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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Polterabend.
Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

Auch in anderer Weise war über den Thäter nichts zu ermitteln. Freilich auch nichts, was über die Person des Ermordeten hätte Auskunft geben können. Kein Instrument wurde gefunden, kein Fetzen eines Kleidungsstückes, kein anderer fremder Gegenstand. Wie der Thäter Hut und Halsbinde, die an der Leiche fehlten, beseitigt hatte, so mußte er auch alles Andere, was auf irgend eine Spur hätte hin leiten können, mit der größten Vorsicht und Sorgfalt auf die Seite geschafft haben. So hatte es sich schon an der Bekleidung der Leiche gefunden. Die Taschen waren völlig leer; kein Tuch, kein Fetzen Papier fand sich darin. Aus dem Hemde war das Stück, in welchem ein Namenszeichen sich befunden haben mußte, herausgerissen, und es war wohl nicht zufällig geschehen.

Die Russen überließen mir die weitere Untersuchung. Erst am folgenden Tage aber sollte die Herausgabe geschehen, und da ich in Rußland – wenigstens vor der Hand – nichts mehr zu thun hatte, kehrte ich über die Grenze zurück, wollte indeß in ihrer Nähe bleiben: einmal, um nicht zur Empfangnahme der Leiche sieben Meilen hin und sieben Meilen her zu machen – so weit war mein Amtssitz entlegen –; zum Anderen konnte ich nur in der Nähe der Grenze und des Verbrechens auf Auskunft über dieses rechnen. Ich fuhr mit meiner Begleitung zu dem ersten besten Bauerndorfe auf preußischer Seite. Meinen Begleitern schärfte ich wiederholt ein, über den Mord das tiefste Stillschweigen zu beobachten und auch dann nichts von ihm zu wissen, wenn schon andere Leute von ihm wissen sollten.

Wir erreichten – eine halbe Meile aufwärts an der Grenze – ein jämmerliches Bauerndorf, einen elenden Krug. Der Tag neigte sich. Ich sah in der schrecklichen litthauischen Herberge einem schrecklichen Abend mit Tabaksqualm, saurem Bier, alten Häringen, vertrocknetem Brode entgegen. Da fuhr eine Kutsche mit zwei prächtigen Braunen an dem Kruge vor. Ich kannte sie. Ein großer, wohlgenährter Herr trat in die Krugstube. Alles an ihm zeigte gutes Essen, gutes Trinken und guten Humor. So sehen nur gutgenährte Beamte aus, und er war Steuerrath, der Steuerrath Klemann, mit mir in derselben Stadt wohnend und mein lieber Freund. Ich erschrak fast, als ich ihn hier sah.

„Freund, Du in diesem Kruge? Welches Unglück hat Dich hierher getrieben?“

„Unglück?“ sagte er. „Ich fahre ja zu einem Polterabend.“ Er war ernsthaft dabei geblieben, trotz der Antwort und seines Humors. „Aber Du? Wie kommst Du hierher?“ fragte er erstaunt, verwundert.

„Ich komme von einem Morde.“

„Hm, von Mord zu Raub, von Raub zu Diebstahl von Diebstahl wieder zu Mord, das ist ja Dein Metier.“

„Und diesmal möchte ich Dich in mein Metier mit hineinziehen.“

„Um des Himmelswillen, was haben Schlacht- und Mahlsteuer mit Mord und Todtschlag zu thun?“

„Nun, mitunter auch die. Indeß, Du hast ja auch mit Schmugglern zu thun.“

„Aber nur mit den armen Teufeln, die für Weib und Kind daheim von da drüben ein paar Loth Salz holen, das unsere Regierung so wohlfeil an die Russen verkauft, daß unsere Unterthanen noch für den halben Preis, den es hier hat, von den Russen es zurückkaufen können.“

Damals sprachen sogar die Steuerräthe in Preußen noch frisch von der Leber weg.

„Und die,“ erwiderte ich ihm, „schlagen sich untereinander nicht todt, meinst Du wohl?“

„So ungefähr meinte ich. Du kommst also von einem Todtschlagen der Schmuggler untereinander?“

Ich erzählte ihm den verübten Mord, und was ich darüber ermittelt oder eigentlich nicht ermittelt hatte. Er konnte mich vielleicht auf andere, weitere Spuren bringen. Er hatte zwar mit dem Schmuggel aus Preußen nach Rußland amtlich nichts zu schaffen; nur das armselige Einschwärzen von Salz aus Rußland nach Preußen berührte ihn, aber auch das hatte ihn das Schmuggel- und Schmugglerleben an der Grenze näher kennen gelehrt. Er konnte mir dennoch keine Spuren, keine Fingerzeige angeben. Plötzlich aber fuhr er auf und sagte, immer noch ernst. „Fahre mit mir zu dem Polterabend.“

„Was soll ich da?“

„Ich habe einen Gedanken, einen sonderbaren Gedanken.“

„Der zu dem Morde in Beziehung steht?“

„Ich weiß es nicht. Aber höre mir zu. Kennst Du einen Gutsbesitzer Bertossa?“

„Ich habe nie von ihm gehört.“

„Er ist seit vier Jahren in der Gegend und besitzt das Gut Kalwellen.“

„Hier in der Nähe?“

„Drei Meilen von hier. Du kennst es?“

„Ich war noch nie da. Es soll ein großes einträgliches Gut sein.“

„Ja, und der Besitzer hat mit der bedeutenden Landwirthschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_433.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)