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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Nimmt man dazu noch die wahrhaft unglaublich klingenden Mittheilungen über magnetische Anziehung, Gräberlicht, durchsichtige Mauern etc., so ist das Mißtrauen um so gerechtfertigter. Wenn Reichenbach erzählt, daß die Hand des Fräulein Nowotny von einem starken Magnete angezogen würde, so sollte man glauben, daß auch ein beweglicher Magnet von der Hand des Fräulein Nowotny angezogen werden müßte. Das ist jedoch nach Reichenbach’s eigener Ansicht nicht der Fall. „Eine freischwebende Magnetnadel wurde durch die Hand des Fräulein Nowotny nicht im geringsten afficirt.“ Eine solche Erfahrung stände aber in so grellem Widerspruche mit der erkannten Gesetzmäßigkeit, welche den Wirkungen aller Naturkräfte zu Grunde liegt, daß jeder Naturforscher das Recht hat, so lange daran zu zweifeln, bis er sich durch eigene Experimente von der Wahrheit der Sache überzeugt hat.

Aber, wird man einwenden, Reichenbach selbst ist Naturforscher, er hat interessante Entdeckungen auf dem Gebiete der Chemie gemacht, die von anderen Chemikern bestätigt worden sind; also ist man, wie es scheint, verpflichtet seinen Untersuchungen Glauben zu schenken! – Der Begriff „Naturforscher“ ist jedoch ein sehr umfangreicher; Chemiker, Physiker, Zoologen, Botaniker, Physiologen sind alle Naturforscher. Reichenbach hat sich als Chemiker einen wohlbegründeten Ruf erworben; seine odischen Untersuchungen spielen aber sehr stark auf das Gebiet der Physiologie hinüber. Man kann nun ein sehr guter Chemiker und doch nur ein schlechter Physiologe sein. Darin kann der Grund liegen, daß Reichenbach’s Behauptungen am heftigsten von Physiologen angegriffen wurden.

Der erste Angriff ging wohl von Dubois Reymond aus. Er nannte Reichenbach’s Arbeit „einen abgeschmackten Roman, in dessen Einzelheiten einzugehen fruchtlos wäre – eine der traurigsten Verirrungen, der seit lange ein menschliches Hirn anheimgefallen – Fabeln, die in’s Feuer geworfen zu werden verdienen“ u. s. w.

Nicht minder schonungslos äußerte sich später Carl Vogt in seinen physiologischen Briefen, etwas milder, jedoch auch entschieden absprechend Liebig, Heidenreich, Ehrenberg und A. Die Zweifel an Reichenbachs Angaben mußten sich noch erhöhen, als Wiederholungen seiner Versuche, die man in Göttingen, Wien und anderen Orten vornahm, nicht den erwünschten Erfolg hatten. Reichenbach ließ sich jedoch dadurch nicht zurückschrecken. Er suchte alle Einwände der Gegner durch Gegengründe niederzuschlagen und warf denen, die seine Versuche ohne Erfolg wiederholt hatten, Nachlässigkeiten bei der Anstellung derselben vor. Allen Angriffen von Seiten der Gelehrten gegenüber tröstete er sich mit den Sympathieen des Publicums, welches theils durch seine eigenen Schriften („Die Dynamide,“ „der sensitive Mensch“ etc.) theils durch Berichte verschiedener Unterhaltungsblätter (z. B. der Leipziger Illustrirten Zeitung) Kunde von seinen Entdeckungen erhielt.

Diese Berichte erregten nicht geringes Aufsehen, sowohl durch die Neuheit der Sache, als auch durch den Reiz, den alles Wunderbare auf die Menschen ausübt. Dazu kamen die Beziehungen zu den von einer Seite standhaft behaupteten, von der andern Seite eben so standhaft bezweifelten Erscheinungen des thierischen Magnetismus. Die Sensation war um so größer, als das Bekanntwerden der Reichenbach’schen Entdeckungen in eine Zeit fiel, wo ganz Europa sich mit Tischrücken und dergl. beschäftigte, also die Empfänglichkeit für alle Wundergeschichten sehr groß war. Die Einwendungen der Gelehrten fruchteten hier so wenig als beim Tischrücken. Man erblickte in Reichenbach den Märtyrer seiner Sache und bewunderte den Muth des Mannes, der allen Angriffen seiner Gegner zum Trotz sich nach wie vor mit Enthusiasmus seinem Gegenstande hingab.

Es läßt sich auch von vollkommen unparteiischem Standpunkte Manches zu Reichenbach’s Gunsten anführen. Es ist nicht Alles unwahr, was unglaublich klingt. Nichts klingt unglaublicher, als daß man mit der bloßen Hand weißglühend-flüssiges Eisen anrühren könne, ohne sich zu verbrennen, und doch ist das Thatsache. Es ist auch nicht Alles unwahr, was die Gelehrten leugnen. Jahrzehnte lang leugneten sie die Behauptung, daß Meteorsteine fielen, bis der berühmte Meteorsteinfall von l’Aigle, wo ca. 2000 Stück an einem Tage fielen, auch den Ungläubigsten überzeugte.

