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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ein echter Sohn seiner schlesischen Heimath, welche bekanntlich die vorzüglichsten Gelegenheitsdichter, Männer wie Schall, Geisheim etc. hervorgebracht hat. Eine Zeit lang durfte Löwenstein in Berlin bei keiner öffentlichen Gelegenheit, bei keinem Feste, selbst bei keiner größeren Privatgesellschaft fehlen, die er durch seinen liebenswürdigen Humor und seine heitere Laune zu beleben wußte. In letzter Zeit hat er sich jedoch zurückgezogen, um mehr sich selbst und seiner heranwachsenden Familie zu leben. Er ist ein ausgezeichneter Familienvater geworden und durch die Bande der Familie mit dem Besitzer des Kladderadatsch nur noch enger verbunden, da er dessen Schwägerin geheirathet hat.

Eigenthümlich ist die schriftstellerische Laufbahn des originellen Kalisch, welcher als der eigentliche Repräsentant des höheren Blödsinns betrachtet werden darf. Als angehender Tertianer verließ er das Gymnasium, um sich dem Kaufmannsstande zu widmen. Mehrere Jahre war er Commis in verschiedenen Geschäften und selbst Disponent in einer ansehnlichen Möbelhandlung. Der Drang nach Bildung und das ihm angeborene Talent ließen ihn seine einträgliche Stellung und sichere Laufbahn aufgeben, um sie mit der unsicheren eines deutschen Schriftstellers zu vertauschen. In dieser lernte er hinlänglich die Noth des Lebens kennen; in Paris, wohin er sich begeben hatte, mußte er eines Tages sein letztes Schnupftuch auf dem Boulevard verkaufen, um seinen Hunger zu stillen. Nach Berlin zurückgekehrt, fristete er nothdürftig sein Leben durch Bearbeitung von französischen Theaterstücken und kleinen Vaudevilles, die auf dem Sommertheater in Steglitz zur Aufführung gelangten und ihm ein Honorar von wenigen Thalern einbrachten. Durch seine, ebenfalls dem Französischen entlehnte Posse „Einmalhunderttausend Thaler“, die auf dem alten Königsstädtischen Theater gegeben wurde, gelang es Kalisch die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der ihm eigene schlagende Witz, die geistreichen Couplets, die glücklichen Localfarben und vor Allen die zündenden politischen Anspielungen wurden von dem Berliner Publicum mit Jubel aufgenommen und selbst von den höher Gebildeten als Anfang einer neuen zeitgemäßen Possen-Aera begrüßt. Der arme, unbekannte Handlungsdiener wurde mit einem Schlage ein beliebter und gesuchter Theaterdichter und humoristischer Schriftsteller. Als solcher betheiligte er sich bei der Begründung und Herausgabe des Kladderadatsch, der im ersten Jahre zum großen Theil von ihm geschrieben wurde. Kalisch besitzt jenen eigenthümlich populären Witz, jene hinreißende Komik, jene überraschenden und drolligen Einfälle, welche als sogenannter höherer Blödsinn oft eine unwiderstehliche Wirkung ausüben. Was ihm an eigenthümlicher Bildung abgeht, ersetzt er durch Ursprünglichkeit und Originalität, obgleich er redlich bemüht war und noch ist, die Lücken seines Wissens durch nachträgliches Studium auszufüllen, wobei er von seinem scharfen Verstande und schneller Auffassungsgabe wesentlich unterstützt wird.

Als glücklicher Possendichter hat Kalisch in kurzer Zeit ein ansehnliches Vermögen erworben, indem er in manchem Jahre gegen 8000 Thaler Tantièmen bezieht, wozu noch sein sehr bedeutendes Honorar als Hauptmitarbeiter des Kladderadatsch kommt. Trotz dieser glücklichen Umwandlung seiner äußeren Verhältnisse und der ihm zu Theil gewordenen Anerkennung leidet Kalisch, wie die meisten wahren Humoristen und echten Komiker, an einer unerklärlichen – Hypochondrie. Der Vater so manches lustigen Scherzes, manches zwerchfellerschütternden und die Welt zum Lachen bringenden Einfalls erscheint in größerer Gesellschaft nur ungern und, wenn er dazu gezwungen wird, gedrückt und schüchtern, obgleich es ihm weder an Geist, noch gesellschaftlicher Bildung mangelt. Um so überraschender ist seine wirklich hinreißende Fröhlichkeit und übermüthige Komik, wenn er sich zu guter Stunde in vertrautem Freundeskreise befindet. Dann umschweben ihn die Geister des Witzes, der Laune, eine unwiderstehliche Heiterkeit und Liebenswürdigkeit; die finsteren Augen leuchten hell auf; die ernsten Züge verwandeln sich in ein unbeschreiblich komisches Gesicht, um die gebogene Nase und den feinen Mund zucken und spielen die ausgelassenen Genien der Freude und des Scherzes, des gutmüthigen Spottes und des satirischen Humors um so toller, kecker und übermüthiger, je seltener dies geschieht und je ernster im gewöhnlichen Leben Kalisch ist.

