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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

erzählen wollte, nicht zu Worte kommen und drängte sie in die Hausflur hinaus. „Grüß’ mir die Müllerin noch einmal,“ sagte sie, „sie soll sich nit zu sehr kränken; wie ich mich daheim ein bissel losmachen kann, bin ich wieder da … ich will rückwärts hinaus – damit ich dem Müller nicht begegne … es käm’ mich gar zu hart an; halt’ ihn fein gut, den armen Menschen. … Nit wahr?“

Damit wollte sie fort, aber die Frau ließ sie nicht los. „Was eilt’s Dir denn gar so sehr?“ rief sie. „Man kann Dir ja gar nicht ausrichten, was man auszurichten hat! Da drunten unter den Bäumen ist mir ein Mannsbild in den Weg gekommen und hat nach Dir gefragt und hat Alles so genau gewußt von Dir, daß es wohl ein guter alter Bekannter sein muß. Er will durchaus mit Dir reden und läßt Dich bitten um Alles in der Welt, Du sollst hinauf kommen zu dem großen Lindenbaum an der Wegscheid – dort will er auf Dich warten … er hat Dir was recht Nothwendiges zu sagen.“

„Mir?“ sagte Evi verwundert. „Wer soll das sein? Wie sieht er aus?“

„Ein kleiner hagerer Mann ist’s mit einem griseligen (graulichen) Bart und einem wachsgelben Gesicht. …“

„Mein Weg führt mich ohnedem an den Linden vorbei,“ sagte Evi sie unterbrechend, weil eine Ahnung in ihr aufzuckte. „Da werd’ ich ja sehen, was es ist und was er will. … Und so nochmals b’hüt Gott beieinander. …“

Sie eilte fort, auf der Berghöhe dahin, hinter den einzelnen Höfen und dem einsamen Kirchlein am Kunterweg, dessen Kuppel sich über Hügel und Wald emporhob. Schon nahte sie der Linde, die ihr tausendjähriges Laubdach frischgrün und weithin ausbreitete, groß genug, einem ganzen Wallfahrtszuge einen schattigen Ruheplatz zu gewähren. Sie erkannte schon von fern, daß ihre Ahnung sie nicht betrogen hatte – dennoch schrak sie wie unwilllürlich zurück.

Unter der Linde, auf einer der mächtigen aus dem Boden aufragenden Wurzeln saß der Jäger-Gaberl, nicht zu verkennen, wenn er auch nicht mehr das Gewand des Jägers trug, sondern etwas fremdartig gekleidet war.

„Du bist’s?“ rief sie unwillig. „Was kannst Du mir zu sagen haben?“

„Erräthst Du’s nicht?“ erwiderte er lachend. „Ich meine, ich sollte Dir just gelegen kommen! Du willst ja fort; da ist das, was ich bringe, gewiß am rechten Platz!“

„Geht’s Dich an, was ich im Sinn hab’?“

„Aha, Du bist noch immer so oben hinaus? Giebst es noch immer nicht wohlfeiler? – Anhören sollst Du mich wenigstens! Ich bin das letzte Mal fort in aller Eil’ …“

„Du weißt, warum!“

„Nichts weiß ich – eine Dummheit war’s! Wär’ ich geblieben, kein Mensch hätt’ mir ein Haar gekrümmt. Hab’ ich mich nicht meiner Haut wehren müssen? Hab’ ich in dem Getümmel wissen können, wen mein Hirschfänger trifft? Hat er’s nicht selbst gesagt, der … derjenige, den ich nicht nennen will?“

„Weil er ein goldenes Gemüth gewesen ist, das Du gar nit verstehst – weil er Dich nicht hat in’s Unglück bringen wollen!“

„Was hat’s mir genützt? Fort war ich einmal und auf meinen neuen Posten hab’ ich auch nicht mehr hingekonnt – da hab’ ich mich kurz resolvirt und bin ausgewandert, tief nach Ungarn hinunter! Da ist doch noch ein ungebundenes, ein fideles Leben, ich hab’ mir eine Schenkwirthschaft eingerichtet und lebe wie der Vogel im Hanfsamten! Jetzt bin ich noch einmal herauf gereist – ich wollte meine Mutter und meine Verwandten sehen und, wenn’s angeht, eine fidele Wirthin mitnehmen in’s Ungarland …“

„Ich hab’s schon einmal gesagt, Glück auf den Weg – und das bald! Es könnte leicht sein, daß Dir Einer begegnet und Dich fragt, ob Du ihn so gewiß erkannt hast, dort in der Wimbachklamm.“

„Er soll mir kommen – ich hab’s nicht mit ihm zu thun, sondern mit Dir … Dich will ich fassen und nimmer loslassen. …“

Er ergriff wirklich ihren Arm, aber sie sprang zurück und rief:

„Weg von mir mit Deiner blutigen, meineidigen Hand. …“

„Meineidig?“ höhnte er. „Ich glaube, Du träumst! Wer kann aufstehen und kann mir beweisen, daß ich ihn nicht dafür gehalten habe? Mehr hab’ ich nicht geschworen. … Aber Du – fürchtest Du Dich nicht noch weit mehr, daß Du dem Gewissen begegnest? Warum gingst Du sonst fort? Du siehst ein, daß Du nicht mehr bleiben kannst … daheim hast Du auch nichts zu suchen … es bleibt Dir doch nichts übrig, als Deiner Lebtag ein Dienstbot’ herumzufahren unter den fremden Leuten … Sei gescheidt, Evi, und geh’ lieber mit mir – im Ungarland da ist’s ein anderes Leben. …“

„Geh’ mir aus dem Weg,“ sagte Evi kurz, „lieber betteln, als Dir was verdanken – lieber sterben, als mit Dir gehen!“

„Zum Betteln kann’s mit der Zeit vielleicht kommen,“ höhnte der Jäger, „vom Sterben ist noch keine Rede! Jetzt soll’s aus einem andern Ton gehen, und der heißt – müssen“

„Wer will mich zwingen?“ sagte Evi stolz.

