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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Alle Ziegenmelker sind echte Nachtvögel. Der erste kundige Blick auf ihr Gefieder beweist dies. Das Federkleid zeigt immer und überall düstere, nur selten halbwegs lebendige Farben, welche stets mit der Umgebung auf das Allergenaueste übereinstimmen. Nur ein geübtes Auge vermag unseren auf der Erde ruhenden Ziegenmelker und ein Stück flechtenübersponnener Baumrinde zu unterscheiden, wenn die Entfernung nicht gar zu gering ist. Schon auf zwanzig, dreißig Schritte hin verschwindet das Thier fast dem Blick. Die südlichen Arten sind sämmtlich lichter gefärbt als die unserigen, ja, in Afrika giebt es eine fast goldgelbe, welche die Steppe bewohnt und die Färbung der dürr gewordenen Grashalme trägt. Andere Arten sehen sandfarbig aus, und wieder andere gleichen der Rinde dortiger Bäume. Die Zeichnung ist bei allen Arten eine überaus zarte und zierliche. Die feinsten Wellenlinien laufen über die Federn, und nur hier und da sieht man größere Flecke, auf denen die Grundfärbung nicht unterbrochen ist.

In ihrem Betragen ähneln sich die verschiedenen Arten mehr oder weniger. Bei Tage legen sie sich zwischen hohes Gras, Haidekraut oder Gebüsch platt auf den Boden, gewöhnlich so dicht, daß ihr sonst runder Leib förmlich breit gequetscht erscheint und somit die Aehnlichkeit mit einem zufällig herabgefallenen Stück Baumrinde nur noch vermehrt. Mit Sonnenuntergang werden sie munter und zeigen sich nun in ihrem wahren Leben. Derselbe Vogel, welchen man bei Tag mit halb- oder ganzgeschlossenen Augen träge dasitzen, so zu sagen auf der Erde kleben sah, ist ein behender, rascher Flieger geworden, welcher mit den schönsten Schwenkungen und Windungen durch die Luft eilt, ganz lustig wird, komische Spiele aufführt und seinen merkwürdigen Gesang hören läßt. Die meisten Arten ähneln sich auch hinsichtlich ihrer Stimme vollkommen. Sie spinnen fast sämmtlich in der oben angegebenen Weise. Doch giebt es Ausnahmen. Ein amerikanischer Nachtschatten trägt den Namen „Whip poor Will“ zu deutsch: „Peitsche den armen Wilhelm!“ weil er Töne, die mit diesen Worten Aehnlichkeit haben, ohne Unterlaß hervorbringt. Ihre Nahrung besteht ausschließlich in Kerbthieren, und eben deshalb werden sie den Menschen nur nützlich und verdienen alle Schonung.

Wir lernen so ziemlich das Leben aller Ziegenmelker kennen, wenn wir uns mit dem Thun und Lassen der bei uns lebenden Art vertraut machen. Und deshalb will ich diese hier kurz zu beschreiben versuchen.

Der europäische oder getüpfelte Ziegenmelker hat ungefähr die Größe einer Schwarzamsel. Er ist elf bis zwölf ein halb Zoll lang, seiner großen Schwingen halber aber bis über zwei Fuß breit. An dem kleinen kurzen Körper fallen die starken Brustmuskeln auf; sie müssen aber auch gewaltige Schwingen in Bewegung setzen. Die Füße dagegen sind verschwindend klein und so wenig zum Gehen geeignet, daß der Ziegenmelker nur zu trippeln vermag. An den Zehen ist die mittlere ihres sägenartig gerandeten Nagels wegen und die innere deshalb merkwürdig, weil sie eben so wohl nach hinten als nach vorn gerichtet werden kann. Der Schnabel ist kaum zwei Linien lang und durch seine röhrenförmigen Nasenlöcher ausgezeichnet. Ein aus steifen, borstenartigen Gebilden bestehender Bart umgiebt ihn und die ganze Mundöffnung, welche dadurch vergrößert und zum Fange der fliegenden Kerfe geschickter wird. Das aschgraue Gefieder zeigt auf dem Oberkörper braune, schwarze und rostgelbe Streifen, Flecken und Tüpfel und eine äußerst feine, lichtgraue Wässerung; der Unterleib ist bis auf die weißgefleckte und bräunlich umränderte Kehle braungrau und dunkelgelb. Ueber den Kopf verlaufen zwei deutliche schwarze Längsstreifen, über die Flügel oben eine lichtere, unten eine dunklere Binde. Die drei vordersten Schwungfedern des Männchens haben einen runden, weißen, die des Weibchens einen gelben Fleck. Bei dem Ersteren zeigt auch der Schwanz auf jeder Seite einen weißen Spitzenfleck, welcher aber den Jungen noch fehlt.

Ein großer Theil von Europa ist die Heimath unseres Nachtschattens. Im Süden ist er häufiger als im Norden. Wälder, und zwar vorzugsweise mit Nadelholz bestandene, sind seine Wohnsitze. Hier zieht er die Stellen, auf denen große Bäume neben Schlägen und Dickichten stehen, allen übrigen vor. Man findet ihn übrigens nirgends häufig, sondern immer nur paarweise. Jedes Paar besitzt ein Gebiet von einer Viertel-, vielleicht von einer halben Meile ins Geviert und behauptet es hartnäckig gegen jeden frechen Eindringling. Während der Zugzeit erscheint der Ziegenmelker auch in Gärten und verweilt hier, auf einem wagerechten Aste sitzend, vom Morgen bis zum Abend. Dann setzt er seine Reise fort. Zärtlich, wie er ist, bringt er nur den warmen Sommer bei uns zu. Er erscheint spät, etwa zwischen dem fünfzehnten April und fünfzehnten Mai, und verläßt uns schon Ende Septembers wieder, um in Afrika den Winter zu verbringen. Dort traf ihn mein Sohn Alfred noch unter dem zwölften Grad nördlicher Breite als Wandervogel. Er scheint also, wie die Schwalbe, noch tiefer in das Innere Afrika’s zu gehen.

