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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

aller Anwesenden. Von Einreden und Bitten wollte der pflichtgestrenge Mann nichts hören.

„Findet sich morgen, nachdem ich Bericht abgestattet habe,“ sagte er barsch. „Jetzt gebiete ich Ruhe und vorwärts alle Mann!“

Gegen dies diktatorische Wort gab es keine Einrede. Man mußte sich in das Unabwendbare fügen. Wirth und Gäste wurden in die Mitte genommen, durch verschiedene Straßen nach einem freien Platze geführt, auf dem ein altes, ziemlich großes Wachthaus stand, und hier unsanft in ein paar dunkle Zimmer hineingestoßen, ohne daß der Schließer sich die Mühe nahm, den späten Arrestanten ein Nachtlager oder nur eine Bank zum Ausruhen während der Nacht anzuweisen.




7.

Capitain Moritz Krahn war inzwischen nach dem Wunsche Osten’s zu seiner Braut geeilt. Er fand Dortchen weniger aufgeregt als tief betrübt. Das junge Mädchen hatte ihre Mutter so lange bestürmt, bis diese ihr das Vorgefallene unter vielen Thränen mittheilte. Sie konnte dabei nicht verheimlichen, daß sie für die Tochter fürchte; denn – meinte die brave Frau – eine gestohlene Echte hat noch niemals Segen gebracht!

Die Ankunft des Verlobten erfreute Dortchen zwar, die Angst jedoch, die sich ihrer bemächtigt hatte, vermochte auch der Geliebte nicht von dem Herzen seiner Braut zu nehmen.

„Das Schrecklichste ist,“ wiederholte sie mehrmals, „daß alle Leute mit Fingern auf mich weisen werden! Warum hast Du mir das gethan!“

Moritz Krahn betheuerte unter erneuerten Versicherungen seiner Liebe, daß er vollkommen unschuldig sei und keine Ahnung gehabt habe, auf welche Weise sein Vater in den Besitz des alten Silberstückes gekommen sei. Dortchen glaubte auch diesen Betheuerungen, Trost jedoch für sich selbst konnte sie nicht daraus schöpfen.

„Wir werden uns trennen müssen und ewig geschieden bleiben!“ lautete der Refrain, der sich immer von Neuem auf die Lippen der untröstlichen Braut drängte.

Der Capitain suchte die Brüder Dortchens auf, um sich mit diesen über die Maßregeln zu besprechen, die zur Geheimhaltung des unseligen Vorfalles ergriffen werden müßten. Leider aber fand er beide noch sehr junge Männer wenig zugänglich. Das Mißtrauen, wozu die Mehrzahl der Ohllander eine angeborene Anlage besitzt, hatte sich ihrer bemächtigt und erlaubte ihnen nicht, dem Manne williges Gehör zu schenken, der ihre einzige Schwester höchst wahrscheinlich in’s Unglück stürzen werde. Ob Leichtsinn, eigene oder fremde Schuld oder ein bloßer Zufall, den Niemand ahnen oder voraussehen konnte, die Sache veranlaßt habe, kümmerte Dortchens Brüder wenig.

„Haben Sie auf Niemand Verdacht?“ fragte Moritz Krahn, sich verstimmt wieder an die Mutter wendend. „Es muß ein Feind des Hauses sein, und zwar ein unversöhnlicher, der Euch dies angethan hat! Lebt Osten mit Jemand in Streit?“

„So lange wir zusammen wohnen, haben wir keinen Menschen beleidigt,“ gab die bekümmerte Frau des Baumhofbesitzers zur Antwort. „Heinz ist ein rechtlicher, verträglicher Mann. Er tritt Niemand zu nahe; er behandelt seine Leute wie Kinder; er ist weder geizig noch verschwenderisch; er ist eben ein Mann, vor dem Frau und Kinder, Freunde und Nachbarn Respect haben müssen.“

Die Frau sprach in diesem Lobe, das sie dem eigenen Manne zollte, nur das aus, was alle Bewohner des Ortes über Osten urtheilten. Er hatte wirklich keinen Feind und gab zu Streit und Mißhelligkeiten keinerlei Anlaß. Moritz Krahn aber konnte sich dabei nicht beruhigen. Er besichtigte jetzt das Wohnhaus Osten’s, das sich von anderen Häusern des alten Landes wesentlich freilich von nichts unterschied. Darauf ließ er sich von Dortchens Mutter die Kiste zeigen, in welcher der Schmuck aufbewahrt worden war. Dies führte zu einer Nachfrage über den Aufbewahrungsort auch des Zimmerschlüssels, den Moritz Krahn sehr genau in Augenschein nahm. Das Fenster, hinter welchem dieser Schlüssel hing, öffnend und schließend, sprach er: „Es ist ein Vertrauter Osten’s gewesen, eine Person, die jeden Winkel kennen muß, welche den Diebstahl verübte!“

