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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

den Inhalt mit Hülfe des Schlüssels, den sie zu der preußischen Geheimschrift besaßen, und nahmen eine Abschrift. War das geschehen, so wurde die Depesche wieder versiegelt und das Felleisen geschlossen. Das ganze Geschäft wurde auf dem Wege nach Wien besorgt, während der Wagen im raschesten Fahren blieb und nur an gewissen Stellen, wo die Pferde gewechselt wurden, auf wenige Minuten Halt machte. Auf der letzten Station vor Wien stieg der Courier wieder zu Pferde und überbrachte seine Depeschen, deren Abschriften Fürst Kaunitz bereits seit drei bis vier Stunden in Händen hatte.

Wie die Taxis’sche Post seine Depeschen behandle, erfuhr Friedrich der Große 1772, als sein Briefwechsel mit seinem Gesandten in Mainz über die polnischen und türkischen Angelegenheiten von einem höheren Beamten des Kurfürsten benutzt wurde. Dieser Gesandte, v. Dietz, erfuhr davon und machte einen gewaltigen Lärm. Dies war einer der Vorgänge, durch die öffentlich bekannt wurde, daß die Reichspost das Briefgeheimniß verletze. Uebrigens war Friedrich der Große, wenn er gleich kein schwarzes Cabinet besaß, in der Wahl seiner Mittel auch nicht zartfühlend. In Dresden hatte schon August der Starke Post und geheime Polizei mit einander in Verbindung gebracht, und unter der Verwaltung des Grafen Brühl war man darin noch weiter vorgegangen. Friedrich der Große zahlte dem sächsischen Hof mit gleicher Münze, indem er den Kanzlisten Menzel bestechen ließ, ihm den geheimen Briefwechsel auszuliefern, der zwischen Sachsen, Oesterreich, Frankreich und Rußland über die Vorbereitungen zum Kriege gegen Preußen geführt wurde. Auch in den Besitz der Geheimnisse des Wiener Hofs wußte sich der große König zu setzen. Von Zeit zu Zeit gingen nach Wien junge Preußen, ausgerüstet mit den Eigenschaften, welche das weibliche Herz und Auge zu bestechen pflegen. Man wußte in Berlin, daß die Kaiserin Marie Theresia immer einige bevorzugte Damen um sich habe, gegen die sie die wichtigsten Dinge unwillkürlich ausplaudere. Diese Damen hatten ihrerseits wieder bevorzugte Kammermädchen, die von ihnen mancherlei erfuhren. Die jungen Preußen hatten den Auftrag, solche Zofen zu gewinnen und ihnen ihre politischen Geheimnisse zu entlocken. Jeder von ihnen hatte eine feste Besoldung von fünfhundert Thalern und erhielt außerdem alle Ausgaben vergütet, die ihm seine Liebschaft verursachte. Erfuhr er etwas Wichtiges, so meldete er es nach Berlin und ließ den Brief auf einem sichern Wege abgehen. Nach dem Zeugniß eines preußischen Diplomaten brachten diese Agenten eigener Art großen Nutzen. „Ein hübscher Bursche,“ schrieb er dem Ritter von Zimmermann, „der die Kunst, mit Kammerjungfern umzugehen, aus dem Grunde verstand, erfuhr manchmal Dinge, die dem gesammten diplomatischen Körper verborgen blieben. Ich habe eine Menge Berichte solcher Art gelesen, die wirklich ausgezeichnet waren.“

Joseph II. fand das schwarze Cabinet in der Stallburg vor und schaffte es nicht ab. Er glaubte es zu seinen guten und edlen Zwecken benutzen zu dürfen. Unter seinen Nachfolgern kam es wieder auf die alte Weise in Thätigkeit und brachte Manchen in’s Unglück, der durch einige unvorsichtige Ausdrücke oder eine Prahlerei den Verdacht erweckt hatte, daß er zu den österreichischen Jacobinern gehöre. Während der ersten Besetzung Wiens durch die Franzosen (November 1805 bis Januar 1806) machte Talleyrand der geheimnißvollen Werkstatt in der Stallburg mehrere Besuche. Die Gräfin Rombeck, eine Schwester des Kanzlers Kobenzl, machte seine Führerin. Es ist kaum anzunehmen, daß er in der Stallburg etwas Neues erfahren habe. Von Allem, was Napoleon aus der alten Zeit erblich überkommen hatte, hat er sich nichts so vollkommen angeeignet, als die Schliche und Kunstgriffe der geheimen Polizei, und seine Fouché und Savary waren die Leute dazu, das Ueberlieferte weiter auszubilden. Aber auch mehrere deutsche Fürsten haben das schmachvolle Brieferbrechungssystem, das während der Rheinbundszeit in allen Hauptorten der Vasallenstaaten herrschte, beibehalten.

