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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

von seinem Aufenthalte in Berlin erfahre, daß er nur allein mit dem Könige zu verkehren brauche, daß es ihm endlich freistehen solle, jeder Zeit wieder abreisen zu dürfen, so oft seine Geschäfte es erforderten.“ Des Königs Gemüth, ohnehin schon zum Mißtrauen geneigt, ward mächtig erregt durch den geheimnißvollen Schleier, welcher sich über das Ganze breitete. Er gab dem Bischof einen Paß für Clement und befahl ihm zugleich zu schreiben daß Clement in Berlin willkommen sein werde. Jablonsky solle ihm entgegenreisen und ihn die erste Nacht in seinem Hause behalten. Clement kam also in Berlin an. Am folgenden Tage fuhr Friedrich Wilhelm zu der bereits mitgetheilten Unterredung in dem Garten am Weidendamme. – Der Inhalt derselben wirkte bedeutend genug auf einen Herrscher, der zwar rauh und eisern wie seine Zeit war, der aber an Redlichkeit, Geradheit und bestem Willen, an unerschütterlicher Charakterfestigkeit seines Gleichen sucht.[1]

Als der König, wie oben erzählt, in den Garten trat, bemerkte er nicht weit vom Eingange den Bischof Jablonsky. Dieser empfing den Herrscher und führte ihn durch einige Nebenwege in eine Art van Bosket. Hier sah der König sich einem im reiferen Mannesalter stehenden, ganz schwarz gekleideten Individuum gegenüber, welches ihn zwar artig, aber keinesweges unterwürfig grüßte. Das nahm den König schon sogleich ein. Er haßte jede Kriecherei.

Auf seinen Wink mußte Jablonsky sich entfernen. Der schwarzgekleidete Mann trat nun einen Schritt vor und präsentirte sich als den aus Ungarn gebürtigen Jakob Clement, Agent des sächsischen Ministers Flemming.

„Zur Sache!“ begann der König, „was habt Ihr mir zu berichten?“

Das äußerst intelligente Gesicht Clements nahm einen ernsten Ausdruck an. Er sah sich noch einige Male vorsichtig um, dann trat er auf Friedrich Wilhelm zu, der die Arme über der Brust gekreuzt, mit zusammengekniffenen Lippen, das Haupt vorgestreckt, dastand, begierig etwas Ungeheuerliches zu erfahren.

„Sire,“ begann Clement. „Ohne alle Einleitung denn, kurz und bündig: Sie schweben in der äußersten Gefahr.“

Des Königs Hand umkammerte den Degengriff, seine Augen blitzten, er richtete sich hoch auf und rief kurz: „Oho!“

„Nicht hier, Sire,“ beschwichtigte Clement, „nicht mit dem Degen in der Hand, nicht in der Schlacht wird gegen Sie agitirt. Nein, leider ist der Kampf nicht offen, den würden Sie nicht scheuen. Es besteht ein Complot gegen Ew. Majestät. Ein Complot, geschmiedet von den Höfen zu Dresden und Wien.“

Der König stöhnte vor Zorn und Ueberraschung.

„Man will,“ fuhr Clement fort, „Ew. Majestät Jagdliebhaberei, oder eine Reise benutzen, um sich Ihrer hohen Person zu bemächtigen. Sie sollen dann gefangen gehalten, der Kronprinz aber in der katholischen Religion, unter Vormundschaft des Kaisers, erzogen und auf Ihren Thron gesetzt werden. Bevor ich Ew. Majestät die verschlungenen Fäden des teuflischen Complots bloßlege, muß ich bemerken, daß ich selbst beauftragt bin, nach dem Haag zu gehen, um in dieser traurigen Angelegenheit Unterhandlungen einzuleiten.“

Friedrich Wilhelm’s Antlitz war purpurrot geworden; er lief in dem Bosket hin und her und hieb einige Male mit seinen Sporen in die Erde.

„Weiter!“ rief er. „Ich will Alles wissen.“

„Leider, Sire,“ meldete Clement, „sind die vornehmsten Generäle, die ersten Minister bereits gewonnen. Es kommt nur noch darauf an, die Seemächte für den abscheulichen Plan zu interessiren. Dies der Zweck meiner Reise in den Haag.“

Ein leichtes Mißtrauen stieg bei dem Könige auf.

„Und was veranlaßt Sie, mir das Complot, dessen Werkzeug Sie doch auch sind, zu enthüllen?“

„Weil ich,“ erwiderte Clement schnell, „die traurigen Folgen voraussehe, welche ein solches Verbrechen nach sich ziehen würde. Dann aber,“ hier heftete er seine Blicke fest auf den König, „weil ich den heftigsten Widerwillen gegen die katholische Religion empfinde und durchaus Protestant werden will.“

Friedrich Wilhelm’s Antlitz ward freundlicher. Clement hatte eine schwache Stelle glücklich getroffen. Er begann auch sogleich unaufgefordert weiter zu sprechen. „Die Hauptsache, Sire, ist aber die strengste Bewahrung des Geheimnisses. Ich bitte Ew. Majestät sich auf mich allein zu verlassen. Sie haben sonst nur Feinde um sich. Ich aber werde nun nach Holland gehen, Ihnen von dort Nachricht geben und die ehrgeizigen Pläne des Kaisers hintertreiben. Ich beweise vorher aber Alles durch die eigenhändigen in meinem Besitze befindlichen Briefe des Ministers von Flemming, Ihrer sämmtlichen Herren Minister und des Prinzen Eugen.“

