Seite:Die Gartenlaube (1863) 391.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Der Weg ist kaum noch ein Weg zu nennen, obgleich Steinhaufen und Holzpfähle an seiner Seite auf eine Straße deuten. Vor der letzten Höhe, dort, wo das gewaltige Eisfeld, welches um den Galdhaaspiggen liegt, in zwei Thälern zwei Gletscher zur Tiefe sendet, liegt ein kleines Haus zum Schutze der Reisenden; Pferde weiden in seiner Nähe, es werden auch Leute sichtbar, und Einer ladet uns zur kurzen Rast in die Hütte ein. Es sind Rennthierjäger, welche schon seit Tagen vergeblich das Hochgebirg durchkreuzt haben, ohne ihres scheuen Wildes habhaft geworden zu sein. Mich lockt es hier nach dem kaum fünfhundert Schritt vom Wege abliegenden Smörstabgletscher, dessen blaue Krystallgrotten gar zu wunderbare Gestalten, Formen, Zacken, Ecken und Spitzen zeigen. Mehr als hundert Fuß hoch liegt dort, wo das Wasser den Gletscher aushöhlte, das Eis übereinander und zeigt dem Auge alle jene märchenhafte Pracht der Farben und Formen, welche man kaum verstehen und noch viel weniger beschreiben kann.

Unser Pfad hat nun die Höhe des Gebirges erreicht. Eine ungeheure Oede umgiebt uns; das Auge sucht fast ängstlich nach etwas Lebendigem. Kalt und todt, nicht einmal in Farben lebendig, liegen die Eismassen auf den dunklen schwarzen Bergen, und dort, wohin sie ihre Ausläufer nicht senden konnten, starrt uns ein Wirrsal von Blöcken und Steinen entgegen. Nicht überall haben sich die gelblichen Rennthierflechten ausbreiten können, alle übrigen Pflanzen gedeihen nicht mehr hier oben. Todtenstill liegen die dunklen Seeen in ihren Schluchten, nur ein einziger prangt in seinem wunderbaren Grün. Selbst die Bäche rauschen und brausen hier nicht mehr fröhlich dahin, denn die Ebene des Fjeldes hemmt ihren Lauf. Die Einöde ist großartig, aber kalt, fast schauerlich, trotz der Gletscher und scharfgeschnittenen Felsenzacken und Hörner! Und dennoch ist das Leben hier noch nicht gänzlich erstorben! Inmitten des Eises der Höhe zeigt es sich in aller Frische und Anmuth. Munter tanzt der liebe Steinschmätzer von Stein zu Stein, vertraulich nähert sich das jetzt felsengrau gekleidete Alpenschneehuhn dem Wege, und dort über dem Fanerok zieht ein Steinadler seine Kreise und schwimmt stolz dahin

„Hoch über allem Erdenleben,
Hoch über allem Tod!“

Uns aber treibt es wieder der Tiefe zu, und wir eilen, so schnell wir und unser Lastthier gehen können, über die stille Ebene dahin. Abfließendes Wasser leitet uns dem Thale zu; aber noch ist der Weg lang und beschwerlich, noch befinden wir uns in der Höhe des Eises, gleichsam zwischen Gletschern eingezwängt; aber plötzlich öffnet sich ein wahres Zauberbild den Blicken. Zwischen den dunklen, schneegekrönten Bergen hat das ewig arbeitende Wasser ein Thal eingegraben, dessen Anfang mehr als dreitausend Fuß über demselben Meere liegt, welches mehr als seine Hälfte erfüllt, ein Thal, in welchem man binnen drei Stunden von den Glerschern zum Meere herabsteigen kann! Wohl zwanzig Seitenthäler und Schluchten münden in dieses Thal ein und durch alle eilen die Gesandten der Gletscher zu dem ewigen Meere hinab. Die Armuth der Höhe und die Fülle der Tiefe reichen sich in diesem Thale die Hand; von dem Tode zum Leben ist hier gleichsam nur ein einziger Schritt.

Und wieder braust und tönt das Wasser, welches in unzähligen Fällen zur Tiefe stürzt, klangvoll zu uns herauf; wieder läuten die Heerdenglocken den Abend ein, welcher zu allem Glanz da unten nun auch noch seinen Schimmer auf die eisigen Höhen legt; da steigen und klettern wir an den steilen Gehängen hernieder und wandern den Hütten zu, von denen uns Schalmeienkänge entgegen grüßen. Alle Beschwerden und Mühen werden vergessen; das reich beglückte Herz stählt die ermatteten Glieder, und tiefer und tiefer geht es hinab, zu den Sennhütten, zu den ersten Gehöften, zum Dorfe. Neben dem lebendigen Wasser hinab führt der Saumpfad, mit ihm durchwandert er alle Windungen des Thales. Freundliche, biedere Menschen wohnen in ihm; jedes Haus steht dem Fremden offen. Am andern Morgen folge ich dem Bächlein weiter und sehe es mit Lust zum Bache und Flusse anwachsen. Der führt mich durch die herrliche Landschaft meinem Ziele zu, und dieses liegt auch bald so hold und lieblich vor mir, daß ich – es nicht erkenne. Denn der Führer muß mir zwei und drei Mal sagen, daß jener stille, sonnenklare grüne Alpensee, den ich umwandern will, die Salzfluth, das Meer ist, bevor ich ihm Glauben schenken will! Ich stehe am Meere – und kenne das Meer nicht; – was brauche ich nach diesen Worten noch von dem Zauber zu sagen, in welchem der Lysterfjord meine Sinne verstrickt hatte! Ich überlasse es Jedem, sich ein solches Stück Meer selbst auszumalen.




