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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

(eine Art schmaler, länglicher Klöße) und graue Erbsen, dürfen sich an solchen Festen nicht blicken lassen; sie würden wie eine Entwürdigung des Tages angesehen werden.

Für den fremden Zuschauer dürfte der natürliche Takt, mit welchem die aus Scheuer und Viehstall requirirte Gesellschaft bei Tische in bescheidener und doch ungezwungener Heiterkeit sich bewegt, ein freudiges Verwundern erregen. Es ist das eine Folge des tiefen Einflusses, den der Geistliche in der Gemeinde ausübt; das „Auge des Herrn“, das auch über ihren Freuden wacht. Nach einem improvisirten Dankgebet erheben sich die Gäste mit einem allgemeinen gesprochenen „Gesegnete Mahlzeit,“ und in kurzer Zeit ist das Speisezimmer geleert. Der Pfarrer und der Organist sind von diesem oder jenem Wirthe eingeladen, hier oder dort einen Preßhaften zu besuchen oder den Viehstand des Hofes in Augenschein zu nehmen, während die Frauen ein neues Gewebe mustern (denn auch die Frau Prediger ist oft – eine moderne Penelope – Meisterin im Damastweben, wie denn überhaupt auf dem Lande in jedem Hause ein Wirkgestell [Webestuhl] steht) oder in Vorrathskammer und Keller sich erlustiren. Die Dunkelstunde versammelt indessen den älteren Theil der Gesellschaft noch einmal im Festlocal um den Kaffeetisch, von welchem der Festtrank [1] in unerschöpflicher Quelle fließt. Der Herr Prediger entzündet mit gemüthlichem Wohlbehagen den Knaster in seiner langen Pfeife, und nach kurzen Präliminarien wird von den Dörflern eine Deputation der Aeltesten an den vorsitzenden Herrn entsandt, mit der Bitte um eine „schöne Geschichte“. Und der Herr nickt lächelnd, bläst gewaltige Dampfwolken von sich, rückt sein Käppchen und beginnt eine phantastisch ausgeputzte Geschichte vom alten Fritz, wie er im Kloster zu Kamenz im Beichtstuhl gesessen, oder dem Ziethen aus dem Busch, der bei Jägerndorf mitten durchs österreichische Lager marschirte, oder auch vom König Pyrrhus, Alexander oder Karl dem Großen und seinem mannhaften Paladin. – Während der Pfarrherr auf dem Gebiete längst verflossener Tage sich tummelt und mit wachsender Lebendigkeit seinem ländlichen Pegasus die Zügel schießen läßt, muß schon die Frau Prediger den niedergelegten Scepter in die Hand nehmen, sonst käme man heute gar nicht mehr nach Hause. Beim Schluß der zweiten oder dritten Geschichte tritt der Wirth in’s Zimmer, mit der Meldung: „Herr Pfarr! es ist angespannt, – die Frau hat befohlen.“ Dagegen ist kein Widerspruch zu erheben. Unter bedauerndem Kopfschütteln der Bauern werden die werthen Gäste verpackt und auf den Wagen (respective Schlitten) „gewuchtet“. Ist der Abend dunkel, so reitet ein Knecht mit der Laterne voran. Alles drängt sich abschiednehmend oder um noch ein gutes Wort anzubringen um das Gefährt; mit gewichtiger Miene aber der bevorzugte Bauer, der dem Pfarrherrn noch im Augenblicke, wo die Pferde anziehen, zuflüstert: „Das nächste Jahr, Herr Prediger, so Gott will, bei mir.




Jakob Clement.
Historische Episode von G. Hiltl.

An einem schönen Frühlingstage des Jahres 1719 fuhr eine vom königlichen Schlosse kommende offene Chaise die Lindenpromenade zu Berlin entlang. Bei der Friedrichsstraße angelangt, bog der Wagen in dieselbe ein, eilte bis zum Weidendamme und hielt hier plötzlich still. Außer dem Kutscher trug das Fuhrwerk zwei Männer in Militairuniform. Hintenauf standen zwei Pagen. Nur eine der beiden im Innern des Wagens sitzenden Personen stieg aus, unterredete sich eine kurze Zeit lang mit den Andern und schritt dann eilig den Weidendamm entlang, bis in die Nähe der Oranienburger Barrière. Einige Vorübergehende wichen dem finstern Herrn mit scheuer Miene, unter ehrfurchtsvollen Begrüßungen aus. Der Spaziergänger blieb endlich vor einem Gartenthore stehen, warf einen kurzen, prüfenden Blick auf die Umgebung des Hauses, zu welchem der Garten gehörte, rückte unwillkürlich den an seiner Hüfte befindlichen langen Infanteriedegen zurecht und trat dann festen Schrittes durch die Thüre, welche in das Innere einer ziemlich dicht bewachsenen Baumpflanzung führte.

Dieser Mann war König Friedrich Wilhelm I. von Preußen.

