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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


fast mit ihm erloschen. Diese feierliche alte Kaiserleiche, aufrecht zur Linken des Gemäldes vom Beschauer sitzend, mit rothem Fackelschein von unten geisterhaft beleuchtet, ist der Brennpunkt, von welchem das geistige Leben des Bildes ausströmt.

Rechts im Bilde erhebt sich vor allen aus reichbewegter Gruppe seines Gefolges die herrliche Gestalt Kaiser Otto’s III. von einer Steintreppe, aus welcher ein matter Tagesschimmer die meisterhaft gelungene Gruppe der Eindringenden umsäumt und mit dem Fackelschein, der die Gruft und Kaiserleiche erhellt, einen effectvoll gelungenen Lichtercontrast bildet. Der lustige Spielmann und ein Krieger des Kaisers sind bereits unten, in der Mitte des Bildes auf dem Vordergrunde, am Boden vor der geisterhaften Erscheinung des thronenden Kaisers, welchen der vom Schilde verdeckte Fackelbrand in der Hand des kauernden Kämpen grell von unten beleuchtet, in plötzlich geänderter Stimmung, mit Grauen und Scheu in die Kniee gesunken, während ein blonder Edelknecht und ein voraneilender Meßknabe, erschreckt über die Majestät der Erscheinung, zurückweichen. Der Edelknecht, eine herrliche Figur von echt deutschem Typus, schmiegt sich verwirrt an die rechte Seite des Kaisers Otto, welcher, eben im Begriff herunterzuschreiten, auf der Mitte der Steintreppe in höchster Spannung und Bewegung innehält und die plötzlich vom Fackellichte erhellte phantastische Gestalt anstarrt.

Man sieht die Erschütterung, die den hochstrebenden Kaiserjüngling vor der gewaltigen Hülle des ruhmreichsten und größten seiner Vorfahren erfaßt. Mit weinlaub- und rosenumranker Krone, das reiche Gewand vom kostbaren Gürtel aufgeschürzt, ist er unmittelbar vom Jubel des heitersten Zechgelages und den Freuden des Mahles mit dem vom Wein erhitzten Gefolge hinabgestiegen in das Gewölbe des Todes, hat das fast zweihundert Jahre geschlossene Heiligthum des geheimnißvollen Kaisergrabes gesprengt; vergebens warnet und mahnet zu heiliger Scheu der nachgeeilte Bischof mit seinem geistlichen Begleiter; da überrascht ihn mitten auf den Stufen mit ungeahnter Macht die Majestät des feierlich ernsten Kaiserbildes und hemmt seinen Schritt, bangend vor Entweihung der heiligen Stätte; während zu seiner Linken in Weinlust ein Fremder, ein Italiener, mit spöttisch-frivoler Miene keck auf die Leiche deutet. Die zwei neugierig hinter dem Kaiser vorblickenden Ritter schließen im Hintergrunde die wirksame Gruppe. Das ganze herrliche Wandgemälde ist in Gestalt eines Teppichs gehalten und von einem äußerst geschmackvollen Rahmen umgeben; eine effectvoll wirkende, doch maßvoll zur Stimmung gehaltene Färbung ist über das Ganze gehaucht, vereint harmonisch die contrastirenden Lichteffecte und verklärt die Schauer des Grabes, bar aller crassen Effecthascherei, zu einem der schönsten, sinnigsten Meisterwerke deutscher Kunst.

Freiherr v. Aufseß entwickelte bei der Enthüllungsfeier dieser werthvollsten Gabe des patriotischen, deutschen Künstlers die Bedeutung des Bildes in Bezug auf das Germanische Museum ebenso tief und wahr mit den Worten:

„Kein treffenderes und schöneres Sinnbild seines Strebens könnte dem Germanischen Museum gegeben werden als dieses; denn auch wir sind berufen, hinabzusteigen in die lang verschlossenen Tiefen der Vorzeit, um aufzusuchen des alten Reiches Herrlichkeit, sie, die längst abgestorbene, wieder hell zu beleuchten mit dem Fackelschein deutscher Wissenschaft, daß sich ein Jeder daran erfreue und stärke, ja, wie Kaiser Otto wollte, zu neuen Thaten der Ehre und des Ruhmes der deutschen Nation sich ermanne.“

J. O.



Das Gebet-Verhör.

Das ostpreußische Oberland, eines der lieblichsten Fleckchen Erde in unserm Vaterlande, ist durch seine abgeschiedene Lage bis auf die neueste Zeit dem allgemeinen Interesse so fern geblieben, daß man im übrigen Deutschland es kaum dem Namen nach kennt. Jetzt aber, wo eine der großen Pulsadern unsers mercantilen und socialen Lebens, die Ostbahn, dieses gleichsam unbekannte Land in der Gegend von Preußisch-Holland und Mühlhausen berührt, dürften diese Blätter vielleicht mit dahin wirken, manchen Touristen, manchen Forscher gen Osten zu ziehen. Lange, sonnige Hügelketten, mit tiefen, umschatteten Schluchten, in denen bald der berggeborne Mühlbach dahinrauscht, bald über glatte Kiesel ein Schmerlenbächlein rieselt, wechseln dort mit grasreichen Wiesen und Triften, mit dem tiefen Dunkel alter Eichen- und Buchenwälder, mit der Stille, die über dem weiten Spiegel der Berg- und Landseen schwebt.