Bei Tage liegt der Ziegenmelker in der oben beschriebenen Weise auf dem Boden. Einen zufällig Vorübergehenden läßt er gewöhnlich so nahe an sich herankommen, daß man ihn erschlagen zu können glaubt, d. h. falls man ihn wirklich gesehen hat. Gewöhnlich ist das nicht der Fall. Er erhebt sich plötzlich dicht vor Einem, steigt rasch in die Luft, fliegt etwa zweihundert Schritte weit und läßt sich dann an einer anderen Stelle des Dickichts wieder nieder. Am liebsten liegt er auf ganz ebener Fläche. Tiefstehende starke Aeste, der Schaft eines umgefallenen Baumes, eine niedrige Stange oder eine alte Bank sind Lieblingssitze von ihm; immer aber wählt er seine Orte so, daß sie der Zeichnung und Färbung seines Gefieders auf das Vollständigste gleichen. Er ist sich dieser Gleichfärbigkeit mit Boden und Baumrinde so bewußt, daß er sich ganz ruhig niederdrückt und still verhält, wenn er einen herankommenden Feind rechtzeitig entdeckte, d. h. bei Zeiten wach wurde und deshalb Muße genug hat, den Fall zu bedenken. Besonders gern versteckt er sich auch unter Büsche, jedoch immer nur unter lichtere, deren Aeste nicht ganz bis auf den Boden herabreichen. Auch in der Art und Weise, wie er sich auf Aeste setzt, zeigt er etwas Eigenthümliches. Während die meisten anderen Vögel so sitzen, daß ihre Zehen den Zweig oder Ast umklammern, und ihr Körper mit dem Ast etwa einen rechten Winkel bildet, setzt sich der Ziegenmelker immer der Länge nach auf einen Ast. Der Kammnagel der mittleren Zehe und die Wendezehe mögen ihm dabei gute Dienste leisten.

Sobald die Sonne am westlichen Himmelsrande verschwunden ist, beginnt das lustige Treiben unseres Nachtfreundes. Jetzt zeigt er sich in seinem wahren Leben, und jetzt erst gewährt er jedem Thierfreunde großes Vergnügen. Gleich nach seiner Ankunft hat er sich gepaart, denn der Wonnemonat Mai ist auch für ihn die Zeit der Minne. Mit lautem „Häit, häit“ ruft das fliegende Männchen sein Weibchen herbei, klatscht, wenn er es gefunden hat, wie der liebesselige Tauber mit den Flügeln, umschwebt es im zierlichsten Reigen und setzt sich dann auf einen benachbarten Ast nieder, um dort flugs ein Stückchen an dem Liebesnetze zu spinnen, mit welchem er seine Geliebte umstricken will. Die wechselnden Laute „Oerrrrrr“ und „Errrrrr“ werden jetzt mit einer Ausdauer vorgetragen, welche des edlen Zweckes vollkommen würdig ist. Ohne Unterbrechung währt der sonderbare Gesang, und man wird versucht zu glauben, daß er den höheren Ton, wie andere Vögel, durch Ausstoßen der Luft, den zweiten aber beim Einathmen derselben hervorbringt. Mehrere Naturforscher haben dies geradezu ausgesprochen; mir ist aber ihre Ansicht aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, weil das tiefere „Oerrrrr“ viel länger als ein gewöhnliches Einathmen dauert. Ich glaube, er schöpft Luft, ehe er den tieferen Ton ausstößt, und wechselt erst mit dem höheren Ton ab, wenn ihm der Athem knapp wird. Niemals läßt er diesen Liebesgesang im Fluge, sondern immer nur im Sitzen hören. Und wenn er damit zu Ende ist, beginnen von Neuem die Flugspiele der Liebe, das Werben durch die Künste der Schwingen von Seiten des Männchens, das Versagen auf gleichem Wege, das Sprödethun von Seiten des Weibchens.

So eintönig der Stümpergesang unseres Vogel auch sein mag, soviel Gemüthliches hat er für den Beobachter. Alte Vogelfreunde stimmen darin mit mir überein, daß das Spinnen des Ziegenmelkers zu der angenehmsten Nachtmusik gehört, welche der Nadelwald zu bieten vermag. Mein Sohn gedenkt noch heute mit freudigen Gefühlen der Nächte, welche er in den Wald- und Steppendörfern Afrikas zubrachte.

„Wenn ich des Nachts in ein afrikanisches Wald- oder Steppendorf einritt,“ sagt er in seinem Leben der Vögel. „und Alles schon zur Ruhe gegangen war, höchstens die Hunde noch bellten, um eine von fern heulende Hyäne oder einen Schakal, vielleicht auch einen Leopard oder Löwen von ihrer Wachsamkeit zu benachrichtigen, spannen die Ziegenmelker, unbekümmert um die nächtlichen Raubthiere und mich, den nächtlichen Wanderer, zwischen den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_457.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)