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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Kennzeichen zu erzählen, daß, nachdem einmal die blutigen Opfer gefallen waren, die schlimmsten Zustände des Rückschlages und das ekelste Extrem des Denunciantenwesens Baden erspart blieb. Was Alle nachträglich erkennen mußten, war, daß auf den letzten Kampf der ausgetobten Leidenschaft die abgespannte Ermattung, die Entmuthigung, die bürgerliche und politische Theilnahmlosigkeit gefolgt war. Es erfolgte keine Aufhebung der Verfassung; wenn das ein Lob ist, nun, so gebührt es der badischen Reactionszeit. Es waren aber gar viele andere Dinge aufgehoben, durch welche diese besondere Aufhebung überflüssig wurde: der Geist des selbstthätigen Bürgerthums, die Freude am Gemeinwesen und das Vertrauen auf eine gute Zukunft. Der österreichische Einfluß war allmächtig, trotzdem doch Preußen den Staat in die Hände des Großherzogs Leopold zurückgegeben hatte; der österreichische Gesandte war einflußreich in allen maßgebenden Kreisen; Familieneinflüsse, kirchliches und Frauenregiment thaten das Ihre in mächtigen Kreisen; der Gedanke, die verirrte Heerde auf den Wegen der Klerisei der strenggläubigen Legitimität in die Arme zu führen, lag ohnehin dem Interesse der Kirche nahe: was Wunder, daß endlich die vermiedenen sittlich religiösen Rettungsgedanken in der Convention mit Rom ihren Ausdruck fanden? Hier lag die Katastrophe, und von hier begann in Wahrheit die neue Aera.

Hier taucht zuerst der Name des Freiherrn Franz von Roggenbach auf. Monde vor der Entscheidung war der Kampf gegen die Vereinbarung in badischen Blättern eröffnet worden. Einige der glänzendsten Artikel – ob mit Recht oder Unrecht, ist heute noch nicht festgestellt – schrieb man damals, es war an der Wende des Jahres 1859 in das Jahr 1860, dem Herrn v. Roggenbach zu. Und je lebhafter die Entscheidung drängte, um so greifbarer trat auch, aber immer noch ohne feste Anhaltspunkte für die öffentliche Meinung, dieser Name in den Vordergrund. Der Kampf und die Entscheidung selbst waren merkwürdig genug. Der Donner der Schlachten von Magenta und Solferino hatte auch den politischen Schlaf der badischen Bevölkerung gestört; die entsetzliche Hilflosigkeit der Bundesmaschinerie hatte uns das Bewußtsein der erlösenden Zerrissenheit wiedergegeben. Wir waren zu schlimmer Erkenntniß aufgeschreckt, aber wir wachten doch wieder, und der „Schulsack“ des Volkes war, Dank dem deutschen Unterrichte, doch reichlich genug gefüllt, um die Erkenntniß des geistigen Unheils, das in der Vereinbarung enthalten war, allen Schichten zugänglich zu machen. Das sittliche Allgemeingefühl bäumte sich auf – und Baden war befreit von dem Alp der Convention. In mehrtägiger Schlacht kämpfte die zweite Kammer, in ihrer Mehrheit aus Beamten bestehend, gegen die Minister von Meysenbug und Stengel. Das Land war wie im Fieber und die Entscheidung des Hofes schwankend bis zum letzten Augenblicke. In die widerstreitenden Gerüchte mischte sich stets der Glaube an den ernsten Willen des Großherzogs, dem Wahrspruch seines Volks über das Vertragswerk gerecht zu werden; gegen die Bemühungen der Concordatsritter und ihre verborgenen, mächtigen Einflüsse wirkten vorzugsweise zwei Männer – so hieß es im Volke – der allbeliebte Bruder des Großherzogs, Prinz Wilhelm, und der bis dahin so gut wie unbekannte Freiherr von Roggenbach.

Von diesem Augenblicke trat der Name Roggenbach immer stärker in den Vordergrund. Lange entfremdet dem Lande, dem er durch Geburt, durch weitverzweigte, vielfach in politischer Denkart freilich ihm höchst entgegengesetzte Familienbeziehungen angehört, führte ihn erst der Frühlingsathem schönerer und freierer, durch seine eigene Thätigkeit mit herbeigeführter Tage in das engere Vaterland und auf das Schloß der Ahnen (bei Schopfheim im prächtigen Wiesenthale) häufiger zurück. Die ersten Tage des April 1860 hatten das Ministerium Stabel-Lamey gebracht. Herr Stabel, der schon unmittelbar nach der Niederwerfung der 49er Bewegung Minister gewesen war, versah nahezu ein Jahr lang neben den Geschäften seines speciellen Fachministeriums auch das Ressort der auswärtigen Angelegenheiten. Wie Habichte warfen sich die gegnerischen Organe auf den neuen Minister. Man wußte wenig von seiner staatsmännischen Vergangenheit. Der 36jährige Mann (Roggenbach ist geboren am 23. März 1826 in Mannheim) hatte keine „staatliche Carriere“ hinter sich. Er hatte als Student mit den Häuptern der einstigen „Deutschen Zeitung“, mit Gervinus, Häusser, Mohl, insbesondere auch mit Schlosser verkehrt; er hatte als Volontär im Reichsministerium der auswärtigen Angelegenheiten gearbeitet. Man sagte ihm nach, er habe mit kalter Besonnenheit und feuriger Energie den schönrednerischen Idealismus der Reichsversammlung verurtheilt, als diese in langen Monden die „Grundrechte eines Staates berieth, den sie vorher zu schaffen versäumt hatte.“

