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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Da der Propst in der Religion in dänischer Sprache examinirte, welche die Kinder nicht verstanden, so antworteten diese regelmäßig falsch. In Folge dessen erklärte der Propst nach Beendigung des Examens dem Hofbesitzer, daß die Gouvernante binnen acht Wochen ein dänisches Examen zu bestehen habe, widrigenfalls sie entlassen werden müsse. Da dieselbe sich zu einem solchen Examen zu stellen nicht für gut befand, erging von Seiten des Kirchenvisitatoriums ein Rescript an Berkhahn, binnen vierzehn Tagen die Gouvernante bei einer namhaften Strafe zu entlassen.

Der König verweilte damals, wie er gewöhnlich thut, auf dem Schlosse Glücksburg. Es gelang dem Berkhahn, eine Audienz bei dem König zu erhalten. Derselbe sagte ihm, da er einmal in einem gemischten District wohne, so könne auch mit seinen Kindern keine Ausnahme gemacht werden, und fragte, ob denn nicht noch einige alte Leute im Kirchspiel wohnten, welche dänisch verständen, worauf Berkhahn antwortete, daß er sechs Jahre Kirchenvorsteher gewesen sei und das Kirchspiel genau kenne, daß es aber Niemanden im Kirchspiel gebe, der eine dänische Predigt verstehe, wenn auch mehrere, welche als Soldaten in der dänischen Armee gedient hätten, einzelne dänische Wörter verständen; die Kirche sei deshalb bei dem dänischen Gottesdienst auch immer leer.

Ueber den Inhalt dieser Audienz brachte der Altonaer Mercur eine Notiz. Plötzlich wurde gegen Berkhahn eine Untersuchung eröffnet, derselbe vom Hardesvogt gerichtlich vernommen, und nach Verlauf von einigen Wochen war Berkhahn vom Polizeigericht zu Struxdorfharde zu einer zehntägigen Gefängnißstrafe und zu den bedeutenden Proceßkosten verurtheilt, weil er sich der Agitation gegen die Verfassung schuldig gemacht habe. Daß die Gouvernante längst entlassen war, versteht sich von selbst. Nicht wahr, das ist doch ein denkwürdiges Urtel? Ein Urtel, wie es nur ein dänischer Gerichtshof sprechen kann. Jemanden zu zehn Tagen Gefängniß verurtheilen, weil er die Worte mitgetheilt hat, welche der König zu ihm äußerte. – Ich muß dagegen hinzufügen, daß Berkhahn wider alles Erwarten in zweiter Instanz vom Appellationsgerichte freigesprochen wurde; die Kosten mußte er aber dennoch bezahlen. In Criminaluntersuchung war er aber doch gewesen, und wenn er nun nicht appellirt hätte, was dann? Dann hätte er doch richtig seine zehn Tage abgesessen. Das nennt man in Schleswig dänische Gerechtigkeit!“

Der Wagen hielt, als mein Nachbar mit der fabelhaften Geschichte, von deren vollständiger Wahrheit ich mich später durch Einsicht der Acten selbst überzeugt habe, gerade zu Ende war. Das Ziel unserer heutigen Reise war erreicht. Der Hof, den ich besuchen wollte, war nur einige Minuten von dem Punkte der Landstraße, wo der Wagen hielt, entfernt.

Wir stiegen aus. Der Kutscher reichte uns das Gepäck von dem Verdeck. Ich schüttelte meinem stämmigen Reisegefährten, der für seine breite Figur jetzt hinreichend Platz auf der Bank fand und es sich bequem machte, zum Abschiede herzlich die Hand, rief den Andern ein „Lebewohl“ zu, und der Wagen rollte weiter. Der Hofbesitzer gab einem Bauerburschen, der vor der Thüre des Posthauses umherlungerte, Auftrag, meinen keinen Koffer nach seiner Wohnung zu tragen, und trat in das Posthaus. „Nur ein paar Minuten,“ sagte er, „ich will nachsehen, ob Briefe für mich da sind.“

Nach einigen Minuten kam er zurück, zwei Briefe in der Hand. Sein Gesicht sah zornig und erregt aus. „Was haben Sie denn?“ rief ich ihm entgegen; „Sie haben sich geärgert!“

„Soll man sich nicht ärgern?“ erwiderte er, „täglich neue Erbärmlichkeiten! Und immer so kleinlich! Sehen Sie diese beiden Briefe. Da ist mein Name und mein Wohnort, welche selbstverständlich in deutscher Sprache geschrieben sind, weil ich in einem ganz deutschen Districte wohne, wo auch nicht ein einziger Däne zu finden ist, nun von den dänischen Postbeamten des Absendungsortes durchgestrichen und in dänischer Sprache darüber geschrieben.“

„Das ist so albern, daß ich kaum darüber lachen kann.“

„Glauben Sie das nicht, der Grund ist mir ganz klar. Es ist schon mehrmals geschehen. Einer meiner Nachbarn hat neulich auch bereits eine in dänischer Sprache geschriebene Verfügung bekommen. Auf Grund von so wenigen Thatsachen, welche uns gewaltsam aufgedrungen werden, wird dann unser District nächstens für einen „gemischten District“ erklärt. Und dann wird in unserer Kirche am nächsten Sonntage dänisch gepredigt, der deutsche Unterricht wird in der Schule ausgerottet, auf dem Wegweiser dort am Wege, den Sie da sehen, wird der Name des Dorfes in dänischer Sprache geschrieben – und wir sind Alle über Nacht mit Haut und Haar Dänen geworden. Sehen Sie mal meinen Namen da an auf dem Briefcouvert. Wie er sich verdänischt ausnimmt! Ich kenne ihn kaum wieder. Pfui, über dies nichtswürdige Gesindel! Wie, ist Ihnen solch eine Schändlichkeit schon vorgekommen?“

Wüthend riß er beide Briefcouverts in Stücken und trat sie in den Straßenschmutz.