Und selbst wenn man die Reichenbach’schen Mittheilungen über magnetische Anziehung, durchsichtige Mauern etc. in Zweifel zieht, bleibt doch noch genug übrig, was eher glaubhaft erscheinen könnte. Die Schärfe unserer Sinne ist so außerordentlich verschieden. Schwachleuchtende Körper, z. B. Sterne niederer Größe, sind für viele schwachsichtige Menschen unsichtbar, andere erkennen sie noch vollkommen gut. Warum sollte es also nicht Menschen geben, die im Stande sind, äußerst zarte Lichterscheinungen, wie die odischen sein sollen, wahrzunehmen, während diese für weniger fein organisirte Augen verborgen sind?

Gleiches läßt sich hinsichtlich der Gefühlserscheinungen bemerken. Wer mit nervenschwachen Personen umgeht, hat täglich Gelegenheit, zu beobachten, wie dieselben von leisen Geräuschen, unbedeutenden Erschütterungen und anderen Einflüssen, die für robuste Naturen spurlos vorübergehen, auf das Heftigsie afficirt werden. Solche Betrachtungen hatten mich veranlaßt, anzunehmen, daß in Reichenbach’s Angaben wohl einiges Wahre enthalten sein könnte. Doch enthielt ich mich vor der Hand eines jeden Urtheils darüber.

Im Winter 1861–1862 war Reichenbach in Berlin und entschloß sich, den Berliner Naturforschern seine odischen Experimente vorzuführen. Es wurden ihm dazu zwei Zimmer auf der Universität eingeräumt, die er absolut verfinstern ließ. Hier suchte er zuerst auf photographischem Wege das Odlicht nachzuweisen. Er nahm lichtempfindliche, frisch zubereitete Platten, bedeckte sie mit einem Pappdeckel, in dessen Mitte ein Kreuz ausgeschnitten war, und setzte sie der Einwirkung seiner vermeintlich odleuchtenden Körper aus. Als nach einiger Zeit auf der Platte ein der Oeffnung entsprechendes Kreuz bemerkbar wurde, war seine Freude groß. Er wollte allen seinen Sensitiven den Abschied geben.

Aber schon die ersten Versuche fielen keineswegs übereinstimmend aus, und ich vermuthete, daß nicht Odlicht, sondern ganz einfach ein wenn auch noch so schwacher Luftzug, der nur an den ausgeschnittenen Stellen des Pappdeckels die Platte treffen konnte, dort aber sie am raschesten trocknen mußte, die Ursache der photographischen Kreuze sein könne.

Es bestätigte sich dies in sofern schon damals, als drei auf meine Veranlassung angestellte Versuche in einem allseitig verschlossenen Kasten, der keinen Luftzug zuließ, vollständig mißlangen; später ist noch durch Dr. Schnauß der Beweis auf das Schlagendste geführt worden.

In dem Berichte, welchen Reichenbach über seine Versuche damals drucken ließ, erwähnt er freilich weder ihres häufigen Mißlingens, noch auch der Geschichte mit dem verschlossenen Kasten.

Indessen griff er doch endlich wieder zu seinen Sensitiven, von denen er nach langem Suchen, wobei ich selbst ihn unterstützte, eine Anzahl, die unter einander in Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Bildungsgrad verschieden waren, aufgefunden hatte. Er machte mit diesen Leuten eine Reihe von Versuchen, denen ich öfters beiwohnte und die ich oft auf frischer That wiederholte. Zuerst machte ich im dunklen Zimmer die Bekanntschaft einer sensitiven Dame. Als ich mich ihr näherte, behauptete sie, einen leuchtenden Schein an meinen Händen und an meinem Kopfe zu sehen. Ich ersuchte sie darauf, mir die Bewegungen zu nennen, die ich mit dem Kopfe machen würde. Sie gab bald rechts, bald links an, während ich in der Wirklichkeit den Kopf ganz still gehalten hatte. Bewegungen, die ich mit den Händen machte, wurden bald richtig, bald falsch angegeben. Die Antworten erfolgten dabei äußerst unsicher.

Reichenbach wollte nun die Sehkraft der Dame prüfen, indem er sich, schrittweise rückwärts gehend, von derselben entfernte. Als er sechs Schritte rückwärts gegangen war, sagte sie: „Jetzt sehe ich Sie nicht mehr.“ Ich wiederholte das Experiment, entfernte mich jedoch nur zwei kleine Schritte von der Dame und tappte dann mit den Füßen auf, als wenn ich ginge. Als ich zweimal aufgetreten war, sagte die Sensitive: „Jetzt sehe ich Sie nicht mehr!!“ Sonderbar war es, daß sie dennoch die mindestens zehn Schritte entfernte Mauerwand, obgleich dieselbe, nach Reichenbach, viel schwächer leuchten soll, als der Mensch, deutlich erkennen wollte.

Reichenbach wollte mir darauf die oben erwähnten „Wandschatten“ vorführen. Die Dame trat an die Wand, so daß ihre Augen circa 1 Fuß davon entfernt waren, und ich bewegte, Reichenbach’s Anweisungen gemäß, meinen rechten Arm langsam zwischen ihren Augen und der Wand nach verschiedenen Richtungen. Die Dame behauptete meinen Arm als schwarzen Schatten gegen die lichte Wand zu erblicken, konnte jedoch keine sichere Angabe über die Bewegungen desselben machen. Ihre Antworten blieben oft aus; dann suchte sie sich, bevor sie Angaben machte, mit dem Tastsinn von der Realität ihrer Beobachtungen zu überzeugen.

Interessanter war mir ein zweiter Abend in der Dunkelkammer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_634.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)