Mit „sittlichem Schauder“ erkannte die Bureaukratie, der Theil der Adels, der blindlings nach Oesterreich hinneigte, erkannte die katholische Partei in Roggenbach einen Mann, dessen Laufbahn man nicht auf der Stufenleiter des badischen Regierungsblattes nachklettern konnte. Wo man das Leben des Mannes zu fassen und eine Seite seiner Vergangenheit aufzuschlagen vermochte, da sah man ihn im Verkehre mit fürstlichen Personen oder mit hervorragenden Größen deutscher Geschichtsschreibung und deutscher Staatsrechtswissenschaft. Und als auf den Trümmern des Dreikönigsbundes die preußische Politik die Apotheose ihrer eigenen Gehaltlosigkeit beging, als der wenn auch unschöpferische Idealismus der Bewegungsjahre dem nackten, tödtlichen Cynismus der legitimen Gewalten Platz machte, die in der Orgie der Reaction Volksrechte preisgaben nach innen und außen, in Kurhessen und in Schleswig-Holstein – da sah man Roggenbach dem hoffnungslosen und entsittlichten Treiben eines siegreichen Legitimitätsrausches den Rücken kehren und in der Einkehr zur strengen praktischen Staatswissenschaft, auf weiten, erfahrungsreichen Reisen, im Verkehre mit den politischen Größen europäischer Weltstädte, von denen er London mit Vorliebe festhielt, die Gesundheit der politischen Denkungsart und den Schatz echten Freisinns sich erretten, durch die er heute noch seinen bureaukratischen, ständischen und kirchlichen Gegnern ein Gräuel ist. Roggenbach ist ein „improvisirter Minister“; er hat nicht die bureaukratische Wohlerfahrenheit eines wohlbezopften Mandarinen mit in sein Amt gebracht, aber den guten Willen, den frischen Sinn, die geistige Begabung, den festen Charakter, und vor Allem die echte, thatenlustige Vaterlandsliebe, wie sie einzig und allein aus einem der Volksart und dem innersten Volkssinn verwandten Herzen herauswachsen kann.

Als Roggenbach in das Ministerium trat, konnte man die Eigenschaften seines Geistes und seines Charakters nur erst ahnen; seither hat er sie voll und ganz bethätigt. Niemals wird es gelingen, seine ministerielle Thätigkeit in dem ganzen Adel ihrer Denkart zu verstehen, wenn man nur die einzelnen diplomatischen Aeußerungen, einzelne badische „Noten“ als solche betrachtet. Diese Thätigkeit hat vielmehr ein oberstes philosophisch-praktisches Grundprincip, das Roggenbach mit Lamey, dem trefflichen badischen Minister des Innern, theilt und das der badischen Staatsleitung in ihren beiden hervorragendsten Vertretern ihr eigenthümliches, hellleuchtendes Gepräge giebt. Dieser oberste Grundsatz ist: der Glaube an die Nothwendigkeit des staatlichen Fortschritts durch Bildung und Freiheit. In diesem Grundsatze liegt der unmittelbarste Gegensatz zu der durch Metternich’s Beispiel zu Schanden gewordenen Staatsleitungsmethode ausgesprochen. In diesem Grundsatze liegt die Nothwendigkeit des Anschlusses an den bewegenden Volksgeist ausgesprochen. Die Regierung taucht hinab in den Geist des Volkes; sie läutert die Gedanken, die sie in der Tiefe des Volkslebens findet, in dem Feuer der Wissenschaft, der höchsten Bildung und im Kampfe mit den bestehenden feindlichen Verhältnissen. Und indem sie sich über uns erhebt, erfüllt sie uns doch stets mit dem Bewußtsein, daß sie Blut von unserem Blute, daß sie aus den Wurzeln unseres Seins und Wesens herausgewachsen ist.

Von diesem höhern Gesichtspunkte betrachtet wird man erst den vollen Sinn der Worte verstehen, die Großherzog Friedrich von Baden sprach: „Ich kann nicht finden, daß ein trennender Widerspruch besteht zwischen Fürstenrecht und Volksrecht“; von diesem Grundprincip aus wird man begreifen, daß die ganze Thätigkeit Roggenbachs in allen ihren einzelnen Aeußerungen durchgeistigt ist von dem Athem, der sein höchstes und heiligstes Wort beseelt: „Die künftige deutsche Centralgewalt muß erfüllt sein und in Bewegung gesetzt werden von dem Gewissen des deutschen Volkes.

Unmöglich kann es die Aufgabe dieser Skizze sein, die politische Thätigkeit Roggenbach’s in allen ihren einzelnen Kundgebungen zu verfolgen. Seine Note in der deutschen Frage, seine Abstimmung für das Verfassungsrecht in Kurhessen, seine Vernichtung des Delegirtenplanes vom Standpunkte eines höheren, unwiderstehlichen Rechtes auf wahrhafte politische Sammlung, sein Einstehen für den preußisch-französischen Handelsvertrag und damit für den Grundsatz

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