Seite:Die Gartenlaube (1863) 350.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Nachtlager auf einem der nahen Dörfer zu beziehen. – Auch dafür, daß die Turner mit möglichst geringen Kosten ihre Reise nach Leipzig machen können, hat der treffliche Wohnungsausschuß gesorgt. Auf Antrag des „mitteldeutschen Eisenbahnverbands“, an den man sich deshalb wandte, hat die Direction des deutsch-österreichischen Eisenbahnverbandes an alle Bahnverwaltungen das Ersuchen ergehen lassen, den Besuchern des Leipziger Festes freie Rückfahrt zu gewähren, und es ist dies, soviel uns bekannt, bisher vom besten Erfolg gewesen. (Zur Erlangung der Fahrpreisermäßigung ist an den betreffenden Abfahrtsstationen die Festkarte vorzuzeigen, welche schon vor dem 1. Juli – im Falle der Inhaber auf freie Einquartierung Anspruch macht – gegen Zahlung von 1 Thaler bestellt sein muß.)

Damit es schon vor dem Feste nicht an Gelegenheit fehle, zwischen dem Festausschuß und den Festtheilnehmern vermittelnd und anregend zu wirken, werden von Mitte Juni an beim Verleger der Gartenlaube „Blätter für das dritte deutsche Turnfest zu Leipzig, herausgegeben von G. Hirth und Ed. Strauch“ erscheinen – eine Festzeitung, die, im Ganzen etwa 12 Nummern haltend, auch noch während und nach dem Feste ausgegeben werden und nach ihrer Vollendung ein würdiges Gedenkbuch zur Erinnerung an das Fest sein soll. Sie wird alle Bekanntmachungen des Festausschusses, Originalaufsätze über Leipzig und seine Schlachtfelder, eingehende Festbeschreibungen etc. enthalten.

Soweit das Festprogramm sichergestellt ist, mag hier noch Einiges über den Verlauf des Festes und bezügliche Einrichtungen gesagt sein; die „Gartenlaube“ wird von nun an regelmäßig über alle weiteren Schritte des Festausschusses so schnell als möglich Bericht erstatten.

Sonnabend, den 1. August. Empfang der fremden Gäste auf den fünf Bahnhöfen der Stadt und Geleitung derselben nach dem Schützenhause, wo der Wohnungsausschuß seine Quartierbüreaux, für jede Landsmannschaft eines, aufschlagen wird. Abends Begrüßung der Festgäste seitens der städtischen Behörde und Uebertragung des formellen Festpräsidiums an den Ausschuß der deutschen Turnvereine im Schützenhaus. Hierauf in den festlich decorirten Räumen desselben Locals Concert und geselliger Verkehr. (Sonnabend Nachmittag Sitzung des Ausschusses der deutschen Turnvereine im Turnrathszimmer der Leipziger Turnhalle.)

Erster Festtag, Sonntag, 2. August. Morgens Reveille. Um 11 Uhr Vormittags Beginn der Verhandlungen des Turntags (d. i. einer Versammlung von etwa 300 gewählten Vertretern der deutschen Turnvereine) im großen Saale des Schützenhauses. Während dem findet von 10 Vormittags an ein Eröffnungsconcert auf dem Festplatze statt; ob gleichzeitig auch ein Schauschwimmen in der Elster angesetzt werden wird, ist noch nicht bestimmt. Mittags 1 Uhr Essen in der Festhalle; Nachmittags Unterhaltungsmusik auf dem Festplatze, beziehendlich in der Festhalle; von 7 Uhr an Instrumentalconcert mit Männergesangsaufführungen (von den sämmtlichen Leipziger Liedertafeln unter Leitung des Festausschußmitgliedes Director Dr. Langer) in der Festhalle.

Zweiter Festtag, Montag, 3. August. Morgens Reveille. Vormittags elf Uhr Aufstellung, um zwölf Uhr Abmarsch des Festzugs, der, lediglich aus Festtheilnehmern und Mitgliedern deutscher Turnvereine gebildet, sich in einer Stärke von circa fünfzehn- bis zwanzigtausend Mann durch die Straßen der Stadt nach dem Festplatze bewegen wird. (Die Aufstellung geschieht auf dem Augustusplatz und in den benachbarten Anlagen in der Ordnung nach Landsmannschaften, die einander so folgen werden: Preußen, Schlesier, Pommern, Märker, Mecklenburger, Holsten und Hamburger, Friesen, Hannoveraner, Kurhessen, Niederrheiner, Mittelrheiner, Oberrheiner, Schwaben, Baiern, Thüringer, Sachsen, Oesterreicher.[1] Jeder Landsmannschaft wird eine Standarte, den Abgesandten jedes einzelnen Ortes ein Schild mit betreffenden Inschriften vorangetragen.) Um drei Uhr Nachmittags beginnt auf dem Festplatze das allgemeine Schauturnen, eingeleitet durch eine Rede, gehalten von Dr. Goetz aus Lindenau. 1. gemeinsame Freiübungen, gleichzeitig von circa 10,000 Mann unter der Leitung des Dr. Lion ausgeführt. 2. Riegenturnen, mit möglichster Sonderung der einzelnen Landsmannschaften und Vereine. Nach Schluß des Schauturnens Unterhaltungs- und Tanzmusik auf dem Festplatze und in der Halle. Von neun Uhr Abends Nachtmanöver der Leipziger Feuerwehr.

