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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Blumen bestreuten, im Zimmer bereit stehenden Teller legte. Erst nach dem Verlobungsmahle, wenn der Bräutigam und die gesammte Freundschaft das Haus wieder verlassen hat, pflegt von der Braut, deren Eltern und Geschwistern die „Echte“ besichtigt, ihrem Werthe nach abgeschätzt und zu dem Heirathsgute der Frau, doch in besonderem Verschluß, gelegt zu werden.

Es war später Abend, als nach Entfernung aller Verlobungsgäste die Familie Osten im vornehmen Zimmer sich wieder zusammen fand. Mit zaghaftem Finger löste die erwartungsvolle Braut die kreuzweise das Packet umschlingenden blauen Seidenbänder, entfaltete es und ließ beim Erblicken der großen Silberstücke ein frohes Ah! hören.

Aus der Hand der Tochter empfing zunächst die Mutter des freigebigen Capitains reiche Verlobungsgabe. Die Mutter reichte sie dem Vater, der mit Kennermiene Gewicht und Klang der einzelnen Münzen prüfte.

Das größte Stück betrachtete Dortchen zuletzt. Es schien ihr besonders gut zu gefallen, denn ihr Auge ruhte mit freudigem Lächeln darauf.

Als die Mutter es empfing, begann sie zu zittern, und klirrend fiel die große, glänzende Münze auf die Erde.

„Wie ungeschickt!“ sprach Osten und bückte sich, sie aufzuheben. Kaum aber hatte er sie flüchtig angeblickt, als er sich entfärbte, das werthvolle Silberstück fallen ließ, als sei es von seiner bloßen Berührung glühend geworden, und mit dem Angstrufe sich Luft machte:

„Was ist das? … Will Krahn mich verhöhnen?“

Die Mutter deckte seufzend beide Hände über die Augen und ließ tief betrübt ihr noch immer anmuthiges Haupt auf die Brust sinken. Dortchen stand wie versteinert und sah mit ihren unschuldigen klaren Augen fragend den Vater an, der in größter Aufregung die Zimmerthür aufstieß und sogleich das Haus verließ.

Dortchens jüngster Bruder hatte inzwischen das verdächtige Silberstück wieder aufgehoben und es dem älteren Bruder gezeigt. Beide betrachteten es mit ungetheiltem Interesse, konnten aber begreiflicherweise nichts Auffälliges daran bemerken.

„Dem Vater muß das Gepräge nicht gefallen, obwohl ich es ganz allerliebst finde,“ meinten beide Gebrüder, legten das Stück zu den übrigen und folgten dem Vater, um von diesem wo möglich zu erfahren, was ihn so aufgebracht haben könne.




4.

Heinz Osten durchschritt seinen umfangreichen Baumhof in tiefen Gedanken. Seine Brust hob sich unter schwerem Stöhnen, als ringe er mühsam nach Athem. Manchmal nur murmelte er leise vor sich hin: „Es ist unmöglich! … Es kann nicht sein! …“

Die Stimmen der laut sprechenden Söhne verscheuchten ihn aus dem Baumhofe. Osten verließ ihn und ging die Hecke entlang nach dem Deiche. Diesen erstieg er, überschritt ihn und klomm auf der andern Seite zum Flußufer hinab, wo seine Schiffe ankerten. Hier blieb er stehen und ließ seine Blicke flußabwärts gleiten bis zu der Biegung, welche von dicht stehenden Bäumen überschattet war.

„Dort war es, wo wir den Streich ausführten,“ sprach er leise. „Und dort erreichte mich ihr Ruf nach Rache, den ich nie vergessen werde! Sollte sie – es ist undenkbar! Sie muß todt sein lange, lange Jahre!“

Osten verweilte so lange am kühlen Flußufer, bis er sich erleichtert fühlte. Dann ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder in’s Haus zurück, gebot den ihm entgegeneilenden Kindern mit ernstem Blick und barschem Wort Ruhe, und winkte seiner treuen Frau, indem er sagte:

„Mit Dir muß ich allein sprechen!“

Heinz führte seine Frau in das Schlafgemach. Es brannte kein Licht darin, halb nur dämmerte von leichtem Gewölk gedämpfter Mondschein durch die Fenster. Neben einem derselben nahmen die Eheleute Platz.

„Kennst Du die Münze, die Deiner Hand entglitt?“ fragte Osten die Gattin, ohne sie anzublicken.

