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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Sie sagen, daß Sie aus Laclede County sind?“ klang die zweite Frage.

„So ist es, Sir, nicht weit von Oakland!“

„Und was haben Sie dagegen zu sagen?“ wandte sich der Examinirende an den Patrouillenführer, „mir scheint die Sache sehr einfach!“

„Ich habe zu sagen, Colonel,“ erwiderte Stevens, während ein häßliches Lächeln sein Gesicht verzog, „daß sich Einer leicht ausgeben kann, für was er Lust hat; daß ich aber das Gesicht hier von St. Louis her kenne, wenn ich auch nicht gleich weiß, wohin es gehört; daß der Mann ein Deutscher ist, und daß ich deshalb vermuthe, er kommt nicht von Laclede, sondern vom General Lyons, den Gott verdammen möge!“

Ein rascher, finsterer Blick des Officiers traf mich. „Sie haben das gehört, Sir?“

Ich vermochte es, trotzdem mir innerlich Alles wie zugeschnürt war, geringschätzig mit den Achseln zu zucken. „Ich denke, Sir, das Gesicht des Mannes hier, oder wenigstens ganz ähnliche zu kennen, die in St. Louis als die Levee[1]-Ratten bekannt waren – ich war nämlich dort auf dem College, Sir, – und daß ich mich nicht getäuscht, beweist, daß der Mensch seiner eigenen Mannschaft den Vorschlag machte, mir vor dem Eintritt in’s Lager abzunehmen, was ich trug, und sich dann meiner auf irgend eine Weise zu entledigen.“

„Ich kann das Letztere bezeugen, Colonel, wenn ich auch sonst keinerlei Art von Bürgschaft für den Mann übernehmen mag!“ wurde jetzt die Stimme meines frühern Begleiters, der seitwärts des Feuers im Schatten gestanden, laut, und nach einem raschen Blick auf den Sprechenden nahm das sich meinem Ankläger wieder zuwendende Gesicht des Officiers einen eigenthümlichen Ausdruck von Widerwillen an. Ich meinte völlig in seiner Seele, welche die eigenen erbärmlichen Werkzeuge zur Erringung der sogenannten südlichen Rechte verachtete, lesen zu können und sah zugleich, daß meine Sache wenigstens für den Augenblick gewonnen war. „Haben Sie der eben bezeugten Angabe etwas zu entgegnen?“ fragte er kurz, als thue ihm jedes zuviel gesprochene Wort leid, und als Stevens nur mit einem ingrimmigen Blicke auf mich antwortete, wandte er sich nach dem Nächststehenden seiner Umgebung. „Ich sehe hier durchaus keinen Grund für einen ängstlichen Verdacht. Lassen Sie den Mann abgeben, was er für den General bestimmt hat, und bringen Sie ihn dann zu der übrigen neuen Mannschaft nach der Reserve!“ Dann nickte er mir kurz zu. „Ist Ihre Gesinnung wirklich die, welche Sie zu erkennen gaben, so sei Ihnen hiermit für Ihren Patriotismus gedankt; im andern Falle aber mögen Sie auch versichert sein, daß Sie beim ersten unrechten Schritte eine Kugel im Nacken haben werden!“ Er schritt wieder nach der Rückseite des Feuers; ich aber gab meine Hühner und Eier ab und sah mich darauf zu meiner großen Erleichterung nach einem der äußersten Enden des Lagers geführt, wo zwar die Feuer so hell wie überall brannten, die träge Ruhe indessen, in welcher die Mannschaften darum her lagerten, die Neulinge in dem begonnenen Kriegsspiele verrieth. Schon meinte ich, als der mich begleitende Officier einen langsam zwischen den Gruppen umherschreitenden Bewaffneten anrief, jeder Hauptgefahr entronnen zu sein, als plötzlich eine Stimme meinen Namen nannte und zugleich ein junger Mann vom nächsten Feuer aufsprang. „Reuter, by devil, old fellow, was bringt denn das Schaf unter die Böcke – und was by Jingo soll denn die Maskerade? Ist der Lieutenant seinen Landsleuten heimlich entwischt, um zur richtigen Fahne zu schwören?“

Mir war es bei den ersten Lauten geworden, als solle mir das Herz stillstehen, dann aber, als ich in kurzer Entfernung die Stimme von Stevens hinter mir hörte, packte mich das volle Entsetzen. Ich war im letzten Jahre in einem der großen Speditionshäuser in St. Louis gewesen, wo Stevens, der wie die Meisten seines Gleichen sein Brod als Lastträger an der Landung erwarben haben mochte, mich wohl oft gesehen hatte; der junge Mann aber, welcher mich jetzt angerufen, war Clerk in einem benachbarten Handlungshause gewesen, kannte mich genau und hatte, so wie ich, beim Schluß aller Geschäfte zum Gewehr gegriffen, nur daß ich auf Seite der Deutschen, er aber als Amerikaner auf der seiner Landsleute stand. Mein Betrug mußte jetzt unter allen Umständen offenkundig werden, und der frühere Freund hatte mich, wenn auch wohl wider seinen Willen, an den Strang geliefert. Ich sah noch, wie seine Züge eine plötzliche Betroffenheit über mein wahrscheinlich aschenbleich gewordenes Gesicht ausdrückten, hörte noch, wie der mich begleitende Officier in einem so eigenthümlichen Tone, daß er mir wie ein scharfes Messer in’s Herz fur, ausrief: „O Jim, Sie kennen den Gentleman?“ dann aber hatte ich nur den einen Gedanken, daß hinter den beiden nächsten Feuern sich die freie, mondhelle Nacht zeigte und daß kaum zweihundert Schritte von uns sich eine scharfe Waldecke in die Ebene hineinzog; wußte zu gleicher Zeit, daß ich nicht einen Augenblick in meinem Handeln zögern durfte, wenn ich überhaupt noch an Rettung denken wollte, daß es galt, durch Ueberraschung zu wirken und dann um mein Leben zu laufen; wurde ich dabei auch niedergeschossen, so entging ich doch dem Strange – und kaum hatte der Officier das letzte Wort gesprochen, als ich auch mit einem Satze, zu dessen Weite mir sicher nur die Todesangst die nöthige Kraft verlieh, aus der Mitte meiner Umgebung war und gerade zwischen der an ihren Feuern lagernden Mannschaft hindurch die freie Ebene gewann.

