadeln der zunächststehenden Kiefern, als der kleine Steppenbrand, aus Mangel an weiterer Nahrung für die lechzenden Zungen des verheerenden Elementes, zum Glück in sich verloderte und somit der Wald verschont blieb. Hatte mich bei dieser Scene, um der Folgen willen, wahrhafte Angst erfaßt, so freute sich Pulverfuchs hingegen „wie ein Schneekönig über das scharmante Feuerwerk und lustige Geprassel und Geknister“, und nahm mir es sehr übel, daß ich, die Gefahr für den Wald erkennend, das Feuer auszupeitschen mich bemüht hatte. Ein anderes Mal erwischte ich ihn, als er am Rande der Dresdner Haide hinter einer dicken Kiefer stand und vorsichtig hervorlugte, als lauere er auf etwas ganz Besonderes. Als ich mich aber ihm ungesehen genähert hatte und plötzlich scherzend fragte: „was macht Er hier auf dem Anstande?“ so zog er mich schmunzelnd hinter den Stamm, mit dem kurzen Bedeuten: ich würde es gleich hören und sehen. Und richtig! Kaum zwei Minuten waren nach dieser einfachen Unterredung vergangen, als ich auf einem vor uns liegenden wüsten Sandplatze, unter donnerähnlichem Gekrach, eine mächtige trümmergemischte Staub- und Rauchwolke emporwirbeln sah. Im ersten Augenblicke glaubte ich, der Kerl habe eine Mine gegraben und explodiren lassen, mit welcher Vermuthung ich auch so ziemlich das Richtige getroffen hatte, denn der verteufelte Nichtsnutz hatte in seiner Gaukelwuth ein seit langer Zeit hier befindliches, im Sande halb vergrabenes, verwittertes Denkmal, den sogenannten „alten Uhlanen“, mit Pulver in die Luft gesprengt.

Dies Monument rührte noch aus den Tagen August’s des Zweiten her, der es dem Andenken eines 1742 in Dresden verstorbenen polnischen Uhlanen hatte errichten lassen. Wie oft hatte ich sonst auf dem alten Steinbilde gesessen, das nun der muthwillig-übermüthigen Hand Pulverfuchses zum Opfer gefallen war!

Wie der Strolch mir nach der Affaire erzählte, hatte er Tags zuvor auf dem „letzten Heller“, dem Exercirplatze der sächsischen Artillerie, eine „crepirte“ Granate von einem stattgehabten Manöver gefunden und deren Füllung zur Sprengung des Grabmals benutzt. Lange nachher lagen noch die weit umhergeschleuderten Trümmer der vernichteten Statue auf brombeerumranktem Haidegrunde umher, bis die neueste Zeit über das Grab des polnischen Kriegers den hochunterdämmten glatten Schienenweg führte, auf dem mit Windesschnelle der brausende Dampfzug bis in das Herz seines zerrissenen Vaterlandes eilt. Aber überhaupt hat der beschriebene Schauplatz sich völlig verändert, denn wo vor ungefähr zwanzig und weniger Jahren noch stille Waldeinsamkeit herrschte, erhebt sich jetzt eine ganze, belebte Vorstadt Dresdens.

Doch kehre ich wieder zu meinem Waldvagabunden zurück. Ich müßte es lügen, wenn mich solche Uebergriffe Pulverfuchses, obgleich ich sie schon damals entschieden mißbilligte, von ihm abgeschreckt hätten; im Gegentheil, der Freizügler wurde mir dadurch nur noch interessanter. So ist’s denn erklärlich, daß ich, je älter ich wurde, je freier ich also über meine Zeit und Ausflüge verfügen konnte, auch um so häufiger mit dem Waldläufer draußen zusammentraf. Ja, oft strich ich nun ganze Tage lang mit ihm umher, wobei ich den originellen Kauz so recht studiren konnte. So nahm ich unter andern dabei wahr, daß er nicht nur ein vortrefflicher Vogelfänger und Angeler, sondern seinen verblümten Andeutungen nach auch ein abgefeimter Schlingensteller auf Wild sein mochte, obwohl er mir solches nie eingestanden hat, während er erstere Fangarten ohne Hehl vor meinen Augen betrieb und zwar mit einer Virtuosität, die mich in Erstaunen versetzte. Namentlich verstand er das Forellenfischen in den Waldbächen gründlich und zwar nicht nur mit der Angel, sondern auch ganz besonders mit der bloßen Hand. Hatte er aber bei solchen Gelegenheiten reiche Beute gemacht, für welche er jederzeit, wie er behauptete, gute Abnehmer fand, so pflegte er sich wie zum Lohne für seine Thätigkeit an einer hübschen Stelle des Waldes in’s weiche Moos zu lagern und seinen Schnappsack – er lebte beiläufig gar nicht schlecht – zu öffnen, um mit Brod, Butter, Wurst oder Fleisch und einigen tüchtigen Schlucken Branntwein seinem Leibe etwas zu Gute zu thun. Außerdem führte er noch ein „Pimpelmännchen“ – wie er’s nannte – in besonderer Flasche bei sich, das heißt eine mit Kümmel legirte Sorte Schnaps, die er auch mir zu credenzen für würdig erachtete. Nach solchen lukullischen Genüssen gerieth er gewöhnlich in redselige Stimmung, in der er mir dann oft Abenteuer seines Lebens mittheilte. Folgende Erzählung, die er mir bei angeregter Laune zum Besten gab, mag zu seiner Charakterisirung hier eine Stelle finden, so wie sie seinem Munde entfloß:

„’s war vor ein paar Jahren im Winter und hatte nächten eine grausame Masse Schnee ’runtergeworfen, als ich mich am fruhen Morgen auf die Socken machte, um ein Bissel Holz in’s Haus zu holen. Da ’s mit dem Leseholze zu lange gedauert haben würde, nahm ich mir ein Sägeblättel, das ich mir um den Leib legte, mit, um damit schnell ein paar dürre Stängelchen abzufiedeln. Natürlich wollte ich um der Lumperei willen nicht etwa weit hinter in die Haide kracksen, aber wie ich einmal draußen war und mich warm gegangen hatte, da gefiel mir’s so, daß ich dachte: was sollst Du heim sitzen? und ging also weiter und zwar auf dem „Kannenhenkel“ hinaus, hinter nach dem „schwarzen Kreuze“. Wurde Einem auch das Gehen in dem tiefen Schnee etwas sauer, so war’s doch gar prächtig im Walde, daß ich mich nicht satt d’ran erfreuen konnte. Der Wald sah aber auch gar so herrlich aus – ein Maler hätte ihn nicht schöner malen können! Die Bäume hatten sich von der Last Schnee rechts und links über den Weg gebogen, daß man wie in einem Kirchgang d’runter hinging, nur daß kein Gotteshaus so schön ausstaffirt sein kann, und wenn’s von lauter Gold und Marmor wäre. Kreuz und Kanonen-Pulver, wie gar prächtig sahen die vollhängenden Bäume aus, als die Sonne durchbrach und nun so zwischen ’neinflimmerte! Das war doch grade, als wenn der liebe Gott mit Edelsteinen um sich ’rum würfe. Denn da sah man’s überall glänzen und funkeln, daß Einem die Augen ordentlich übergingen – ich mußt sie, hol mich der Teufel! förmlich darvor zublinzeln. Dabei kam mir’s ordentlich heilig im Walde vor, so daß, als ich am „schwarzen Kreuze“ vorbeikam, wo ich sonst gerne rasch vorüberschnelle, weil’s dort „scheechen“ soll, ich, Ihr könnt mir’s glauben! stehen blieb und mir auf einmal unser Heiland einfiel. Dabei wurde mir’s so eigen zu Muthe, daß ich an allerhand neck’sches Zeug dachte, wie an meine verstorbenen Eltern – Gott hab’ sie selig – und den alten Cantor, bei dem ich in die Schule ging und der nun auch schon lange in’s Gras gebissen hat. Auch wurde mir’s so einsam um’s Herz, daß mir’s ordentlich zu grauen anfing und ich deshalb schnell auf dem „F“ ’nunter nach der „Scheibe“ lief, um nur so schnell wie möglich das fatale Kreuz hinter mir zu haben; denn ich weiß schon, ’s läßt Einen doch nicht gerne ungeschoren vorbei. Darauf wurde mir auch richtig bald wieder ein Bissel leichter um’s Herz, besonders wie ich mir vornahm, nächsten Sonntag wieder einmal zu Gott’s Tisch zu gehen, wozu ich seit meiner Mutter Tode nicht wieder gekommen war.

Na, ich ging also mit meinen Gedanken immer weiter auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_828.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)