„Der Prinz Eugen?“ schrie der König, „der auch? Pfui Teufel! Pfui Teufel! Von dem braven Kerl hätt’ ich das nicht gedacht. Ein Soldat und – Pfui Teufel“

Während der letzten Rede holte Clement verschiedene Briefe aus einem Portefeuille hervor und zeigte sie dem Könige. Da indessen die Dunkelheit einzutreten begann, so verzichtete der Monarch darauf sie anzusehen und verschob dies auf den folgenden Abend. Clement entwickelte nun noch sorgfältiger das ganze Gespinnst des Verrathes, und endlich schied der König von ihm mit Dankesworten, versprach Geheimhaltung und bestellte den Ungar zum nächsten Tage um dieselbe Stunde in den Garten.

Clement’s ganzes Wesen hatte auf den König den Eindruck der Treuherzigkeit und der Wahrheit gemacht. Auch konnte Friedrich Wilhelm sich nicht erklären, welche Gründe den fremden Mann, der weder ein Geschenk beansprucht, noch irgend eine Gnade verlangt hatte, bewegen sollten, sich zum Entdecker des furchtbaren Planes mit jedenfalls persönlicher Gefahr herzugeben, wenn dies nicht wirklich aus Liebe zum Könige geschehe. – Außerdem aber waren genug Ursachen vorhanden, welche Friedrich Wilhelm leicht an ein vom Wiener Hofe ausgehendes Complot glauben ließen. Bevor wir in unserer Erzählung weiter gehen, sei es erlaubt, einen Augenblick abzuschweifen, um die Stellung zu betrachten, welche der König von Preußen den beiden Höfen Dresden und Wien gegenüber einnahm. – Oesterreich hatte der Krone Preußen die Erwerbung Gelderns, ihr schon von Leopold I. zugesprochen, sehr erschwert. Obgleich Friedrich Wilhelm, getreu seiner Verpflichtung, sein Contingent zum Heere des Kaisers stoßen ließ, widersetzte sich der Hof zu Wien den Ansprüchen Preußens auf Limburg. In den Jülich’schen Angelegenheiten arbeitete das Cabinet Kaiser Karl’s ganz offen gegen den König. Jede Vereitelung seiner Pläne ward versucht. Die Protestanten wurden im katholischen Deutschland überall eingeschränkt. Besonders that sich hierin der Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz hervor. Er verwandelte alle Kirchen der reformirten Gemeinden, sobald nur einige Katholiken in demselben Orte wohnten, in Simultankirchen.[2] Diese Dinge arteten zuletzt in förmliche Nachstellungen aus, und auf die Vorstellungen Friedrich Wilelm’s gab man nichts. Der König ergriff daher sehr energisch Repressalien. Er ließ verschiedene Klöster einziehen, den Dom zu Minden schließen u. s. w. Hannover und Hessen-Cassel folgten seinem Beispiele. Ein donnernder Brief des Kaisers, der mit allem Möglichem drohte, blieb ohne Wirkung auf den König, und es erfolgte nur die kurze Antwort: daß Preußen den Kaiser nicht eher als Richter anerkennen werde, bis derselbe auch über die Protestanten als gerechter Richter entscheide und sie vor Gewaltthat schütze. – Der Kaiser gab nach. – Ein genaues Eingehen auf die verschiedenen Intriguen würde zu weit führen. Nur mag es durch das Gesagte begreiflicher werden, daß der König sich für gefährdet durch Oesterreich und das ihm verbündete Sachsen hielt. Auch erklärt sich hieraus seine Antipathie gegen die katholische Religion. Was seine Minister betraf, so hatte er unter der Regierung seines Vaters Beobachtungen angestellt, welche ihm die Menschen nicht im allzugünstigen Lichte erscheinen ließen. – Kehren wir zu unsrer Geschichte zurück.

Am nächsten Abend trafen sich die drei Mitwisser des Geheimnisses wieder in dem Garten. Clement theilte dem Könige noch weitere Neuigkeiten mit. Endlich zeigte er ihm die Briefe Flemming’s, seiner Minister und des Prinzen Eugen.

Hastig ergriff der gefolterte Monarch die Papiere. Die Augen bohrten sich in die Schriftzüge. – Ja, er kannte sie. Das waren die eigenhändigen Briefe, die Siegel – er hatte sie in den Händen, die Beweise einer beispiellosen Verrätherei. Seine Zähne knirschten, als er las und den ganzen Plan herauslas, der einen Fürsten verderben sollte, dem die meisten der Anstifter zu Dank verpflichtet waren. „Hundeseelen!“ murmelte der König. „Von dem Lumpenpack habe ich freilich nicht viel erwartet.“ Seine Faust ballte sich. Plötzlich aber ließ er das Papier sinken. Sein Haupt

  1. Die Geschichte hat noch viel an Friedrich Wilhelm I. gut zu machen. Noch bis heute besitzen wir keine parteilose, genaue Schilderung dieses bedeutenden Mannes. Seine Schwächen werden fast immer hervorgehoben. Sie taugen trefflich für historische Zerrbilder. – Was er in der That seinem Lande war, bleibt unerwähnt.
  2. Kirchen zum gemeinschaftlichen Gebrauch zweier Confessionen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_441.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)