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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Kopf und das hagere Gesicht mit faltigen hängenden Wangen, deren unnatürliche Röthe unwillkürlich den Verdacht erweckte, als ob sie ihren Ursprung zerstoßenen Ziegelsteinen oder dem Safte rother Rüben danken. Von Zeit zu Zeit schossen unter den starken Augenbrauenbüscheln scharfe graue Augen nach allen Seiten herum, wie wenn sie Jemand suchten oder erwarteten.

Nebenan am Rande des Rinnsals regte es sich im Grase und rauschte durchs Gebüsch; eine sonderbare Erscheinung kroch unter den Zweigen am Baden hin, dem Gange nach ein Thier, denn es bewegte sich auf allen Vieren, nach Gestalt und Antlitz ein Mensch, wenn auch in traurigster Verkümmerung. Wie ein Hund auf der Lauer lag es jetzt im Gebüsch und ließ den Eingang der Mühle nicht aus den Augen; nur manchmal schielte es ängstlich gegen das Weib hin, gleich als fürchtete es, von diesem bemerkt zu werden. Nach einiger Zeit erhob sich das Weib und ging auf der Gräd vor bis an die Ecke des Hauses, von welcher man weiter in den Ledergraben und auf den Weg hinabsehen konnte. Diesen Augenblick benutzte der Kriechende und kam rasch aus dem Gebüsche auf den Rasen hervor. Es war die Gestalt eines Mannes, dem ein schweres Rückenleiden unmöglich machte, aufrecht zu gehen, und der es gewohnt geworden, Hände und Füße zu gebrauchen, um fortzukommen. Er war dürftig, nur mit grobem Hemd und Zwillichhosen bekleidet, die von Schmutze starrten und wovon die Fetzen niederhingen. Der Kopf war ganz mit weißem wirrem Haar und struppigem Bart derselben Farbe umgeben; in dem breiten fleckigen Angesicht und den starren blatten Augen lag der Ausdruck des Stumpfsinns. Rasch lief der Blöde über den Rasen und hatte beinahe die Gräd erreicht, als das Weib zurückkam und mit drohend erhobener Hand abwehrend ihm entgegen sprang. „Was willst Du da?“ schrie sie ihm zu. „Marschir’ weg; Du hast im Haus nichts zu thun!“

Der Mann vermochte nicht zu sprechen; er brachte nur dumpfes, undeutliches Gebrumm hervor, von welchem nur einzelne Laute den Tönen menschlicher Sprache ähnelten und als verstümmelte Worte verständlich wurden. „Kalt …“ stieß er hervor, „… Ofen …“

„Nichts da! Kann nit aufgeführt werden!“ schrie sie ihm entgegen. „Heut’ kommen Leut’, vor denen Du Dich nit seh’n lassen darfst! Ich müßt mich ja schämen!“

Der Vierfüßige hatte sich wie ein Hund halb aufrecht auf zwei Beine und eine Hand gesetzt; er verzog schmerzlich das verwilderte Gesicht und führ mit der freien Hand über die Augen, als ob er weinen wolle; es kam aber keine Thräne, und er brummte nur noch dumpfer und unverständlicher etwas, was sich anhörte, wie „Herr“ und „Haus“.

„Was? Du willst noch Herr im Haus sei?“ schrie ihn das Weib an. „Auf der Stell’ packst Dich fort, oder ich zeig’ Dir, wo Du hingehörst und wer Du bist!“ Damit hatte sie einen Prügel vom Wege aufgerafft und schwang ihn drohend über dem Elenden.

Dieser schoß ihr einen wildfunkelnden Zornblick zu, aber er entfloh eilig und kroch der Nebenthüre zu, die in den Stall führte. Dort verbarg er sich neben der einzigen Kuh in das Stroh; das Thier schien ihn zu kennen und gewohnt zu sein; es regte sich nicht, als er sich hinzu schmiegte, und leckte ihm wie mitleidig die braunen rindenharten Hände.