So ergänzen sich durch ihre verschiedenen Talente und Gaben die Gelehrten des Kladderadatsch, welche durch ein sonderbares Spiel des Zufalls alle Drei geborene Schlesier, außerdem nahe Anverwandte sind und sich ohne alle Verabredung erst nach jahrelanger Trennung in Berlin zusammengefunden haben, der ehemalige Theologe, Philologe und Handlungsdiener, um dies in seiner Art einzige Witzblatt zu gründen.

Ein Hauptreiz des Kladderadatsch besteht aber in seinen witzigen Illustrationen und geistreichen Carricaturen, welche von dem Maler Scholz herrühren. Derselbe ist ein geborener Berliner, der Sohn eines tüchtigen Beamten und von seinem Vater für dieselbe Laufbahn bestimmt. Erst nach langen Kämpfen gestattete ihm dieser, seiner Neigung zu folgen und Maler zu werden. Er war Schüler eines wegen seiner frommen Richtung bekannten Meisters, unter dessen Leitung Scholz mit Heiligenbildern debutirte. Bald aber wandte sich sein Pinsel minder frommen Stoffen zu, indem er der ihm angeborenen Neigung für die komischen Seiten des menschlichen Lebens folgte. Schon als Mitglied des „Rütli“ überraschte Scholz durch seine humoristischen Zeichnungen und seine unwiderstehliche Laune. Er ist in der That ein geborener Humorist, und schon die bloße Erscheinung des langen, stets heiteren Scholz genügt, um die fröhlichste Stimmung zu erwecken. Unerschöpflich in lustigen Einfällen und überraschenden Wendungen besitzt er einen trockenen Humor, ein komisches Darstellungstalent, wie es nur wenig Schauspieler aufweisen können. Man muß Scholz bei dem Berliner Künstlerfest seine eigenen Carricaturen erklären hören, oder ihn in den ausgelassenen Festspielen und Partien bald als Tyrann, bald als schmachtende Dame sehen, wo sich der finsterste Hypochondrist des Lachens nicht erwehren kann. Der lange Scholz als Vater und der kleine Kalisch als sein Kind bilden zusammen eine komische Gruppe, die jedem Zuschauer unvergeßlich bleiben wird. – Mit ihm wetteifert noch Hofmann, der glückliche Besitzer des Kladderadatsch, der ebenfalls ein seltenes komisches Darstellungstalent entwickelt und im Vortrage kleiner witziger Begebenheiten seines Gleichen sucht. Unter andern Verhältnissen wäre er vielleicht ein ausgezeichneter Komiker, ein bedeutender Schauspieler geworden. Jedenfalls zieht er es jedoch vor, Eigenthümer des Kladderadatsch zu sein, der ihm ein fürstliches Einkommen sichert. Er kann nicht nur lachen, sondern er versteht auch die Kunst, Andere zum Lachen zu bringen und sich und die Welt zu amüsiren.



Ein Versuchsvogel, gewissermaßen ein Probestückchen der Natur, ist neuerdings in den Kaltsteinschichten von Solenhofen, die den in der ganzen Welt bekannten lithographischen Schiefer geben, entdeckt worden. Man kannte bis jetzt noch keine Ueberreste von Vögeln, welche in eine so frühe Entwickelungsperiode der Erde hinaufreichen, als die ist, in der jene Solenhofener Gesteine sich auf dem Grunde des Wassers absetzten. Jetzt erscheint auf einmal aus dem lang verschlossen gewesenen Grabe das Skelet eines Thieres auf das Feinste in der zarten Gesteinsmasse abgedrückt, das den vollständigsten Uebergang von den Reptilien zu den Vögeln bildet. Es ist von der Größe eines Raben, an den Vordergliedern zeigt sich ein Besatz scharf ausgeprägter Federn, aus denen sich fächerartige Flügel bilden, eben solche Federn stehen an dem Schwanz, der eine Länge von sechs Zoll hat und aus gegen 20 Wirbeln besteht. Der Befiederung nach haben wir einen Vogel vor uns, der Wirbelsäule nach eine jener merkwürdigen Flugeidechsen, welche in den Solenhofener Schiefern so häufig angetroffen worden sind. Und doch ist das Geschöpf keines von beiden. Es steht auf der Grenze zwischen beiden – weder Fisch noch Vogel. Es ist ein Uebergang von der einen unvollkommneren Form zu einer höher entwickelten andern; der erste Versuch der Natur, die Eidechse in einen Vogel umzugestalten. In der Folge haben sich die Eigenschaften der Reptilien mehr und mehr verwischt, neue dagegen hervorgehoben, und endlich nach unendlichen allmählichen Vervollkommnungen hat das Vogelgeschlecht seine jetzige Ausbildung erhalten.

