Seite:Die Gartenlaube (1863) 705.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Meine Tante Therese.
Keine erfundene Geschichte.
(Fortsetzung.)

„Therese,“ konnte der Verwundete endlich hervorbringen, „ich muß sterben. Ich kann es nicht, ohne ein Wort von Ihnen vernommen zu haben. Können Sie mir verzeihen?“

Kann man einem Sterbenden die Verzeihung versagen? „Gewiß,“ sagte meine Tante. „Ich verzeihe Ihnen.“

„Alles, Therese?“

„Alles!“

„Aus vollem Herzen?“

„Aus dem Grunde meines Herzens.“

Er wollte noch etwas sagen und sah sie zweifelhaft an. Er kämpfte mit sich.

„Haben Sie Dank, Therese,“ sagte er. „Der Himmel lohne es Ihnen – lohne es Ihnen tausend Mal!“

Es waren nicht die Worte, um die er mit sich gekämpft hatte. Zu ihnen hatte er nicht den Muth gehabt. Aber ihr seine Hand hinzuhalten, das wagte er doch. Sie zögerte, ob sie die ihrige hineinlegen sollte, und er sah es, und ein tiefer Schmerz zog sich durch sein Gesicht.

„Therese,“ sagte er, und seine Stimme war fast tonlos – „darf ich Sie bitten, den Fuhrmann herzurufen?“

Sie erschrak doch. „Sie wollen wieder fort?“ sagte sie zögernd.

„Ja.“

„In der kalten Nacht? Auf diesem unbequemen Wagen?“

„Ich muß weiter.“

„Und wohin?“

„Wo ich sterben kann.“

„Nein, nein,“ rief die Tante. „Sie dürfen nicht sterben. Sie sollen nicht sterben. Es wäre Ihr Tod, wenn Sie weiter führen, Sie müssen hier bleiben.“

Sie war außer sich und hatte Alles vergessen, was er ihr gethan, was sie gelitten hatte, was er von ihren Worten denken könne. Er gewahrte, er ahnte es, und ein Strahl der Freude zuckte über sein Gesicht.

„Haben Sie mir auch aus dem Grunde Ihres Herzens verziehen?“ fragte er.

„O gewiß, gewiß!“ rief sie. „Glauben Sie es mir.“

„Und Sie wollen mich hier aufnehmen?“

Sie wurde roth. „Sie sind ja hier in Ihrem Eigenthum,“ sagte sie hastig und – indem sie ihre Hand in die seine legte, setzte sie hinzu: „Sie müssen hier bleiben.“

Er widersprach nicht mehr. Sie rief den Fuhrmann und die alte Magd herbei, den Verwundeten aus dem Wagen zu heben, und half selbst mit. Dann führten sie ihn in das Haus, und in dem Hause in dessen verborgenstes Stübchen, oben in dem Thurme. Sie hatte gesehen, daß er die preußische Uniform trug, und errieth das Weitere. Sein Aufenthalt im Schlosse mußte das tiefste Geheimniß bleiben. Wurde nur bekannt, daß ein Verwundeter Aufnahme im Schlosse gefunden habe, so war der Verdacht der Franzosen, die noch Herren im Lande waren, geweckt, Nachsuchungen mußten unausbleiblich erwartet werden. Eine Fortsetzung seiner Reise hätte ihn freilich einer noch größeren Gefahr der Entdeckung ausgesetzt.

Der Fuhrmann wurde mit einer reichen Belohnung gegen das Versprechen des Stillschweigens entlassen. Der ehrliche westphälische Bauer hätte ohnehin nicht den Verräther gemacht.

In dem heimlichen Stübchen bereiteten die Tante und die alte Christine dem verwundeten ein weiches, bequemes Lager. Dann untersuchten sie den Verband seiner Wunden, am Kopfe, am Arme, es saß noch überall fest. Und es that dem Kranken so wohl, auf dem lange entbehrten weichen Lager, unter der sorgsamen Erquickung und Pflege der beiden Frauen ausruhen zu können. Er warf ihnen Blicke der Dankbarkeit zu, und wenn er noch an Sterben denken mußte, so geschah es wohl nicht ohne Schmerz. Die Tante konnte er nur schmerzvoll ansehen. Sie mußte ihn verlassen; die alte Christine blieb zur Wache und Pflege bei ihm. Er sagte nichts, als sie ging, aber als sie fort war, hatte er ein paar Fragen an die Magd.

„Ist hier Alles beim Alten geblieben, Christine?“

„Es ist Alles, wie es war, gnädigster Herr.“

„Auch mit der Mamsell?“

Er sprach die Worte zögernd. Sie mußte ihn ansehen.

„Was sollte mit der Mamsell anders geworden sein, Eure Gnaden?“

Er fragte nicht weiter. Ihre Gegenfrage war ihm Antwort.

„Werde ich die Mamsell wiedersehen?“ fragte er am andern Morgen die Magd.

Sie sagte es der Tante wieder, welche zu ihm ging, denn sie durfte den Kranken nicht ganz allein lassen. Die alte Christine konnte nicht immer bei ihm sein, wenn sie nicht vermißt werden sollte. Der Verwundete dachte wohl nicht mehr an Sterben, als die Tante wieder zu ihm kam.

„Therese,“ sagte er, „Sie kennen die Uniform, die ich trage?“

„Es ist die preußische.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_705.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)