Einige Schritte ging er schweigend neben mir her. „Erzählen Sie meiner Frau und meiner Tochter diese neue Erbärmlichkeit nicht,“ sagte er dann mit immer noch zorniger Stimme, „wir sind gleich zu Hause. Da sehen Sie meinen Hof.“

Ich sah in der Richtung seiner Hand nach rechts. Einige funfzig Schritt von der Straße erblickte ich das Besitzthum meines Gastfreundes. Es war ein nach der Straße offenes Viereck, Alles geräumig und massiv, das Mauerwerk von gelbgrauen Ziegeln mit weißgestrichenen Fugen. Das Mittelgebäude war das Wohnhaus, die Seitengebäude bildeten die Scheunen und die Ställe. Sämmtliche drei Gebäude waren mit Stroh gedeckt. Die Fenster waren hoch und breit, die Fensterrahmen grün gestrichen, die großen Spiegelscheiben leuchteten in den Strahlen der Nachmittagssonne, zu der angestrichenen Thür führten einige Steinstufen. Vor dem Mittelgebäude erhob sich eine Colonnade verschnittener Linden. In einem weiten Kreise waren die Gebäude von einem Obstgarten umgeben, der in Schleswig den Namen „Apfelhof“ führt, und ein Staket von zierlich grün- und weißgestrichenen Pfählen, welches sich nach der Straße hin in ein breites, mit vielerlei Zierrath versehenes Thor öffnete, umfriedete das ganze Besitzthum, an dessen hinterer Seite sich der Gemüsegarten anschloß, den man in Schleswig den „Kohlhof“ nennt. Der Hof hatte ganz das Aussehen eines stattlichen adligen Gutes. Es fehlte nur der Hausgraben und die Ziegel- oder Schieferbedachung der Gebäude. Es herrscht in Schleswig ein großer bäuerlicher Wohlstand. Wie die Edelhöfe meistens von ziemlich anspruchslosem Aeußerem sind, haben sich die Parcellisten oder Hufner stattliche Häuser gebaut, deren innere Räume mit allem Comfort versehen und oft mit einem prächtigen Mobiliar, mit Teppichen, Stutzuhren, eleganten Schreibtischen, bequemen Schaukelstühlen, Pianinos und großen Spiegeln mit vergoldeten Rahmen versehen sind.

„Das ist eine prächtige Besitzung!“ konnte ich nicht unterlassen auszurufen. „Bei mir in Westphalen giebt es auch derartige große Bauergüter, aber es fehlt überall dort die Reinlichkeit, die Zierlichkeit und der Geschmack, worüber ich hier bei Euern Bauerhänsern staune. Statt des hübschen Gartens findet man dort Düngerhaufen und oft eine große Pfütze auf dem Hofe.“

Mein Gastfreund fühlte sich sichtlich geschmeichelt von dem Lobe, welches ich seinem Hofe spendete. Der schleswigsche Bauer ist stolz auf seine Wohlhabenheit und liebt es, diese auch im Aeußeren zur Schau zu tragen. Schöne und geschmackvoll eingerichtete Wohnungen, modische seidene Kleider, Hüte nach der neuesten Mode, stattliches Vieh, prächtige Pferde, zierliche Wagen sieht man überall auf dem Lande. Manche Hochzeit und manche Kindtaufe wird blos deshalb in so stattlicher Weise gefeiert, um recht viele Gäste einladen und seinen Reichthum so recht zeigen zu können. Der schleswiger Bauer liebt das Geld, wie alle Bauern in der Welt, aber derselbe ist kein Filz, kein Knicker; er heirathet schwer die Tochter eines Tagelöhners, weil sie ihm kein Vermögen mit in’s Haus bringt und weil die veränderte Wirthschaft doch einen größern Aufwand erfordert; aber seine Gastfreundschaft ist unbegrenzt, reichlich theilt er den Armen und Nothleidenden mit, und während der Kriegsjahre, welche wahrlich auf manchen Theilen des Landes schwer gelastet haben, war ihm für sein Vaterland kein Opfer zu groß. Er gab es freiwillig und mit Freuden. Aber er bildet sich auf seinen Reichthum, auf seine Bildung, auf seine Belesenheit, auf seine politischen Kenntnisse auch nicht wenig ein. Besonders zeigt er diesen ganz gerechtfertigten Stolz den Inseldänen gegenüber. Er betrachtet seinen Hardesvogt, seinen Pastor, seinen Schulmeister, welche ihm die Regierung in Kopenhagen seit zehn Jahren statt der früher aus dem Lande gebürtigen Geistlichen und Beamten in’s Land geschickt hat, wie armselige Lumpe, welche gekommen sind, um sich satt zu fressen, weil sie auf ihren Inseln Hunger leiden, und sieht sie hochmüthig über die Achsel an. Daß er mit diesen Hungerleidern und „Levebrödern“ (Levebrod ist das Brod zum Leben) jeden gesellschaftlichen Verkehr vermeidet, versteht sich von selbst.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_810.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)