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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

den Czako abnahmen, eine ordinaire Feldmütze aufstülpten und alle seine getrennten Sachen ihm zu Füßen legten. Mehrere Damen wurden während dieser Execution ohnmächtig fortgetragen, viele Leute seiner Compagnie weinten.

Nach vollstreckter Execution wollte man ihm wieder die Handschellen anlegen, da sprach er vortretend zu dem General: „Excellenz, geruhen Sie mir einen Augenblick frei zu lassen, da ich eine wichtige Mittheilung zu machen habe.“

„Sprecht,“ gab jener zur Antwort.

„Ich habe als verurtheilter Capitain meine Strafe erlitten, darum gebe ich Ihnen auch meinen bisher geführten Namen zurück. Ich bin nicht der Sohn des verstorbenen Bankiers Alswanger in Rom, sondern der Sohn des Kleinhändlers Diderici aus Straßburg“

„Wie hängt das zusammen?“

„Excellenz! die Sache ist zu weitläufig, als daß ich es hier auf der Straße mittheilen kann; geruhen Sie, daß wir dorten (nach dem Junkerhofe zeigend), eintreten und ich will Ihnen getreue Auskunft geben, die ich mit Schriftstücken belegen kann.“[1]

General Rapp, dem sofort von diesem Zwischenfall rapportirt wurde, erstaunte nicht wenig darüber und äußerte, daß ihn jetzt die vollzogene Execution weniger unangenehm berühre, da dieselbe offenbar einen Betrüger getroffen habe. Indeß müsse er gestehen, daß der Mensch, sei er wer er wolle, sich ehrenhaft benehme.




Im Artushofe wurden schnell die Tische für die Protokollführer, wie Sitze für die höheren Officiere eingerichtet und, als diese eingenommen waren, der Bestrafte vorgeführt. Er trat aus dem Kreis der ihn umgebenden Officiere und sprach:

„Excellenz, bis heute habe ich den achtungswerthen Namen Alswanger geführt und durch meine militärische Carriere und übrige Führung in Ehren gehalten. Mein unglückliches Verhängniß legt mir jedoch die Pflicht auf, denselben, von meiner Seite, gegen Schande zu wahren; darum bekenne ich frei, daß ich nicht der Sohn des vor zwei Jahren verstorbenen Bankiers Alswanger in Rom, sondern der Sohn des Kleinhändlers Diderici aus Straßburg bin. In meiner weitern Mittheilung werde ich so kurz als möglich sein.

Ich war ein wilder Bursche, der Platz hinter dem Schreibtische war mir zu enge, halbe Tage lang schweifte ich im Freien herum, lernte durch Zwang nothdürftig lesen, rechnen, schreiben und wurde im 9. Jahre zu einem Schuhmacher in die Lehre gegeben. Nach siebenjähriger Lehrzeit, in der der Spannriemen oft den sprudelnden Geist niederdrückte, wurde ich freigesprochen. Jubelnd wie die Lerche zog ich aus den Thoren Straßburgs und traf nach einigen Tagemärschen auf eine herumziehende Truppe Schauspieler und Gaukler, denen ich mich freudig anschloß. Rasch eignete ich mir alle ihre Kunststücke an, lernte mit Leichtigkeit zur Guitarre Lieder singen und wurde bald der Buffo der Gesellschaft. Aber nach einigen Jahren widerte mich das Verhältniß an, ich sehnte mich nach reellerer Beschäftigung, quittirte meinen Dienst und setzte mit der Guitarre meine Wanderschaft allein fort. Leider wurde ich überall, wo ich mich zur Arbeit meldete, abgewiesen, da man Deutsche, die auf schwere Lederarbeiten geübt waren, suchte, und ich nur die Anfertigung von Damenschuhen erlernt hatte. So kam ich nach Lyon, aber auch hier fand ich keine Arbeit, erhielt mich einige Zeit durch das neu Erlernte und zog getrosten Muthes nach Marseille. Vergeblich waren auch hier meine Bemühungen nach Beschäftigung, und ich sah mich wieder genöthigt, mein Leben in Wirthshäusern und Kneipen durch mein Bänkelsingen und Kunststückemachen zu fristen. In einem dieser Locale traf ich einen Schiffscapitain, der in argen Conflict mit der Gesellschaft gerathen war, und den ich glücklich durch mein muntres Auftreten aus den Händen seiner Gegner befreite. Aus Dankbarkeit nahm er mich mit nach Livorno, denn mir war es gleichgültig, wo ich hinkam. Reich beschenkt, nach damaliger Lage, entließ er mich. Auch hier fand ich trotz aller Mühe keine Arbeit, verließ mich auf meine Guitarre, die mir bisher Unterhalt gewährt hatte, und wanderte muthig weiter. So kam ich, nach mehr als Jahresfrist, nach Aquila und saß mißmuthig in einer Limonadenboutique. Da in der letztern Zeit der Verdienst sehr gering ausgefallen war, ich auch hier keine Arbeit fand, so kam ich beim Anblick mehrerer Officiere, die sich im Local befanden, auf den Gedanken, mich anwerben zu lassen. Bald bemerkte ich eine auffallende Bewegung unter denselben, und es schien mir, daß ich die Veranlassung zu ihren lebhaften Gesprächen sei, was mich verdroß und schließlich veranlaßte fragend hinüberzublicken. Doch kaum hatten sie mein volles Gesicht erblickt, so brachen sie in ein allgemeines Gelächter aus. Einer der Herren trat dann auf mich zu und fragte, wer ich sei. Wie erschrak ich, als ich ihn ansah! Ich glaubte nicht anders als in einem Spiegel mein Portrait zu erblicken, so vollständig ähnlich war mir der Mann, daß selbst das kleine Stutzbärtchen nicht fehlte. Vor Erstaunen vermochte ich nur zu antworten, daß ich ein wandernder Schuhmachergeselle sei. „Nun gut, so seid Ihr frei“ entgegnete der Officier, „und ich frage an, ob Ihr bei mir als Kammerdiener eintreten wollt.“ Mit Freuden sagte ich zu, da ich dadurch meiner Lebenssorge enthoben wurde.