„Ich!“ erwiderte Gaberl. „Gehst Du nicht gutwillig mit mir, so gehst Du mit Gewalt!“ Er that einen gellenden Pfiff und fuhr fort: „Dort auf der Straße wartet mein Knecht mit meinen ungarischen Hetzern … er wird gleich da sein, dann heben wir Dich auf und tragen Dich in den Wagen und fort über die Grenz’ nach Ungarn – kein Hahn kräht Dir nach!“ Damit fasste er sie wiederholt am Arme und riß sie an sich. Sie hielt sich an den Stamm der Linde und bot alle Kraft zum Widerstande auf, um zu entrinnen, eh’ der Knecht eintraf, den sie schon über die Felder heranspringen sah. Sie rangen miteinander – da schlug fernes Geräusch an ihr Ohr – sie machte eine letzte verzweifelte Anstrengung sich loszureißen, welche gelang … ein hastiger Sprung in’s Freie – aber er war zu kurz und über eine der Riesenwurzeln der Linde stürzte sie zu Boden. …

– Als sie wieder erwachend die Augen aufschlug, war es ihr, als ob sie träume. Einige Augenblicke sah sie wie prüfend und sich besinnend im Kreise umher, und ein seliges Lächeln überflog ihr Gesicht. Um sie herum standen lauter fröhliche, lachende, ihr zunickende Menschen; es war die halbe Einwohnerschaft der Ramsau, darunter der Vicar und der Bühelbauer, der gar nicht so ernsthaft und streng aussah, wie sonst – und neben ihr kniete Mentel, hielt eine ihrer Hände an die Brust gedrückt und blickte ihr mit aller Innigkeit der Liebe in’s Gesicht. „Was ist denn das?“ stammelte sie. „Träumt mir denn oder bin ich gestorben und wach’ im Himmel auf – bei der ewigen Lieb’ und im ewigen Frieden?“

„Noch bist Du bei uns auf der Erden, Gott sei Dank,“ sagte Mentel zärtlich, – „aber die ewige Lieb’ ist doch bei Dir!“

„– Und der ewige Frieden!“ setzte der Bühelbauer nähertretend hinzu. … „Steh’ auf, Evi – ich sag’ Dir’s vor allen Leuten, Du bist die bravste Person, die ich kenn’, und ein ordentliches Madel; ich bin selbst draußen gewesen und hab’s so mit herein gebracht vom Tölzer Landgericht. Ich hab’ Dir unrecht gethan – Du aber hast Dich nit gerächt dafür; Du hast meiner lieben Bäuerin zu einer ruhigen Sterbstund’ verholfen und hast mir meinen Sohn wieder gebracht … dafür soll der Bursch’ auch Dein gehören, wenn Du ihn magst! Steh’ auf, es ist Alles schon hergericht’ in der Still’ – der Hof gehört’ von heut’ an dem Mentel, Eure Zeugnisse sind da – die Erlaubniß ist da – die Dispens ist da wegen der Verkündigung – wenn Du willst, kann am Sonntag die Hochzeit sein … gieb mir die Hand und schlag ein!“

Evi war an Mentel’s Arm aufgestanden; sie vermochte noch immer nicht sich in den schnellen Wandel zu finden und zu antworten. „Du sagst nichts?“ rief Mentel. „Willst Du’s nit wiederholen vor aller Welt und unter Gottes freiem Himmel, was Du mir nur an dem schrecklichen Ort gestanden hast, wo Du allein zu mir ’kommen bist, wie ein guter Engel?“

„Laß sie gehen, Meutel,“ sagte der Bühelbauer, nicht ohne einen Anflug von Mißmuth, daß das gehoffte freudige Ja sich so lange erwarten ließ. – „Ich weiß schon, was sie verlangt und auf was sie wartet. …“ Er trat etwas näher und wollte die Hände erheben, um sie wie ein Bittender zu falten, im selben Augenblick aber hielt Evi sie umfaßt und lag weinend an der Brust des nicht minder gerührten Alten. „Da ist Dein Platz jetzt, als meine liebe Schwieger,“ sagte er, indem er sie in Mentel’s Arme führte, der sie innig umschlang. „Und jetzt vorwärts!“ fuhr er fort. „Es ist Alles in Ordnung und gut hat sich’s betroffen, daß wir von der Mühl’ herauf ihr gleich nach sind und haben den Jäger, den schlechten Burschen, versprengt. – Jetzt hinunter in’s Dorf und auf den Bühelhof, und damit Dich Keins über die Achsel anschaut, weil Du fremd und nit reich bist, so nehm’ ich Deinen Wanderbündel in die Hand und trag’ ihn Dir nach in’s Haus als Gemeindevorsteher und Bauer!“

Jubelnd setzte der Zug sich in Bewegung und schlängelte sich den waldigen Kunterweg hinab; Jauchzen und Gesang erscholl, die Musikanten, die mitgegangen waren vom Hochamte her, bliesen

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