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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine Stätte, von wo Licht ausging.
Von Prof. Richter in Dresden.
Mit Rokitansky’s Portrait.
(Schluß.)


Es war ein Ereigniß, den Mann, welchen man bisher nur als einen tüchtigen Fachmann, aber trocknen Anatomen geschätzt hatte, in so tief gedachter und innig gefühlter Weise über die höchsten wissenschaftlichen und sittlichen Aufgaben des ärztlichen Standes und die ihm eigenthümliche Form der Religiosität sich aussprechen zu hören. Namentlich in Oesterreich machte es einen freudigen Eindruck, vor Allem im ärztlichen Stand selbst und unter den Hunderten von Rokitansky’s eigenen Zöglingen. Die damaligen Journale geben davon zahlreiche Beweise, und die kurz darauf erfolgte Beförderung Rokitansky’s mußte deshalb um so mehr Befriedigung erregen.

Hieran schloß sich bald nachher ein zweiter Erfolg. Längst genügte das kleine Local, in welchem der Meister seine berühmten Forschungen gemacht, nicht mehr den billigsten Ansprüchen und dem Andrang einheimischer wie fremder Lernbegieriger aus allen Erdtheilen. Dasselbe stand in grellem Contrast gegen den Glanz und die reiche Ausstattung der anderen Wiener Anstalten. Schon in den Jahren 1849 und 1850 hatte daher Rokitansky in Gemeinschaft mit Professor Dr. Skoda und dem neuen Krankenhaus-Director Regierungsrath Dr. Helm[1] einen Neubau des pathologisch-anatomischen Locals beantragt und spezielle Pläne nebst Kostenanschlägen eingereicht. Aber dazumal war ihre Sache noch mißliebig. „Die neue Medizin,“ sagt Helm in der Einleitung zu der weiter unten zu erwähnenden Festrede, „trat mit der alten Medicin und ihren Vertretern zu sehr in Gegensatz, als daß ihr daraus nicht Hindernisse aller Art erwachsen wären; aber sie schienen nach und nach beglichen. Da gab sich mit einem Male ein Bedenken über sie in den höchsten Kreisen kund; der Herr Minister selbst war dieser Richtung nicht freundlich gewogen, und der Bau des Hauses wurde vertagt.“ Aber es sollte nicht immer so bleiben. „Der Minister Bach sah ein, daß er Unrecht gethan, und beeilte sich es öffentlich in jedermann wahrnehmbarer Weise wieder gut zu machen.“ Er rief 1856 Vertreter der neuen Richtung um sich und bildete eine Commission für den Bau einer neuen pathologisch-anatomischen Anstalt, mit dem wörtlichen Bemerken: „Die Angelegenheit unmittelbar an ihn selbst zu leiten, damit sie nicht in den Büreaux verschleppt werde.“ (Helm.) So kam der Plan zu Stande; der Bau ward im November 1858 begonnen und binnen Jahresfrist, trotz des ausgebrochenen italienischen Krieges, am 31. Octbr. 1859 schon vollendet. Die Seele des Baues war begreiflich unser Rokitansky.

Dies stattliche Gebäude, dessen Außenseite unser zweiter Holzschnitt in voriger Nummer zeigte, ist zuvörderst dazu bestimmt, die (wissenschaftlich-)pathologischen und die (behördlich-)legalen Leichenöffnungen auszuführen und zum Besten der Wissenschaft wie des öffentlichen Gesundheitswesens auszubeuten. Es befinden sich daher in demselben, außer den zur Aufbewahrung, späteren Einsargung, beziehentlich Ausschmückung und feierlichen Fortschaffung der Leichen bestimmten Räumen, Localitäten für die Vornahme gesundheitspolizeilicher und landesgerichtlicher Sectionen, für die diensthabenden Sanitäts- und Gerichtsärzte, für die zum Belehrungszweck vor zahlreichen Zuhörerkreisen vorzunehmenden Leichenöffnungen; ferner Arbeitslocale für die Professoren der pathologischen Anatomie, der gerichtlichen Medicin und für alle klinischen Lehrer (innere, chirurgische, augenärztliche, geburtshülfliche Abtheilungen); sodann ein vollständiges Institut zum Betrieb und Unterricht der pathologischen Chemie und Mikroskopie; endlich große helle Säle zur Aufstellung der seltneren pathologischen Präparate (eine kostbare Sammlung, bisher, wie Rokitansky selbst sagt, auf eine troglodytische Unterkunft angewiesen). Ueberall sind Raum und Mittel geboten, auch für Jünger der Wissenschaft, welche sich der Lösung einer Aufgabe aus den Gebieten der pathologischen Anatomie oder Chemie widmen oder Versuche im Gebiet der Krankheitslehre anstellen wollen. Das neue Institut ist nun eine Musteranstalt geworden, wie keine zweite für dieses Fach in der Welt besteht, würdig der großen Kaiserstadt, würdig des kolossalen Joseph’schen Krankenhauses, würdig vor Allem des Meisters, der es gründete und durch seinen wissenschaftlichen Ruf zum unentbehrlichen Bedürfniß machte.

Charakteristisch ist die Inschrift, welche Rokitansky über dem Haupteingang anbringen ließ. Sie bezeichnet ganz das bescheidene Wesen dieses seltenen Mannes, denn sie bezweckt nichts Anderes, als das ganze Verdienst, das wir ihm zuschreiben, auf einen Anderen abzulenken. Sie lautet:

indagandis sedibus et causis morborum.

