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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

sicher in ein behaglich durchwärmtes Wohngemach. Augenblicklich stand Speise und Trank in Fülle vor mir, und ich griff wacker zu. Als Hunger und Durst gestillt, kamen mir Gedanken verschiedener Art. Ich sprach sie auch aus, verblümt und unverblümt, gegen den Gastfreund, welcher ab und zu ging. Als der Farmer mich draußen unterm Arme führte, überragte seine Schulter die meinige um ein gut Stück, und ich habe eine ansehnliche Länge. Hier innen war er weit kleiner, als ich. „Der Boden senkt sich, Freund, und ich ging auf der Steigung, Du auf der Senkung.“ – Seine Stimme klang so voll, so mächtig durch die Nacht. Hier innen war sie leise, aus schwacher Brust, näselnd, übereinstimmend mit seiner gebückten Haltung, seiner Kleidung, seinen ruhigen, gelassenen Gebehrden. Er war offenbar ein Quäker. „Beim Anruf erhebt die Creatur ihre Stimme, und es giebt hier einen starken Wiederhall. Aber nicht ich erhob meine Stimme gegen Dich, so wenig, als das Gewehr. Das Gesetz des guten William Penn verbietet mir und meinen Brüdern die Waffen. Beides that mein treuer Elias, mein Diener zwar und schwarz von Farbe, aber nicht mein Sclave, mein Bruder in Christo, den der Herr erleuchtet hat in seiner Gnade, der aber doch heißes Blut hat, und ein Jäger ist mehr, als unser Gesetz es gut heißt.“

Die Luft des Zimmers war von Tabaksrauch nicht nur geschwängert, sie war durchqualmt. „Dein Bruder hat in Gottes Wort gelesen und seine Seele gestählt, daß er den Rebellen nicht fluche, die den Unsegen über die Union bringen und den Gottesfürchtigen ein Gräuel sind – er hat eine Schwäche, die zu bekämpfen er zu alt ist und der er sich hingiebt, weil sie dem Nächsten nicht schadet und ihm heilsam ist: Dein Freund raucht gern und, wenn sein Geist sich in das Evangelium versenkt, stärker, als er weiß.“

„Ihr seid also Unionist?“

„Wie kann ein Anhänger des guten William Freude haben an Zwietracht und Zerreißung des Zusammengehörigen? Ich darf selbst nicht daran denken, die Canaaniter und Amalekiter zu bekämpfen, allein meine Wünsche und mein Gebet folgen den Waffen, die sich gegen sie erhoben haben. Auch Dir, Freund, werden sie folgen, und vorzugsweise, denn an deinem Kriegskleide erkenne ich, daß Du zu den freiwilligen Schaaren gehörst, die das wackere Deutschland uns gesendet zu desto baldigerer Besiegung des heidnischen Gräuels der Sclaverei. Habe Dank, fremder Freund, für Dein Opfer auf dem Altare der Brüderlichkeit, der Vater im Himmel segne dich tausendfältig!“

Rasch ward die Thüre des Gemachs aufgerissen, und herein stürzte ein riesiger Neger mit dem Ausdrucke des Schreckens in Gesicht und Worten: „O Massa, die Rinder fort, Alle fort, nicht eins mehr da! muß ein Schreck gefahren in sie sein, haben die Fenz durchbrochen – Massa, o Je, was thun nun?“

„Zuerst bitte hier meinen Gast um Verzeihung, daß Dein sündlicher Zorn das Mordgewehr auf ihn losgedrückt!“ der Neger starrte mich an. „Ja, ja, Elias, thue es und lege dein heidnisches Wesen immer mehr ab zu Zebaoth’s Ehre.“ Elias ergriff zerknirscht meine Hand, legte sie auf sein gebeugtes schuldiges Wollhaupt und drückte sie auf seine Lippen, wie die Factur auf einen Ballen Baumwolle. „Und nun, Elias,“ fuhr mein Gastfreund gemächlich fort. „hänge deine langen Beine über den Grauschimmel und reite eiligst zu Nachbar Jonas und bitte ihn, daß er mit Tagesanbruch seine Leute aussende nach Aufgang, ich will mich mit den Unsrigen nach Niedergang aufmachen, auf daß wir eintreiben und fangen das entflohene unvernünftige Vieh.“

Mit freundlichem Grinsen hob sich der Schatten des Fürsten der Finsterniß von dannen. Ich aber schämte mich im Stillen und bat heimlich dem ehrenwerthen Quäker ab, daß ich in meiner Befangenheit das Geräusch der davoneilenden Rinderheerde für den Galoppschlag einer davonsprengenden feindlichen Versammlung gehalten. – Es war Alles klar, zu größerer Klarheit noch führte das weitere Gespräch zwischen uns – ja, Joe Zedekiah Salomon war den Conföderalen ein so grimmiger Feind, als es seine ruhige Natur und sein Glaubensbekenntniß nur immer gestatteten. Ich schlief unter seinem Dache ruhig, wie das Kind am Mutterbusen.

Die Sonne schien hell, als der Farmer mich weckte. „Wolltet Ihr nicht mit Tagesanbruch aufbrechen, nach den Rindern zu sehen?“ fragte ich ihn.