Noch mehr „zu Deutschlands Größe auf dem Meere“.[1]

Ganz Deutschland kauft für etwa fünf Millionen Thaler Seeproducte vom Auslande und würde jedenfalls noch mehr dafür ausgeben, wenn der Bedarf, namentlich an frischen Seefischen, zur Nothwendigkeit und wohlfeiler, schneller, massenhafter befriedigt würde, so daß man während der kälteren Monate auch in Leipzig und Dresden und gleich weit oder weiter vom Meere entlegenen Städten frische Waare von der Nordsee und der Bank von Rockall und zu jeder Zeit wohlfeile Seeproducte zu kaufen im Stande wäre. Unternehmungen, die auf einen Absatz bis zu 5 Millionen und später bis zu 10–15 Millionen (nach dem Beispiel und der Erfahrung in andern Gebieten) rechnen können, lassen sich leicht berechnen. Wie viel Capital kann man hinein stecken, um besserer Verzinsung sicher zu sein, als in anderen Unternehmungen? Will man noch Patriotismus, Schule für deutsche Seetüchtigkeit, für eine Land und Leute, Handel und Wandel schützende deutsche Flotte mit einrechnen, desto besser. Wir müßten eine Seefischerei-Flotte von etwa zweihundert entsprechenden Schiffen haben, um unsern Bedarf aus dem Meere selbst zu befriedigen.

Wer soll diese bauen und das Geld dazu hergeben? Wie ist’s überhaupt anzufangen? Der Artikel in Nr. 11 der Gartenlaube hat im Königreich Sachsen, obgleich es vom Meere abgeschlossen ist, mehrere Männer angeregt, an praktische Ausführung zu denken und sich nähere Aufschlüsse über diese Angelegenheit zu erbitten.

Wir wollen versuchen, die betreffenden Thatsachen und einen bereits im Drucke erschienenen Plan in den Hauptzügen zu beleuchten. Der ehemalige Generalkonsul J. J. Sturz hat in seiner Broschüre: „Der Fischfang aus hoher See“ etc. die Frage: „Auf welche Weise kann dem Fischerei-Betrieb für Deutschland eine größere Ausdehnung gegeben werden?“ zu allererst mit Unsinn beantwortet. Er sagt nämlich: 1) durch Zollvereinsprämien. Diese seien nothwendig, „um den Egoismus des Einzelnen durch Aussicht auf Gewinn anzuregen“; Napoleon, England, Amerika hätten’s in Bezug auf Seefischerei ebenso gemacht. Amerika ist gleich ein blutiges Beispiel, wie diese Schutzzöllnerei, diese gewaltsame Beraubung Aller zu Gunsten Einzelner wirkt. Der abgefallene Süden der nordamerikanischen Freistaaten führt unter seinen Anklagen gegen den Norden die Seefischerei-Prämien als eine der hauptsächlichsten an.

Ja, kann es etwas Unsinnigeres, Erbitternderes geben, als ein ganzes Volk zu zwingen, Geld für Fische zu bezahlen, gleichviel, ob es hernach Fische kaufen will oder nicht? eine Industrie zu erziehen, die ihre Prämie nicht in sich selbst hat, die überhaupt nur einen künstlichen Verlust mehr erzeugt? Jetzt kosten uns die Seeproducte etwa 5 Millionen Thaler jährlich. Nun sollen wir ungeheuere Capitalien aus ihren jetzigen lohnenden Beschäftigungen in Unternehmungen verlocken, die sich nicht selbst bezahlt machen. Das ist tausendfach erwiesener, praktisch widerlegter Unsinn.

Herr Sturz will den Schaden, womit die deutschen Seefischereien arbeiten sollen, durch einen dreifach erhöhten Tabakszoll und Verdoppelung der Tabakssteuer decken. Er meint, kein Deutscher, der sein Vaterland liebe, könne dagegen Einwendungen machen. Die Tausende von Cigarrenmachern, Tabaksfabrikanten und Händlern und die Millionen Raucher sollen sich also für ihre Verluste durch Patriotismus entschädigen, während die Prämie, die sie zahlen, dazu dienen soll, „den Egoismus der Einzelnen durch Aussicht auf Gewinn anzuregen“.

Unsinn! Unsinn! Anreizung zum Verbrechen! Und wenn’s auch kein Unsinn, kein Aufruf zu einem Zollvereinsstaaten-Verbrechen

  1. Vorher könnte der gleichnamige Artikel in Nr. 11 der Gartenlaubenoch einmal nachgelesen werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_391.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)