„Wer kann das beweisen?“

„Die Umstände sprechen dafür! Der Dieb mußte sich erst in den Besitz des Zimmerschlüssels setzen, ehe er zu der Blumenkiste gelangen konnte! Ich wette, es ist ein Mensch, der früher bei Osten diente und Wohlthaten von ihm erhielt!“

„Wir wechselten nur zweimal unsere Dienstboten, und Alle waren ehrliche Leute, die jetzt sämmtlich im Lande angesessen sind.“

„Dann ist der Dieb ein verkappter Feind, ein Schleicher, den Ihr vielleicht heute noch füttert!“

In diesem Augenblicke ließen sich dicht vor der nur angelehnten Hausthüre unsicher schlürfende Schritte hören, und eine matte, klanglose Frauenstimme fragte ängstlich, als fürchte sie, etwas Unpassendes zu thun:

„Sind wir auch recht? Ist das Heinz Osten’s Hof?“

„Es ist der Baumhof, den Ihr sucht,“ entgegnete der Gefragte. „Soll ich Euch nun allein lassen und draußen an der Deichstiege warten, wie Ihr vorhin sagtet?“

„Geht noch nicht von mir, ich will mich erst vergewissern. Wenn ich recht bin, brauche ich durch Hof und Haus, in Küche und Keller keinen Führer!“

Diese Worte hörten sowohl der Capitain wie Dortchens Mutter ganz deutlich. Die Stimme der Sprecherin war Beiden unbekannt. Moritz Krahn öffnete neugierig die Hausthüre und blickte hinaus. Vom Baumhofe herein über den mit grobem Kiessand bestreuten Platz schritt, auf einen langen Stab gestützt, eine Frau in Ohlländer Tracht, um den Kopf den dunkelfarbigen Bund mit flatterndem schwarzem Band, wie ältere Frauen und Wittwen ihn tragen. An der Einhegung des Vorplatzes lehnte ein fremder Mann in Schiffertracht.

Nur drei Schritte von der Thür des Hauses wendete die Frau sich um und sagte in zuversichtlichem Tone zu dem fremden Manne: „Ich bin am rechten Orte. Ihr könnt gehen. Der Besitzer des Hofes selbst wird mich an den Deichstieg zurückgeleiten.“

„Wer ist das Weib?“ raunte der Capitain der Hausfrau zu, die scheu tiefer auf die Diele zurückgetreten war.

„Ich kenne die Frau nicht!“

„Sie scheint blind zu sein.“

„Wahrscheinlich eine Bettlerin.“

Der Stab der Fremden berührte jetzt tastend die Thür. Sie hemmte ihre Schritte und rief laut:

„Holla!“

Moritz Krahn gab der Hausfrau durch einen Wink zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten möge. Dann öffnete er geräuschlos die Thür des gewöhnlichen Wohnzimmers, als trete er eben aus diesem, räusperte sich und sprach: „Was ist Dein Begehr, Mütterchen?“

Ueber das gealterte Antlitz der Blinden glitt ein bitteres Lächeln, indem sie antwortete: „Du bist ein Fremder und kannst mich nicht kennen. Ich suche den Herrn dieses Hauses, Heinz Osten.“

„Osten ist nicht hier.“

„Wo find’ ich ihn?“

„Irgendwo auf dem Elbstrome, denk’ ich.“

„Segelte er nach Hamburg?“

„Kann wohl sein.“

Die Stimme des Capitains mochte der Blinden etwas spöttisch klingen, was sie aufbrachte.

„Du weißt es und willst es mir nicht sagen,“ fuhr sie fort. „Das muß ich tadeln, denn es ist gemein!“

„Hast Du hier zu befehlen?“

„Mehr als Du! Du bist ein Fremdling!“

„Aber ein Ohllander! Begehrst Du eine Gabe, so soll sie Dir gereicht werden.“

„Dir würf’ ich sie vor die Füße!“ grollte die Blinde. „Ich bin keine Bettlerin! Wann treffe ich Heinz Osten?“

„Du? Ich fürchte, für Dich wird Osten niemals zu Hause sein.“

Die Blinde erhob ihren Stab und drohte damit dem Capitain, der ein paar Schritte zurückweichen mußte, um nicht von ihr getroffen zu werden. Dadurch ward der Zugang zur Thür des vorderen Dielenzimmers frei, auf welche die Unbekannte jetzt zuschritt.

„So ist’s recht!“ sprach sie. „Du machst mir, die ich hier zu gebieten mehr berufen bin, als Andere, gebührend Platz. Darum verzeihe ich Dir. Drinnen am Fenster werde ich Osten’s Rückkehr erwarten.“

Der Capitain hinderte die Blinde eben so wenig als Dortchens Mutter, welche diese Unterhaltung schweigend und staunend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_595.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)