„Sieh dorthin, Freund, das Vieh ist doch nicht so unvernünftig, als wir denken; es hat bald eingesehen, was gut und böse für es ist, Eins nach dem Anderen ist von selbst zurückgekehrt unter das schützende Obdach und zu seiner – Pflicht. Ich aber habe auch noch eine Pflicht zu erfüllen: dich Verirrten zu deinen reisigen Brüdern zu geleiten.“

Wir sattelten im Stalle. Ein hochbeiniger Rothschimmel neben dem für mich bestimmten Falben knusperte eifrig an dem überreich aufgesteckten Heu. Doch was war das? das war nicht Heu, an dem der Gaul zog! – Rasch schoß mir wieder der Argwohn in den Kopf. Der Rothschimmel zog sofort nicht allein, ich zog mit am – schwarzen Aufschlag auf grauem Aermel. Mein kräftiger Ruck riß mit einem Male die feindliche Uniform aus ihrem Versteck. „Halloh, würdiger Gastfreund, wie kommt Ihr dazu?“ rief ich, triumphirend über das Beweisstück.

Freundlich lächelnd machte er eine abwehrende Gebehrde und sprach ruhig: „Du denkst übel von mir, junger Freund! Du wirst es nicht mehr thun, wenn ich dir sage: ein Gastfreund aus dem Süden, den die Rebellen gezwungen, ihr Kriegskleid anzulegen, entriß sich ihren gottlosen Reihen bei Nacht und eilte zu mir und dann weiter nach Norden zu theuren Verwandten. Er hinterließ wahrscheinlich das verhaßte und nun ihm gefährliche Gewand. Er ritt in meinen Kleidern von dannen, und ich, der Mann des Friedens, habe mich nicht gekümmert um diesen Harnisch des Abfalls. Aber unbesonnen hat er gehandelt und thöricht, denn wenn Andere deiner Gefährten es gefunden, möchten sie böser von mir gedacht haben, als Du, und mir nicht so glauben, wie ich sehe, daß Du es thust.“

Er hatte Recht. Ich glaubte ihm. Und warum nicht? Keine Spur an ihm von Ueberraschung, Verlegenheit, Schuldbewußtsein. So sehr ein Heuchler war er sicherlich nicht, daß er eine Scheinrolle so gut gespielt hätte. Er begleitete mich bis an unsere Lagerstätte und ergötzte dort die lustigen Cameraden gar baß durch sein gesetztes, friedfertiges Wesen, nicht zu seinem Vortheil gerade. Eins indeß flößte ihnen, wie schon mir unterwegs, Respect vor ihm ein: der Mann des Friedens zeigte sich als ein so sicherer, wie wagehalsiger, als unübertrefflicher Reiter.

Acht Tage später lagerte die erste Brigade unserer Division – vier Regimenter Infanterie, zwei Schwadronen Reiterei und vier Geschütze, commandirt vom Brigadegeneral Stahel – etwa zwanzig Minuten von dem Orte meines nächtlichen Abenteuers, in Centreville hinter den Verschanzungen, welche im vorigen Jahre die Südländer errichtet hatten. Unsere Vorpostenkette stand zwei Meilen vor dem Lager. Mein Regiment hatte sie zu stellen, mich mit. Das Piquet, zu dem ich gehörte, zwölf Mann, zwei Corporale, ein Sergeant, war das äußerste auf dem rechten Flügel. Wir bivouakirten auf dem Hofe einer Farm. Ihre Bewohner, der schon bejahrte Eigenthümer, seine Frau, ein junger Verwandter und drei Neger, standen im Geruche der Spionage. Wir hatten die Ordre, diese zu verhindern und Niemanden aus der Farm hinaus, Niemanden herein zu lassen. Das Piquet stellte daher einen Posten an den Eingang der Farm und einen Doppelposten etwa tausend Schritt östlich von ihr an den zu ihr führenden Weg. Dieser verlief zwischen Weizenfeld auf der einen und Wiesengrund auf der andern Seite, an welchen sich nach etwa tausend Schritten dichte Waldung anschloß. Feld und Wiese waren nach dem Wege zu eingefriedigt.

Diesen Doppelposten bezog ich und mein Freund und Camerad Robert Abends um neun Uhr. Es war sternenhell. Kein Lüftchen regte sich, in der ersten Stunde auch sonst nichts, was unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Von der Heimath flüsternd, hatten wir sie auf- und abgehend verbracht. Jetzt schwiegen wir. Ich stand auf der Straße. Sechs Schritte von mir lehnte mein Freund an einer Säule der Einfahrt in die Wiese. „Es kommt Jemand,“ rief er mir leise zu.

Mein erster Blick flog den Weg hinauf, er war rein. Mein zweiter traf die Wiese. Dicht an die Einfriedigung sich haltend, bewegte sich auf ihr ein dunkler Gegenstand langsam nach unserm Standpunkte her. Er kam auf hundert Schritt an uns heran. „Halt, wer ist da?“ riefen wir an. Die Gestalt kam noch immer langsam näher. „Halt, halt!“ – Der Schuß meines Freundes krachte durch die Nacht; unmittelbar darauf sprach auch meine Büchse. Ein Mann erhob sich jetzt zu voller Länge und lief schnellen Schrittes nach dem Walde zu.

Rasch war mein Gewehr wieder geladen. „Bleib auf Posten, Robert!“ und über die Fenz hinweg setzte ich dem Flüchtling nach. Die Jagd war wild, nicht lang. Noch zehn Schritt, und der

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