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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ungerechte Strafe verschmerzt, aber es sollte noch anders kommen und der unglückliche Neger eine weitere Erfahrung machen, die seine Begriffe von Recht und Unrecht vollständig verwirrte und ihm den Rachedurst des Tigers einflößte, dem man seine Jungen geraubt.

Es traf sich nämlich, daß ein Sclavenhändler aus Georgia in die Gegend kam, um seinen Vorrath von schwarzer Waare zu vervollständigen, da er den Auftrag hatte, eine neuangelegte Baumwollenpflanzung bei Savannah mit Negern zu versehen. Dieser sprach bei Lafitte vor, weil er schon öfter mit ihm Geschäfte gemacht und der Pflanzer, der durch die Aufhetzereien der Aufseher einen immer größeren Zorn gegen Schocko gefaßt hatte, kam auf den unmenschlichen Gedanken, Dinah, dessen Frau, und die beiden Kinder an den Georgier zu verkaufen. „Was wird der verdammte Nigger für ein Gesicht schneiden,“ dachte er mit teuflischer Lust, „wenn er, sobald er aus der Calebuse kommt, erfährt, daß sein schwarzes Weib mit den beiden Piccaninnys (kleine Negerkinder) über alle Berge ist!“ Der Handel wurde geschlossen, und die unglückliche Frau konnte nicht einmal die Erlaubniß erhalten, ihren Mann noch zum Abschied im Gefängniß zu sehen.

Wer konnte wohl die Gefühle malen, welche Schocko’s Brust durchtobten, als er mit kaum vernarbtem Rücken und schwerem Herzen den Kerker verließ und nun die Entdeckung machen mußte, daß seine Familie ihm für immer entrissen war! Doch der kategorische Befehl des Pflanzers und die drohende Peitsche seines Feindes Daly ließ ihm keine Zeit, seinen Empfindungen durch Klagen und Weinen Luft zu machen. Sofort mußte er wieder an die Baumwollenpresse. Dort suchte er von seinen Mitsclaven zu erfahren, nach welchem Orte Dinah mit den Kindern gebracht sei, da er sich im Geiste bereits mit Plänen zur Flucht beschäftigte, allein jene konnten ihm nichts weiter mittheilen, als daß der Händler weit, weit mit ihnen über den großen Fluß – sie meinten den Mississippi – gezogen sei. Seinen Herrn und die Aufseher wagte er aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu befragen, und so kehrte er am späten Abend traurig und niedergedrückt zu seiner Hütte zurück, um sich schlaflos aus seinem Lager herumzuwälzen. Plötzlich richtete er sich auf und, nachdem er gehorcht hatte, ob im Negerdorfe auch Alles ruhig sei, schlich er wie ein Schatten durch die Nacht.

Am Fuße einer dicht bewachsenen Anhöhe, welche von der Hügelkette, die die Baratariatabai[WS 1] halbmondförmig umgiebt, in die Ebene nach der Lagune und dem Bayou zu ausläuft, lag unter Palmettobäumen versteckt die Hütte der alten Urrica. Die Greisin, auf deren schneeweißem wolligem Haar die blaue Flamme des Ricinusholzes unheimliche Reflexe hervorrief, saß auf einem rohen Holzblock und stierte, finstere Flüche, wie sie dieselben vor achtzig Jahren an den Ufern des Congoflusses gehört hatte, zwischen ihren welken Lippen murmelnd, in das prasselnde Feuer. Da hob sich langsam der Binsenvorhang, welcher die Stelle der Thür vertrat, und die massive Figur Schocko’s tauchte aus der Finsterniß hervor. Stumm trat er ein und kauerte, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, neben Urrica nieder.

„Mein Kind,“ sagte die Alte, „ich wußte, daß Du kommen würdest, denn der Whip-poor-will hat sieben Mal gerufen. Massa hat Dir Weib und Kind geraubt, und Du willst wissen, wo sie hingekommen sind. Der Fetisch kann’s nicht sagen; er ist kein Bluthund, daß er Dinah’s Spur über den großen Fluß folgen könnte.“

„Ich weiß das, Mutter Urrica,“ antwortete Schocko, „aber er soll mir sagen, wie ich den weißen Bösewicht am besten strafen kann.“

„Ja, mein Kind, ich habe auch schon daran gedacht,“ versetzte die Alte, „aber Du mußt mir versprechen, genau zu thun, was der Fetisch mir sagt. Siehe, was Massa Dir gethan hat, hat er auch mir gethan, denn Du bist von meinem Blute. Die alte Urrica hat ihre Kinder und Enkel unter der Sclavenpeitsche hier verderben und verkommen sehen, ohne eine Thräne zu weinen; nun kommt die Reihe an Dich, aber Massa soll sich vorsehen, daß sein eigenes Blut nicht für alles Elend zu zahlen hat. Geh’ mit, und laß uns den Fetisch fragen.“

Sie erhob sich und schritt mit einem an ihrem Feuer entzündeten Ricinuszweige Schocko voraus in das Palmettodickicht hinein. Hier blieb sie vor einem hohlen Baume stehen, schwang ihre Fackel mit rasender Schnelle über ihrem Kopfe im Kreise herum und murmelte unverständliche Worte.

War es nun bloßer Zufall, oder kannte die alte Schwarze das Versteck der Schlange, genug während dem hatte eine Natter den Kopf aus einer Spalte des morschen Baumes gesteckt und züngelte nach der Alten.

