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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine dunkele That.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Schluß.)


Es waren vier Tage vergangen; der junge Rothe war nach der Stadt in Untersuchungshaft gebracht worden und der Amtsrath begraben; der Doctor aber saß wie halb gebrochen in seinem Sorgenstuhle am Fenster, welches den freien Blick in den wohlgepflegten Garten bot, ohne indessen das starre Auge von einem Punkte auf den Dielen vor sich zu erheben. Seit vier Tagen war er kaum vom Pferde gekommen, um neben den nöthigsten Besuchen, welche sein Beruf forderte, den einzigen Punkt festzustellen, wo der Ermordete in der Nacht des Verbrechens sich aufgehalten, damit durch die Zeit seiner Heimkehr sich ein Anhalt für den Nachweis von Rothe’s Unschuld erlangen ließ – sobald nur festgestellt werden konnte, daß die Rückkehr des Ersteren in die Zeit nach ein Uhr fiel, so mußte auch der nächste dringendste Verdacht gegen den jungen Mann fallen, da dieser nachweislich vor ein Uhr bereits wieder in seinem elterlichen Hause gewesen war. Sonderbarer Weise aber hatte sich trotz der genauesten und speciellsten Nachforschung auch nicht die geringste Spur über des Amtsraths Wege von dem Verlassen seines Hauses bis zu seiner Heimkehr auffinden lassen, und auch als der Doctor den letzten Schritt gethan und, der Meinung seiner Wirthschafterin zuwider, in dem Hause der sogenannten Meier-Lotte, welche bei einem alten, heruntergekommenen Ehepaare im diesseitigen Dorfe wohnte, Erkundigung hatte einziehen lassen, war ihm die Nachricht geworden, daß die Genannte an jenem Nachmittage nach der Stadt gegangen und die Nacht dort geblieben sei – eine Angabe, wozu auch die Begegnung, welche der Arzt und sein junger Freund bei ihrem letzten Heimritt mit der Person gehabt, völlig stimmte.

Jetzt saß dem Alten ein Mann in schwarzem Anzuge, mit scharf ausgeprägten Gesichtszügen gegenüber, in sichtlich mißmuthiger Stimmung in das halbgeleerte Weinglas vor sich hinstarrend. „Ich muß es offen aussprechen, Doctor,“ sagte er jetzt, sich rasch aufrichtend und in die sonnige Landschaft hinaus blickend, „daß mir der Fall so hoffnungslos wie selten ein anderer erscheint, da er nach keiner Seite hin dem Vertheidiger auch nur den kleinsten Umstand zur Benutzung übrig läßt. Nicht allein die vorhandenen Thatsachen reihen sich zu einem ganz unumstößlichen Indicien-Beweise zusammen, nicht allein die moralische Ueberzeugung jedes Unparteiischen neigt sich bei dem erwiesenermaßen verabredeten Rendezvous auf Seite der Anklage, sondern auch die einzelnen, scheinbaren Entlastungs-Momente tragen nur noch dazu bei, die Weise der That erklärlich zu machen und mit dem Charakter des Angeklagten in Einklang zu bringen. Das Rendezvous hat nicht stattgefunden, die junge Frau ist aus Angst vor ihrem noch nicht heimgekehrten Manne dem Signale des harrenden Geliebten nicht gefolgt, das können wir feststellen; jetzt aber wird uns der Staatsanwalt psychologisch nachweisen, daß gerade durch diese Täuschung die Leidenschaft des jungen Mannes und seine Erbitterung gegen den Ehemann die höchste Spitze erreichen mußte und daß es deshalb recht gut zu denken sei, wie unter einer solchen den Geist verfinsternden Aufregung beim Erscheinen des Gehaßten, des einzigen Hindernisses zu einem ersehnten Glück, sich auch ein edler Charakter zu einer raschen That habe hinreißen lassen können. Ich kenne die Deductionen meines verehrten Gegners und sehe ihn schon völlig vor mir. Es wird mir unter diesen Umständen wahrlich schwer, den Eltern des jungen Mannes Bericht zu erstatten, die mit so zitternden, gespannten Augen jeden meiner Besuche empfangen, daß ich schon schwach genug gewesen bin, Hoffnungen rege zu machen, an die ich selbst nicht glaube; an Ihnen, Doctor, hängt das ganze Vertrauen der alten Leute, und so bitte ich Sie, ihnen allgemach den wahren Stand der Dinge klar zu machen!“

Der Alte hatte, regungslos vor sich hinstarrend, den Worten gehorcht, jetzt hob er langsam das abgespannte Gesicht und schüttelte mit einem Lächeln, das wie ein leiser Sonnenstrahl aus dunkeln Wolken durch seine Züge ging, den Kopf. „So weit sind wir noch nicht, lieber Herr,“ sagte er, „und wenn Sie auch, an der menschlichen Kunst der Vertheidigung verzweifelnd, die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang fallen lassen, so verzweifele ich doch noch nicht, und die Alten drüben sollen es auch nicht, denn es giebt eine Unmöglichkeit im Laufe der Dinge, die sich nicht klar demonstriren, die sich aber für den, welcher den Sinn dafür hat, um so bestimmter fühlen läßt, und so sage ich Ihnen: Eben so sicher wie ich innerlich von der Unschuld des Jungen überzeugt bin, so sehr auch alle äußeren Umstände dagegen sprechen mögen, eben so gewiß bin ich auch, daß seine Verurtheilung zu den Unmöglichkeiten gehört, und wenn er morgen schon vor seine Richter treten sollte, daß Alles, was jetzt noch dunkel ist, klar werden muß, noch ehe es damit zu spät sein würde! – Verlassen Sie sich darauf,“ setzte er mit einem eigenthümlichen Kopfnicken hinzu. „ich weiß es, wenn Sie auch nicht viel davon halten mögen, daß der Herrgott einem alten Knaben, den er schon genugsam geprüft und treu erfunden hat, seine letzte Freude in dieser Welt nicht rauben wird.“

Der Advocat zuckte leicht die Achseln und erhob sich. „Ich werde meinerseits natürlich das Möglichste versuchen,“ erwiderte er, „indessen hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen den Stand der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_401.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)