Das so höchst wichtige Belegstück aus der Entwickelungsgeschichte des thierischen Organismus, entdeckt von dem Herrn Oberjustizrath Witte, haben die Deutschen leider von dem British Museum ankaufen lassen, welches einen Gelehrten lediglich dieser Erwerbung wegen nach Deutschland schickte.



Carl Maria von Weber, ein Lebensbild von Max Maria v. Weber. Unter diesem Titel erscheint in der nächsten Zeit eine ausführliche Biographie des großen Meisters, die dessen Sohn zum Verfasser hat. Das Werk wird zwei Bände umfassen (nebst einem Nachtrag), von denen der erste die Darstellung der Jugend-, Lehr- und Wanderjahre, der zweite die der Meister- und Jochjahre enthalten wird. Außer den Familientraditionen, Erinnerungen, Tagebüchern und Briefen, die sich schon in seinem Besitze befanden, hat der Verfasser durch siebenjähriges unablässiges Sammeln ein ganz ungemein reiches noch nie veröffentlichtes Material an Correspondenzen und Mittheilungen zusammengebracht, das ihm theils auf zahlreichen deshalb unternommenen Reisen, theils auf briefliche Anforderungen von Behörden und Privatleuten mit einer Bereitwilligkeit geliefert worden ist, durch die sich das warme Interesse an dem volksthümlichen Componisten und der pietätvollen Unternehmung des Sohnes deutlich documentirt hat.

Eingedenk des Goethe’schen Ausspruches, daß nur ein Gespräch über Musik noch unfördersamer sei als eins über Malerei, hat sich der Verfasser von musikalischen Reflexionen und kritischen Zergliederungen der Werke fern gehalten und war dagegen bemüht den Entwickelungsgang des Meisters aus den innerlich und äußerlich auf ihn einwirkenden Einflüssen mit möglichster Lebendigkeit darzustellen. Mehr, als es in einer uns bekannten Künstlerbiographie der Fall ist, hat er dabei die Wechselwirkungen zwischen Publicum und Künstler kräftig hervorgehoben.

Der Sohn ist bei Ausarbeitung dieses wichtigen Buches mit großer Objectivität verfahren, und sein Werk ist nichts weniger als ein Panegyrikus auf seinen Vater. Wer aber die glänzende Darstellungsweise dieses talentvollen Autors kennt, wird mit uns die Ueberzeugung haben, daß aus dieser Feder nur etwas ganz Ausgezeichnetes und durch und durch Fertiges zu erwarten ist. Wie wir hören, wird das glänzend ausgestattete Buch mit einem vortrefflichen Portrait des Meisters und einer Abbildung des Denkmals (beides Stahlstich) geziert werden.



Zum deutschen Nationalturnfest. Ein Gedanke, ein Gefühl wird es sein, welches die Tausende und Abertausende unserer lieben Leser nah und fern beseelen wird in dem Augenblicke, da sie dies Blatt zur Hand nehmen werden: der Gedanke an das festliche Leipzig, an die große Festgenossenschaft, die zur selben Stunde einzieht aus allen Gauen des Vaterlandes, an alle die erhebenden Scenen, von denen der Antritt eines großartigen Nationalfestes begleitet ist. So wird das dritte deutsche Turnfest ein Fest sein, an dem sich das ganze Volk weit und breit erhebt; mitfeiern und geistig miterleben soll es jeder deutsche Mann und jede deutsche Familie als ein Fest der Wiedergeburt unseres nationalen Bewußtseins und unserer unumstößlichen Zusammengehörigkeit. In diesem Sinne rufen wir allen unseren Freunden, die nicht mit uns feiern und jubeln können, zu: Seid froh im Gedanken an das Fest Eurer Brüder in Leipzig, vereinigt mit ihnen Eure Wünsche und Gelübde, daß sie emporsteigen zum weiten Himmelszelt als das Morgengebet eines großen, jugendlich erstehenden Volkes!

Die „Gartenlaube“ hat schon früher über den Verlauf des Festes berichtet. Seitdem hat sich kaum etwas Wesentliches in der allgemeinen Anordnung geändert, so daß unsern Lesern das Mittel geboten ist, die Festlichkeiten im Geiste zu verfolgen; wie es dann in Wirklichkeit geworden, wie der Himmel – und von ihm hängt ja ein großer Theil des Gelingens ab – auf das Fest herniedergeschaut: das Alles werden wir berichten, wenn der erste Festesjubel vorübergerauscht und die große Festgenossenschaft erhoben und gestärkt in das ruhige Geleis des Alltagslebens zurückgekehrt ist. Vorläufig verweisen wir – bis unsere, freilich erst in 14 Tagen erscheinende Schilderung erfolgt – auf die Berichte der „Festzeitung“.


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