„Sei ruhig, Schocko, fürchte nichts für mich,“ sagte Urrica leise zu dem erschrockenen Enkel, „der Fetisch thut mir nichts. Er will mir nur Kunde bringen.“

„Was hat der Fetisch gesagt, Großmutter?“ fragte der abergläubische Neger, indem er die Fackel auf dem feuchten Grunde auszulöschen bemüht war.

„Er schickt Dich zu seinen Vettern in der Lagune. Die werden Dir beistehen. Doch komm mit zur Hütte, es friert mich; dort will ich Dir Alles erzählen,“ war die Antwort.

Am nächsten Morgen sah man die alte Urrica auf ihren Stock gelehnt nach dem Herrenhause schleichen. Sie machte sich dort in dem Hofraume etwas zu schaffen, indem sie das Geflügel fütterte und den Negerinnen in der Küche kleine Dienstleistungen erwies. Als wie gewöhnlich um diese Zeit Fiddy, das braune Kammermädchen Blanche’s, erschien, um das Frühstück für ihre Herrin zu holen, knüpfte die Alte ein Gespräch mit derselben an und erkundigte sich angelegentlich nach dem Befinden des Herrn Lafitte und dessen Tochter. Die geschwätzige Mulattin erzählte ihr nun auf ihre Fragen, daß Miß Blanche schon seit längerer Zeit leidend sei und daß man deshalb einen berühmten Arzt aus New-Orleans habe kommen lassen, dieser habe aber erklärt, die junge Herrin sei eigentlich nicht krank, sondern nur nervenschwach, er habe auch aus diesem Grunde keine Medicin verschrieben und nur gerathen, daß Miß Blanche jeden Tag ein kaltes Bad nehmen solle. Die Herrin gehe nun jeden Morgen bei Tages Anbruch nach dem Weiher im Garten, um dort zu baden und dann ein Stündchen im Schatten der Bäume auszuruhen. Aus diesem Grunde sei es auch, sie selbst ausgenommen, allen übrigen Sclaven bei strenger Strafe verboten, diesen Theil des Parkes zu betreten.

Die alte Urrica hörte diese Aeußerungen mit einem widrigen Grinsen an und machte sich dann langsam auf ihren Heimweg. Im Negerdorf, welches, weil die Sclaven auf der Arbeit waren, wie ausgestorben dalag, blieb sie stehen und schaute sich um, ob sie auch beobachtet werde. Da sie sah, daß außer den gewöhnlichen Gruppen von Hausthieren nur ein paar ganz kleine Piccaninnys in der Morgensonne spielten, lockte sie einen jungen Hund, der sie zufällig anbellte, an sich heran, ergriff ihn mit einer für ihr hohes Alter unbegreiflichen Schnelligkeit und Kraft, hielt ihm das Maul zu und verbarg denselben gewandt unter ihrem Tuche. Darauf schritt sie langsam und ruhig ihrer Hütte in dem Palmettodickicht zu.

Die Glocke auf dem Herrenhause hatte eben Mitternacht angezeigt, und außer dem melodischen Rufe des Whip-poor-will und dem entfernten, wie gedämpfter Trommelschlag klingenden Geschrei der amerikanischen Rohrdommel war kein Laut zu hören. Der Mond stand rein und klar am Himmel und ließ sein blaues Licht auf den von keiner Brise getrübten Spiegel der Lagune fallen, die wie eine geschmolzene Bleimasse dalag, und kein Hauch der Luft bewegte die phantastischen Guirlanden des spanischen Mooses, welches wie ein weißer Schleier die dunkeln Zweige der hohen Sycomoren und Sumpfeichen überzog. Die ganze Natur athmete jenen Frieden, wie er nur den zauberischen Nächten des Südens eigen ist, den der Mensch aber so gerne bricht, wenn wilde Leidenschaften ihn anstacheln. Da, wo der schwarze Creek seine dunkeln Gewässer mit der Lagune vereinigte und das schilfige Ufer sich flach abdachte, stand Schocko im Schatten eines Baumes. Unter dem linken Arme trug er den jungen Hund fest verwahrt, und sein rechter war mit einer starken eisernen Stange bewaffnet. Er ließ einen langen, klagenden Ruf über das Wasser hin erschallen, dann in kurzen Pausen einen zweiten und dritten, worauf er horchte und seine dunkeln Augen über die spiegelblanke Fläche schweifen ließ. „Hier muß er liegen, der Bracoon,“[1] sagte er im Selbstgespräch, „der Fetisch lügt nicht, er weiß, wo sein Vetter wohnt. Habe ich doch gestern noch seinen moosbedeckten Rücken gesehen, als er in den Creek schlüpfen wollte.“ Schocko hatte sich nicht geirrt, denn das Wasser unter ihm kräuselte sich, Luftblasen stiegen auf, und bald kam Etwas an die Oberfläche, das einem formlosen dunkeln Baumstamme glich. Als nun das Hündchen unruhig ward und ein leises Wimmern ausstieß, nahte sich, wie von unsichtbaren Händen geschoben, der Baumstumm dem Ufer, und einen Augenblick nachher schoben sich die massiven Kiefer eines riesigen Alligators auf den Strand.

Jetzt wurde die ganze Lagune lebendig, phosphorescirende Streifen

  1. Bracoon, eine große, wilde Alligatorart, die gern Menschen angreift.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Baratariabatai
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_755.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)