Tages darauf wurde ich eingekleidet und war nun der wohlbestallte Kammerdiener des Lieutenant Alswanger, einzigen Sohns des Bankiers Alswanger in Rom. Mein Dienst war leicht, da ich es nur persönlich mit meinem Herrn zu thun hatte und die übrigen Arbeiten von der anderen Dienerschaft besorgt wurden. Nach der Einkleidung, und nachdem mein langgetragenes Haar kurz verschnitten war, trat die Aehnlichkeit mit meinem Herrn noch mehr hervor, so daß die zu einem Festmahl versammelten Herren stutzig wurden und meinten, daß Zwillingsbrüder nicht ähnlicher sein könnten. Bei diesen Zusammenkünften, theils in, teils außer dem Hause, ging es in der Regel so hoch her, daß ich oft meinen Herrn, den ich stets begleitete, kräftig unterstützen mußte, um ihn mit Sicherheit nach Hause und zu Bette zu bringen. Mehrmals ging der Herr in meiner Livrée aus, um seine Gäste in seinem Namen einzuladen, was ihm, wie er sagte, vielen Spaß gemacht habe. Einmal mußte ich bei einer ähnlichen Versammlung seine Uniform anziehen und seine Stelle am Tische einnehmen, doch hütete ich mich, viel zur Unterhaltung beizutragen, um nicht durch Dialekt und Redeweise die Täuschung bemerklich zu machen. Da rief einer derselben: „Jack, sing uns eines Deiner lustigen Lieder.“ Lachend zog der Herr die Livrée mit den Worten aus, daß er sich einen Spaß gemacht habe, wodurch die Anwesenden sehr unangenehm berührt wurden; doch der neu aufgetragene Syracusaner und Cyprier stellten bald das Gleichgewicht wieder her, und der Scherz wurde belacht.

An einem naßkalten Herbsttage geleitete ich wie immer den schwergehenden Herrn nach Hause, der über heftigen Kopfschmerz und Schwindel klagte. Ich bereitete schleunigst eine kühlende Limonade.“

„Oder vielleicht ein Glas Gift!“ unterbrach ihn der General.

„Geruhen Excellenz,“ erwiderte der Angeklagte, „gefälligst weiter zu hören. Die Limonade, wie der kalte Umschlag um den Kopf schienen ihn zu beruhigen, und nach einer Stunde konnte ich ihn ziemlich erholt zu Bette bringen, nachdem ich einen zweiten Umschlag gemacht hatte. Den Morgen darauf trat ich in das Schlafzimmer, um gewohntermaßen die Chocolade zu bereiten, die der Herr im Bette einzunehmen pflegte. Ich bemerkte, daß derselbe auffallend blaß aussehe, trat näher und erschrak, denn er war todt, kalt und steif. Wie ein Blitz schlug ein Gedanke durch mein Hirn. Was war natürlicher, als daß ich augenblicklich die Wäsche wechselte, was mir wahrlich nicht leicht war, und den Todten sofort in mein Bett und mich in das seinige legte. Nach einer Stunde rief ich nach Jack, und da er nicht kam, klingelte ich die übrige Dienerschaft zusammen, die nach der Untersuchung meldete, daß Jack todt im Bett läge. Ich ließ mich nothdürftig ankleiden und befahl schleunigst den Regimentsarzt, wie zwei Civilärzte, herbeizuholen. Nach einer Stunde erschienen die Herren. Während dieser Zeit hatte ich eine tüchtige Collation von dem feurigen Weine zu mir genommen. Nachdem die Doctoren von dem Vorfall unterrichtet waren, trat der Regimentsarzt, der meine Hinfälligkeit bemerkt hatte, zu mir heran, fühlte nach dem Puls und meinte, erst müsse für den noch Lebenden gesorgt werden, worauf ein Recept zur schleunigen Besorgung abgeschickt wurde. Nach genauer Untersuchung der Leiche erklärten sämmtliche Aerzte, daß hier ein Gehirnschlag eingetreten sei, und ich ließ mir ein Attest ihres Gutachtens ausfertigen, was die drei Herren unterschrieben. Der Regimentsarzt, der mich zu Bette gehen hieß, versprach Nachmittag wieder vorzukommen. Ich bat denselben, da ich mich von dem gehabten Schreck sehr angegriffen fühle, den General um einen Urlaub von acht Tagen zu ersuchen. Den erhaltenen Urlaub benutzte ich, aus den vorgefundenen Papieren und Briefen die Familien- und Freundschaftsverhältnisse

  1. WS: Im Original fehlendes Hochkomma sinngemäß ergänzt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_547.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)