Die zurückgebliebenen Personen seines Gefolges, welche die ordre hatten bis zu seiner Rückkehr an der bezeichneten Stelle zu warten, vertrieben sich die Zeit auf verschiedene Weise. Die beiden Pagen belustigten sich, von dem damals noch sehr flachen Spreeufer aus sogenannte Butterbrode mit Steinen zu werfen. Der Kutscher dehnte sich auf dem Bocke halb schlafend; nur die Militairperson, welche neben dem Könige im Wagen gesessen hatte, stand in tiefem Nachdenken versunken, über das Brückengeländer gebeugt und stierte in das Wasser. Es war der Herr von Forcade, Generalmajor und Commandant von Berlin. Herr von Forcade war besorgt über das lange Ausbleiben seines Königs. Plötzlich, geheimnißvoll, hatte er den Befehl erhalten, den Herrscher zu begleiten. Keine Andeutung, zu welchem Zwecke die Ausfahrt nach einem Stadttheile unternommen wurde, der selten vom Könige besucht ward, war ihm zugegangen. Während der ganzen Fahrt hatte Friedrich Wilhelm von den gleichgültigsten Dingen wie absichtlich gesprochen und sich dann eilig entfernt, nur den Befehl hinterlassend: ihn hier, an dem Damme, zu erwarten. Forcade sah mit Besorgniß die Sonne immer tiefer hinter die letzten Häuser der Spandauer Vorstadt sinken; er machte eine kleine Promenade den Weidendamm hinauf und hinunter. Der König war nirgends zu erblicken. Welch Geheimniß verbarg der Monarch so sorgfältig? Schon wollte der Commandant, bei der zunehmenden Dunkelheit immer unruhiger werdend, Nachforschungen über den Verbleib des Königs anstellen, als er plötzlich den Herrscher hinter einem kleinen, durch Zaun- und Pfahlwerk gebildeten Vorsprunge hervorkommen und die Straße gewinnen sah. Bald war Friedrich Wilhelm bei den Seinigen angekommen. Ohne ein Wort zu sprechen, stieg er in den Wagen, der sogleich davon rollte. Forcade wagte es nur von der Seite den Monarchen anzublicken. Das frische, wirklich schöne Gesicht Friedrich Wilhelm’s war bleich und verstört, seine Augen traten starr aus den Höhlen, sein Anzug war augenscheinlich in Unordnung. Bald neigte sich der König vornüber, dann warf er sich wieder in die Kissen des Wagens. Von Zeit zu Zeit ließ er ein kurzes Stöhnen hören und trommelte mit den Fingern auf seinen Knieen herum. Forcade faßte sich endlich ein Herz, um zu fragen: „Ob Se. Majestät unwohl sei?“ Ein tiefer, wehmüthiger Seufzer war die ganze Antwort. Endlich hielt der Wagen vor dem Schlosse. Forcade und die Pagen wollten den König begleiten; er verhinderte es. Statt dessen trat er dicht an den Wagen und sprach in festem Tone, so laut, daß es der Kutscher hören mußte: „Wer von Euch ein Wort über den heutigen Abend und darüber, daß ich ausgestiegen bin – spricht – dem geht es an den Kragen. Merkt’s Euch. Gute Nacht.“ – Langsam schritt er zwischen den salutirenden Wachtposten hindurch in das Schloß. – Der König schloß sich sofort in sein Zimmer. Den ganzen folgenden Tag verweilte er allein darin. Er sprach Niemanden, selbst nicht die Königin. Gegen Abend fuhr er wieder die Linden entlang zu jenem Garten. – Hören wir nun, welche beunruhigenden Geheimnisse, und durch wen, dem Könige offenbart worden waren.

Wenige Wochen vor dem ersten Besuche des Gartens an der Oranienburger Barrière durch den Monarchen hatte der erste Hofprediger desselben, der Bischof der reformirten Kirchen in Ungarn und Polen, Jablonsky, von Dresden aus einen Brief erhalten, welchem ein Schreiben an König Friedrich Wilhelm beigelegt war. In dem Briefe an Jablonsky beschwor der sich „Clement“ unterzeichnende Schreiber den Bischof, inliegenden Brief sofort dem Könige in die Hände zu liefern; wenn er Anstand nehme, solches zu thun, so sei er für alles Unheil verantwortlich. Jablonsky übergab dem Minister von Marschall beide Schriftstücke, welcher sie sofort dem Könige aushändigte. Friedrich Wilhelm las das an ihn gerichtete Schreiben. Er ward sehr ernst. Indessen enthielt das Schreiben nur die Versicherung, „daß der Unterzeichnete dem Könige von Preußen Sachen von äußerster Wichtigkeit mitzutheilen habe, die er aber dem Monarchen durchaus selber eröffnen müsse. Er bitte demnach um die schriftliche Zusicherung, daß Niemand Etwas

  1. Vom Bauer wird der Kaffee jetzt nur an großen Festtagen genossen. Das gewöhnliche Frühstück und Vesperbrod besteht abwechselnd aus Brod-(Milch-) Suppe, grauen Erbsen oder Keilchen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_440.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)