Dritter Festtag, Dienstag, 4. August. Morgens acht Uhr Zug der Turnvereine Leipzigs und der umliegenden Dörfer (zusammen mit circa 4500 Mitgliedern) nach dem Festplatze und Specialschulturnen derselben von zehn Uhr an. Mittags Festmahl in der Halle. Nachmittags allgemeines Kür- und Wettturnen. (Das letztere beschränkt sich auf Uebungen im Laufen, Werfen und Springen; das Werfen geschieht mit 1/3 Zollcentner schweren Steinen. Für jede der drei Uebungen werden drei Ehrenkränze, zusammen also neun, als Preise an die Ausgezeichneten gegeben; die Rede bei der Preisverteilung wird Rechtsanwalt Georgii aus Eßlingen halten.) Von Abends 7 Uhr an Unterhaltungsmusik in der Festhalle, zu gleicher Zeit vielleicht auch eine Festvorstellung im Theater.

Vierter Festtag, Mittwoch, 5. August. Morgens 8 Uhr Zug der Festgenossen nach dem Festplatze, woselbst eine Feier zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig stattfinden soll, bestehend in einer Festrede (gehalten vom Dr. von Treitschke) und Männergesangsaufführungen. Nach gemeinschaftlichem Mittagsessen finden getrennte Züge nach den wichtigsten Punkten des Schlachtfeldes (auf dem übrigens, wie wir bemerken, der Festplatz mitten innen liegt) statt. Von Abends sechs Uhr an Concertmusik auf dem Festplatze. Den Schluß des Tages und des Festes überhaupt bildet ein großartiges Feuerwerk auf dem Festplatze.

So ist für den würdigen und großartigen Verlauf des dritten deutschen Turnfestes reichlich gesorgt. Leipzig wird es sich zur Ehre rechnen, Deutschlands turnende Jugend gastlich zu empfangen, und das gesammte Vaterland wird der wackeren Stadt dafür Dank wissen. Es bleibt nur zu wünschen, daß auch der Himmel mit freundlichem Auge auf das Fest herabblicken und Leipzig in den Tagen vom 1–5. August auf eine Stunde im Umkreis mit Regengüssen freundlich verschonen möge!



Geistesepidemien
Ein Vortrag, gehalten in der naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz
von Hermann Reimer
Nr. 1.


Innerer Grund der Geistesepidemien – Die Gesetze unseres Seelenlebens – Der Reiz der Nachahmung – Fortpflanzung von Bewegung zur Empfindung – Das Gähnen – Die Krämpfe – Der Veitstanz – Die Kreuzzüge.


In den Werken unserer Dichter begegnet uns öfters eine alte Legende, in der wird uns von einem wunderbaren Spielmann berichtet, der durch das Land gezogen sei und mit geheimnisvollen Melodien die Herzen und Sinne der Menschen gefesselt habe. Und so unwiderstehlich sei die Macht seiner Töne gewesen, daß die Hörer, alles Andere vergessend, ihnen hätten folgen müssen, erst Einige, dann mehr und immer mehr, bis sie endlich schaarenweise dahingetrieben worden seien. Wenn je eine Sage aus dem Leben herausgeschöpft wurde, so ist es diese, ein Spiegelbild wirklicher Begebenheiten, die im Strome der Zeiten immer von Neuem auftauchen und wieder verschwinden und die man deshalb füglich unter dem Namen „Geistesepidemien“ zusammenfassen kann, weil sie, so verschiedenartig sie ihrem Umfange und der Art und Weise ihrer Erscheinung nach auch sein mögen, denselben Gesetzen unseres geistigen Lebens ihren Ursprung verdanken und nach Art ansteckender Krankheiten von Kopf zu Kopf sich weiter verbreiten. Während solche Bewegungen im Volke bisweilen Dimensionen annahmen, welche sie zu weltgeschichtlichen Ereignissen erhoben, trat andere Male in der krampfhaften Form der Bewegung das Gesundheitswidrige so deutlich hervor, daß sie von den Schriftstellern geradezu als Volkskrankheiten aufgefaßt wurden. Geschichtsschreiber und Aerzte haben diesen großen Epidemien ihre Aufmerksamkeit zugewendet, und wir besitzen eine reichhaltige Literatur, in welcher wir sie nach ihren äußeren Umrissen beschrieben finden. Ueber den innern Grund der

  1. Es ist diese Reihenfolge nach der in der kürzlich erschienenen Statistik der deutschen Turnvereine beobachteten Ordnung bestimmt worden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_350.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2018)