Die Stallburg gelangte nach 1814 zu einer zweiten Blüthe. Mißtrauen gegen sich selbst und gegen alle Menschen war der vorherrschende Charakterzug des Kaisers Franz. Er traute blos Schurken, von denen er genug wußte, um sie jeden Augenblick auf’s Zuchthaus schicken zu können. Gerade diese Menschen, die nach seiner Meinung gar nicht wagen durften, ihn zu betrügen, verleumdeten bei ihm seine treuesten Anhänger und seine nächsten Blutsverwandten. Erzherzog Johann verlor das Vertrauen des Kaisers für alle Zeit, weil einer dieser Zuträger dem Letzteren vorgeschwindelt hatte, daß sein volksbeliebter Bruder Alpenkönig werden, aus österreichischen Erblanden ein Königreich Rhätien bilden wolle. Diese mißtrauische Gesinnung mußte dem „guten Franz“ das schwarze Cabinet lieb und theuer machen. Jeden Morgen hörte der Kaiser zuerst eine Messe. Um sieben Uhr trat er in sein Arbeitszimmer und ließ es sein erstes Geschäft sein, den bereitliegenden Bericht der geheimen Polizei zu lesen, in dem zugleich die Ausbeute der vortägigen Arbeit des schwarzen Cabinets enthalten war. In der stillen Zeit der Restauration waren es meistens Klatschereien oder Liebeshändel, die er fand, und dieser Unterhaltungsstoff sagte ihm besonders zu. Um solcher Dinge willen konnte er die ganze geheime Thätigkeit in Bewegung setzen, damit sie ihm ausführlichere Nachrichten verschaffe. Es kam sogar vor, daß er sich persönlich genau unterrichten wollte und zu diesem Behuf mit einem Agenten an einem dritten Orte eine Zusammenkunft hielt.

Von der hohen Politik wurden die schwarzen Cabinete besonders gegen die Italiener benutzt. Die Carbonaria mit ihrer erwiesenen Ausbreitung nach Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal, und mit ihrer gemuthmaßten Ausbreitung nach Deutschland hatte der heiligen Allianz einen gewaltigen Schreck verursacht. Man hielt den Geheimbund für um so gefährlicher, als man auf Spuren gekommen war, nach denen er mit den Freimaurerlogen der romanischen Länder in Beziehungen getreten zu sein schien. Diesem Ungeheuer den Garaus zu machen, benutzte man jedes Mittel, barbarische Strafgesetze in Rom und Modena, die Bildung der reaktionären Geheimbünde der Calderari und Sanfedisten, das Einschmuggeln falscher Brüder in die Freimaurerlogen, endlich die Thätigkeit der schwarzen Cabinete. Die französische Regierung lieh ihre besten Leute her, die in Mailand, Venedig, Turin, Lucca, Ferrara, Padua, Florenz, Neapel und Rom an’s Werk gingen. Auch in Deutschland sollen in jenen Tagen der Demagogenriecherei schwarze Cabinete neu eingerichtet worden sein und zwei derselben, das eine in Frankfurt am Main, das zweite in Eisenach, „mit Auszeichnung“ gearbeitet haben.

Ueber 1830 hinaus läßt sich diese geheime und schimpfliche Thätigkeit nicht verfolgen. Wir glauben nicht, daß jeder Polizei in allen Fällen das Briefgeheimniß heilig sein werde, aber wir glauben ebensowenig, daß irgendwo in Culturstaaten noch ein förmliches schwarzes Cabinet bestehe. Solche Anstalten sind ungeheuer kostspielig, und es würde sich für sie kaum noch ein sicheres Versteck ermitteln lassen. Findet eine Ausnahme statt, so muß man sie westlich vom Rhein suchen, wo die bestverschlossenen Briefe nicht immer verhindert haben sollen, daß Jemand als Correspondent einer verpönten Zeitung „errathen“ worden ist. Gegen regelmäßige Brieferbrechungen ist die riesige Zunahme des Briefverkehrs ein sicheres Schutzmittel. Nach den amtlichen Verdeutlichungen sind innerhalb des deutschen Postvereins im Jahre 1860 an frankirten und unfrankirten gewöhnlichen Briefen und an recommandirten Briefen zweihundertundneun Millionen Stück befördert. Die Zumuthung, den auf eine Hauptpost fallenden Theil dieses Briefbergs zu sortiren und nach Vorschrift weiter zu verfahren, würde dem geübtesten und flinksten Brieferbrecher der guten alten Zeit den Angstschweiß auspressen. Wollte er sich auf die Briefe von und nach dem Ausland beschränken, so hätte er noch immer zweiundzwanzig Millionen vor sich. Diese Zahlen haben sich seit 1860 mit jedem Jahre vermehrt.

Was früher das Briefgeheimniß als frommer Wunsch war, das ist jetzt das Telegraphengeheimniß geworden. Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die Telegraphenbeamten den Inhalt der nichtchiffrirten Depeschen erfahren. Sie lesen alle Briefe, ehe sie sie weiter befördern. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, aber berühmte Processe haben den Beweis geliefert, daß diese amtliche Verpflichtung nicht hinreicht. Wohl immer wird das Briefgeheinmiß verletzt, um einem Dritten, der dafür gut bezahlt, durch Mittheilung einer Nachricht einen Vortheil zu verschaffen. Um diesem Mißbrauch zu steuern, ist ein Gesetz erforderlich, welches den Staat, falls der Beamte selbst vermögenslos ist, zum vollen Ersatz alles entstandenen Schadens anhält.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_632.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)