Ich flog wie ein gehetztes Wild der mir zum Ziele genommenen Waldecke zu, und zwei Secunden blieb Alles still hinter mir; dann aber klang es um so wilder: „Ein Spion! haltet den Spion!“ – ich erkannte deutlich die rauhe Whiskeystimme von Stevens – und: „haltet den Spion!“ schrieen zwanzig Stimmen nach. Kurz vor mir tauchte in diesem Momente eine Gestalt auf – ein Mann der Postenkette; aber er war von mir überrannt, ehe er sich das ganze Ereigniß wohl noch klar gemacht; ein Schuß knallte hinter mir, ein zweiter und dritter folgte nach; aber ich fühlte mich unverwundet und flog weiter – wäre hinter mir nicht die neuangeworbene, zum größten Theil noch unbewaffnete Mannschaft gewesen, so hätte mich wohl ein schlimmeres Loos getroffen; indessen sah ich im Geiste das ganze Lager alarmirt, sah Stevens wie einen Bluthund an meinen Fersen hängen und wußte, daß selbst der Wald mich kaum vor meinen Verfolgern werde retten können, wenn nicht irgend ein glückliches Ungefähr zu meinen Gunsten entschied. Da war ich, ohne nur einen einzigen Rückblick gewagt zu haben, zu den Bäumen gelangt, welche mich wenigstens vor ferneren Schüssen sichern mußten; aber eine plötzliche Täuschung lähmte mir jetzt fast jede Muskel. Was ich im Mondschein für die Ecke des Waldes gehalten, war nichts als eine Gebüschgruppe von geringem Umfange, auf deren entgegengesetzter Seite ich das helle Mondlicht hereinbrechen sah – weit hinüber erst lag der eigentliche Wald und dazwischen nur die offene, schutzlose Hochebene, das sah ich, als ich mich rasch durch das Gestrüpp gearbeitet und die letzten Bäume erreicht hatte. In geringer Entfernung hinter mir klangen gelle Rufe, jeder Moment Zögerung mußte mich meinen Verfolgern überliefern, aber mitten in der fliegenden Erregung von Leib und Seele sah und dachte ich wunderbar klar und ich war auch, noch ehe nur einer meiner Schritte gezögert, mit meinem Entschlusse fertig geworden. Rechts hinüber lag die Straße, auf welcher ich gekommen, und die ich wieder zu gewinnen hatte, wenn ich nicht in völlig unbekannte Gegenden gerathen sollte. Das Gebüsch mußte dabei für kurze Zeit die veränderte Richtung meiner Flucht verbergen, und wurde sie dann auch entdeckt, so hatte ich wenigstens ebenso schnelle Füße und eine so ausdauernde Lunge, wie irgend einer meiner Feinde. Hinüber ging es, wo der auseinander laufende Wald mir ein deutliches Merkmal meines früheren Weges gab; noch machte ich aber keine zweihundert Schritte weit sein, als lautes Geschrei hinter mir verkündete, daß ich auf der kahlen, mondbeglänzten Fläche entdeckt worden sei. Vom Lager herauf hätte mir jetzt der Weg abgeschnitten werden können, und ich warf einen raschen, angstvollen Blick nach dieser Richtung; als sich hier aber nirgends die Spur neuer Verfolger zeigte, machte ich mich zu dem langen Wettlaufe, der jetzt unausbleiblich erfolgen mußte, fertig, und die jetzt auftauchende Möglichkeit, nach erreichter Absicht entrinnen zu können, goß mir völlig neues Leben in die Glieder.

Von hier ab weiß ich eigentlich nur, daß ich meine frühere Straße erreichte und sie, wie magnetisch von ihr festgehalten, in einem Laufe verfolgte, unter dem mir nach verhältnißmäßig kurzer Zeit die Brust zu springen drohte; die Klugheit hätte mir gebieten müssen, den seitwärts liegenden Wald zu gewinnen, aber ein unbezwingbarer Drang jagte mich vorwärts, dem Lager der deutschen Cameraden entgegen; dazu war es mir, als könne ich durchaus nicht fern von dem Punkte sein, an welchem der auseinandergetretene

  1. Landungsplatz der Dampfboote.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_191.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)