Das heißt: „zu Erforschung des Sitzes und der Ursachen der Krankheiten.“ Nun muß man aber wissen, daß vor 100 Jahren ein Mann lebte, welcher ebenfalls nach langjährigen Leichenzergliederungen in seinem 80. Jahre ein Werk veröffentlichte, das die wichtigsten Befunde enthält und in der That zuerst die pathologische Anatomie als Wissenschaft möglich machte. Dieser Mann war der Italiener Morgagni, Professor zu Padua, und sein Werk führt den Titel: „de sedibus et causis morborum per anatomen indagatis.“ Die Rokitansky’sche Inschrift soll bedeuten (wie auch seine Eröffnungsrede darthut): „nicht mir, sondern Morgagni gebührt die Ehre“. Es wird wenig Gelehrte geben, welche in dem Augenblicke, wo sie das Ziel ihres langjährigen Strebens erreichen, einer solchen Selbstverleugnung fähig sein würden.

Nachdem die mannigfachen inneren Einrichtungen noch geraume Zeit beansprucht hatten, erfolgte am 24. Mai 1862 die feierliche Eröffnung dieser neuen Anstalt. Rokitansky selbst hielt die Festrede. Es war seine zweite öffentliche, d. h. für ein aus Laien und Aerzten gemischtes Publicum bestimmte Rede. Sie erregte in noch höherem Grad als die obengenannte im ganzen Kaiserreich eine allgemeine Sensation und die freudigste Zustimmung, sowohl ihres Inhaltes als ihrer Tendenz wegen[2]. Denn sie sagte gerade heraus, daß der Bau und die Anlage des Gebäudes und die Tendenz des Institutes, wie der ganzen neuen Medicin, auf der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung fußen und eine weite Zukunft unaufhörlicher Forschungen im Auge haben. Sie beginnt und schließt mit dem Motto aus Steffens: „wo der Gelehrte ein Knecht ist, kann Keiner frei sein.“ Wir gestatten uns, auch aus diesem Vortrag einige der treffendsten Stellen herauszuheben.

„Vor Allem möge mir erlaubt sein,“ sagt Rokitansky am Anfang, „ein Blatt erlebter Geschichte aufzuschlagen, um bei feierlicher Gelegenheit mit den Genossen, welche sie versammelt hat, in der Erinnerung an Jugend und ungeschwächte Manneskraft zu erwarmen. Es ist, als hätte zu jener Zeit an dieser Stelle (nämlich im Leichenhof des allgemeinen Krankenhauses) ein Blockhaus gestanden, bewohnt von einigen wenigen Ansiedlern, heimgesucht von einigen wenigen vertrauten Freunden, welche einen langen Kampf unverdrossen gegen offene und versteckte Mißgunst durchgekämpft haben, einen Kampf, dessen Mühen endlich zum dauernden Siege geführt und mit diesem der Medicin ein umfangreiches Gebiet gesichert haben, auf welchem die Forschung feste Grundlagen, der Zweifel seine Aufklärung, der Streit seinen Richterstuhl findet. Zu den Triumphen dieses Sieges gehört der der Besitznahme dieses Gebäudes, der des Einzuges der Wissenschaft und ihres Unterrichtes in die Räume dieses Palastes etc. Lassen Sie uns seiner Bedeutung recht innig bewußt werden. Nicht allein zur Vornahme von Leichensectionen, mit Rücksicht auf das Bedürfniß einer größeren Oeffentlichkeit derselben, sind diese großen Räume bestimmt, sie sind daneben der Wissenschaft und ihrer Erweiterung gewidmet. Die Anlage und Weitläufigkeit des Gebäudes ist augenscheinlich auf eine ferne Zukunft und ihren Fortschritt berechnet; sie fußt auf der Freiheit der Naturforschung. Es sei daher erlaubt, zur Feier dieses Tages in eine Erörterung über jene Freiheit einzugehen!“

Nachdem Rokitansky hierauf erörtert, daß jeder Mensch die Berechtigung in sich trage, die Natur zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung zu machen, und daß wir unserer irdischen Rolle desto würdiger entsprechen, je mehr wir unsere Welt durch immer neue Anschauungen erweitern, je mehr wir dem unwiderstehlichen Drange nach Erkenntnis folgen: so kommt er auf die Schranken

  1. Letzterer ist den Norddeutschen als ehemaliger beliebter Brunnenarzt zu Franzensbad bekannt; er ward später Professor zu Padua und ist jetzt seit 14 Jahren Dirigent des großen allgemeinen Krankenhauses zu Wien.
  2. Diese Rede ist abgedruckt in mehreren österreichischen medicinischen Blättern (z. B. Wiener medicinische Wochenschrift 1862 Nr. 22, Prager medicinische Vierteljahrschrift 1862 IV.). Außerdem erschien sie in Sonderabdruck unter dem Titel: „Die feierliche Eröffnung des pathologisch anatomischen und chemischen Instituts etc. Festrede von Professor Dr. Carl Rokitansky, nebst einleitenden Worten von Regierungsrath und Professor Dr. Helm.“ Wien, Druck und Verlag von J. B. Wallishauser. 1862 gr. 8.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_758.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)