Der Reiz der Landschaft, wie die Ergiebigkeit des Bodens müssen schon früh deutsche Einwanderer angelockt haben. Zeichen seiner Abstammung aus dem Süden Deutschlands sind in Sprache und Sitte noch heute dem biederen Völkchen, welches jetzt das ostpreußische „Hockerland“ bewohnt, unverkennbar aufgeprägt. Im Nordost an Litthauen, gen Süd und Südost an Masuren grenzend, in West und Nord vom plattdeutschen Idiom umgeben, und nur durch das sehr precäre Band der Schrift im Zusammenhange mit seinen hochdeutschen Brüdern, hat es doch seinen Urtypus treu bewahrt. Auch die Liebe zur Freiheit, den männlichen, unabhängigen Sinn mag es aus seinen heimischen Bergen mitgebracht haben.

Allein über das engere Vaterland dieser Einwanderer schweigt die Geschichte. Sollten nun einzelne der Accorde, die ich in diesen Blättern anzuschlagen gedenke, in irgend einem von mir unerforschten Theile Deutschlands verwandte Klänge wecken (und wären es auch nur die Klänge einer „Sage aus der Väterzeit“), so gebt uns ein Zeichen, ihr stammverwandten Brüder! Es wird euch der treuherzige Altpreuße mit Freuden begrüßen und der historische Forscher mit großer Genugthuung ad acta registriren.

Wenn ich unter den Bildern zu wählen habe, die dieses isolirte Völkchen besonders charakterisiren, so muß ich obenan das „Gebet-Verhör“ stellen. Es ist das eine Art religiösen Volksfestes, in dem die sittlich-ernste Grundlage noch unverrückt als Träger des Ganzen erscheint, woraus gleichzeitig eine gewisse patriarchalische Einfachheit uns anspricht, die auf altehrwürdige Sitte zurückschließen läßt. Wie der Name andeutet, ist es eine Besprechung über Religion. Doch die Art und Weise ist eine so abweichende von Allem, was in anderen mir bekannten Gegenden Sitte ist, daß ich für eine specielle Schilderung derselben mir ein allgemeines Interesse verspreche.

Der gesegnete Herbst ist die Zeit, in der die Gebetverhöre floriren. In großen Gemeinden pflegen sie von Michaeli bis gegen Weihnachten zu dauern, da in jedem Dorfe alljährlich ein Gebetverhör abgehalten wird und der Herr Pfarrer mit weiser Oekonomie sie so vertheilt, daß in ein und dieselbe Woche höchstens zwei Festtage der Art fallen.

Die kleine Familie des Geistlichen, wie des Lehrers (die einzigen Kinder, welche zu der Feier zugelassen werden) pflegen dann schon am frühen Morgen des festgesetzten Tages sehnsüchtig des Wagens oder Schlittens zu harren, der sie abholen soll. Zurück bleibt von den Kleinen gewiß Niemand freiwillig, obwohl es eigentlich ein Fest der Alten ist.

Zwar hat der Bauer sicher seine besten Pferde (stets vier lang) vorgespannt, zwar ist der Wagen vollgepfropft, ohne Rücksicht auf Bequemlichkeit, aber dennoch muß in der Regel zwei bis drei Mal gefahren werden, ehe die beiden Familien an Ort und Stelle geschafft sind. In mehreren Wagen zu fahren ist nicht Brauch. Auch hat der Bauer nie mehr als einen kleinen, offenen Spazierwagen von so einfacher Construction, daß der Fremde ihn leicht für die Sedezausgabe eines Erntewagen halten könnte. Der Herr Pfarrer aber muß seine Chaise ruhig im Schuppen stehen lassen, will er anders den Gastgeber nicht kränken. Bei weiten Entfernungen hilft man sich damit, daß die Hauptpersonen zuerst befördert werden. Die „keine Familie“ kommt immer noch zurecht. In unglaublich kurzer Zeit legen wir den Weg zu dem Ziel unserer Reise zurück. Der Wagen hält vor der Thür eines stattlichen Bauernhauses. Die Bäuerin harrt der geehrten Gäste schon in der Vorlaube, rückt schnell den bereitgehaltenen Schemel (denn Wagentritte sind noch nicht Sitte) an die Seite des Wagens und hilft geschäftig den verhüllten Gestalten über die Leitern zur Erde. Frisch gestreuter Sand und duftender Kalmus oder gehackte Tannenzweige (das nie fehlende Symbol des Festtages) verkünden schon bis auf die Straße hinaus, welche Ehre dem Hause heute zu Theil geworden.

In der großen Wohnstube mit dem ungeheuren Kachelofen dampft auf langer Tafel bereits die riesige Kaffeekanne. Liebliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_438.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)