„Ich kenne sie und eben deshalb erschrak ich.“

„Sie gehört zu Deiner Echte! An dem schräg abgeschliffenen untern Rande würde ich das Stück aus tausend ähnlichen oder gleichen leicht herausfinden. Es giebt aber keine zweite Münze im alten Lande, die dieser gleicht. Mein Urahn brachte sie mit aus der Fremde! Du hast sie schlecht verwahrt!“

„Sie lag seit Jahren unangetastet bei den andern Münzen, die Du mir am Verlobungstage schenkest!“

„Wo?“

„In dem Ebenholzkästchen mit der Perlmutterkrone. Die große Bernsteinkette, der Lieblingsschmuck meiner verstorbenen Mutter, bedeckte sie ganz.“

„Und wo verwahrst Du das Kästchen?“

„In der rothen Blumenkiste.“

„Ist sie verschlossen?“

„Immer.“

„Seit wann hast Du sie nicht mehr geöffnet?“

„Seit dem Confirmationstage Dortchens.“

„Zünde Licht an! Wir wollen die Kiste und das Ebenholzkästchen untersuchen.“

Dortchens Mutter gehorchte ohne Widerrede. Osten ging in’s vordere Dielenzimmer und nahm den Schlüssel von dem gekrümmten Messinghaken, der hinter dem schmalen Fenster in die mit Kacheln ausgelegte Wand eingefügt war. Dieser Schlüssel öffnete das hintere Dielenzimmer.

„Leuchte vor!“ befahl er, als die Frau mit einem hell brennenden Lichte zurückkam.

Das genannte Dielenzimmer ward in der Regel nur von der Hausfrau betreten, weil es ausschließlich die Schätze des Baumhofsbesitzers, in Leinen, werthvollen Kleidern, Gold, Silber und alten Juwelen enthielt, wie sie bei allen wohlhabenden Bewohnern des alten Landes im Gebrauch sind.

Die rothe Blumenkiste, so genannt, weil sie auf purpurrothem Grunde eine Menge Phantasieblumen des inventiösen Malers zeigte, war stets verschlossen. Der Schlüssel, welcher sie öffnete, lag in einer kleinen unter dem Charnier befindlichen Oeffnung des schweren Deckels, über welcher ein Metallplättchen lag, das sich mit Leichtigkeit zurückschieben ließ. Aus diesem verborgenen Behälter nahm jetzt die Hausfrau den kleinen Schlüssel, worauf Osten mit eigener Hand öffnete und den Deckel der Kiste zurückschlug. Das Ebenholzkästchen war aus derselben verschwunden!

„Gestohlen!“ stöhnte Osten. „Alle Deine Ketten, die alten Silberketten von meiner Großmutter und die ganze Echte gestohlen! Wer hat mir das gethan?“

Die erschrockene Hausfrau rang schluchzend die Hände. Nicht sowohl der Verlust schmerzte sie, als der Kummer ihres Mannes über denselben; denn sie wußte, daß ihr Heinz an den jetzt verschwundenen Kleinodien mit Leidenschaft hing.

„Aber wie kommt Krahn in den Besitz unseres Jakobsthalers?“ stieß er heraus, nachdem er die ganze Kiste nochmals gründlich durchsucht hatte. „Er war doch immer ein ehrlicher Mann.“

„Kannst Du zweifeln?“ entgegnete die Frau, die Heftigkeit ihres Mannes fürchtend, auf dessen Mienen sich Aerger und Zorn malten.

„Ich werde irre an den eigenen Kindern,“ sprach Osten. „Nur ein Eingeweihter, der alle Winkel und Ecken des Hauses kennt, und unsere Gewohnheiten dazu, kann den Raub begangen haben! Wenn einer unserer Jungen …“

„Heinz! …“

„Ich könnte eine so nichtsnutzige Creatur kaltblütig erwürgen!“

„Beide sind sparsam! Sie gerathen nach Dir! Und an fleißigem Schaffen lassen sie es früh und spät nicht fehlen.“

„Es ist die Wahrheit! Wer sonst aber findet den verborgenen Schlüssel?“

„Ich habe keine Ahnung!“

„Und ich muß es erfahren, und sollte ich das ganze alte Land durchsuchen lassen!“

„Keine Uebereilung, Heinz!“ bat die Frau. „Wir schänden uns selbst, wenn wir unsere Nachbarn für unehrlich halten! Schweigen wir über das Geschehene. Der Verlust läßt sich verschmerzen. Und ich putze mich nicht mehr!“

„Der Inhalt des Kästchens hat einen Werth von mehr als zweitausend Thalern!“

„Wenn auch, Heinz! Er drückt uns doch nicht!“

„Trotz alledem muß und will ich den frechen Dieb ermittelt wissen, der seine Hand nach meinem liebsten Eigenthume ausstreckte! Ehe dies nicht geschehen ist, bleibt Dortchen unverheirathet! Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_578.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)