Die Müllerin war inzwischen in die Stube gekommen und hatte Feuer angemacht, in dem großen Ofen, der, aus dunklen, runden Thonstücken zusammengesetzt, ein Viertel des Raumes einnahm. Durch die Ritzen des locker gebrannten Lehms fiel der Schein der Flammen auf den dunklen Breterboden und ließ die Umrisse der Stube erkennen, deren schwarzbraune niedrige Balkendecke tief in die weißen Wände hereinreichte. Man unterschied die kleinen runden bleigefaßten Scheiben der Fenster und die um den Ofen und längs der Wand hinlaufende Sitzbank. Die Frau hatte einen Spahn angezündet und machte sich damit an einem Schränkchen zu schaffen, das in die Wand eingelassen war und dessen zierlich geschnitztes Thürchen von bessern Tagen, die das Haus gesehen, zu erzählen schien. Nachdem sie ein schmutziges Oellämpchen angesteckt und in die dreieckge Mauernische daneben gestellt hatte, begann sie den Inhalt des Kästchens zu mustern. Er bestand aus einem Weidenkörbchen mit allerlei Nähgeräth, aus einigen Büchern mit braunen abgegriffenen Blättern, aus ein paar alten Kalendern, einigen halbblinden Flaschen und Gläsern und einem Bündel Lumpen und Flickzeug. Die Müllerin beachtete all dies nicht, sondern zog unter den Fetzen eine schmutzige Schweinsblase hervor, deren Inhalt sie mit unverkennbarem Wohlgefallen musterte. Es waren einige Thaler, ein in ein Papierchen eingewickeltes Goldstück und Gegenstände weiblichen Schmucks, eine zerbrochene Busennadel, ein einzelner Ohrring in Tropfenform. Das Aufleuchten in den Augen des Weibes verrieth, daß die Habsucht in ihr mahnte und daß trotz Alter und Häßlichkeit die Putzsucht und Eitelkeit noch nicht von ihr gewichen war. Sie zog das Halstuch zurecht, und strich vor dem Spiegelscherben, der an der innern Wand des Schrankthürchens angebracht war, das verworrene Haar zurecht; dann hielt sie den Tropfen an das Ohr und besah sich von allen Seiten. „Es sollt’ mir schon ansteh’n,“ murmelte sie vor sich hin, „es kommt nur darauf an, daß man’s hat – dann glauben’s die Leute auch … und ich will’s und muß es haben … ich mag nicht länger so …“

„Heda! Pst! Müllerin!“ rief es durch’s Fenster, und eine kräftige Hand pochte an die schwirrenden Scheiben. „Ist’s leer im Kasten? Ein Mahlgast will zufahren!“

„Wer bei der Nacht zugefahren kommt, der kann zum Teufel geh’n!“ rief das Weib, indem sie hastig ihre Schätze zusammenraffte und verbarg und das Schrankthürchen unwillig zuwarf.

Es erfolgte keine Antwort von draußen, aber im nächsten Augenblick ging die Stubenthüre auf, und ein Bauernbursche in schwarzer Manchester-Jacke, auf dem Kopfe den breiten Hut mit goldenen Schnüren und Troddeln, trat ein. „Du bist es, Quasi?“ rief die Müllerin brummend. „Wo kommst Du her um die Zeit?“

„Komm’ ich Dir etwan nit gelegen, Müllerin?“ fragte der Bursche, indem er sich ohne Anfrage oder Entschuldigung an den Tisch setzte. „Du darfst es nur sagen – so geh’ ich wieder; ich find’ überall Platz für meine Thaler!“ Damit hatte er einen Blasenbeutel hervorgezogen und schlug ihn auf den Tisch, daß die Münzen darin klangen.

Die Müllerin horchte hoch auf und kam schnell besänftigt herbei. „Mußt es nit übel nehmen, Quasi,“ sagte sie zutraulich keck, „weißt ja, daß Einem oft ’was über’s Leberl laufen kann! Bist mir doch Einer von den Liebsten, die zukehren. … Du hast ja heute ganz gewaltige Span’ (Spähne),“ fuhr sie fort, indem ihre Augen begierig an der vollen Börse hafteten. „Das scheppert ja, wie wenn’s lauter Kronthaler wären. … Laß doch seh’n. …“

Sie griff nach dem Beutel, aber der Bursche zog ihn an sich. „Hat keine Eil’,“ sagte er lachend. „Kannst leicht selber mehr solches G’lump haben, wenn Du gescheidt bist – jetzt bring mir ein Quartl Pomeranzen … ich brauch’ was zum Aufwärmen für die Nacht!“

Die Müllerin eilte an das Wandkästchen und drückte inwendig an eine Feder; ein verborgenes Fach öffnete sich darin, aus welchem sie das Verlangte hervorholte, und das durch seine Heimlichkeit verrieth, daß in der Ledermühle eine Winkelschenke gehalten wurde. Sie stellte Quasi das gefüllte Glas hin und rief, indem sie ihm auf die Schulter klopfte: „Gesegn’ es Gott, Quasi ich will nur geschwind hinaus, und will die Läden zumachen und die Hausthür’, damit uns die Grünen nit unversehens auf den Hals kommen.“

Sie ging; der Bursche that einen tüchtigen Zug aus dem Glase und sah dann nachdenkich vor sich hin, während er einige verschüttete Dropfen auf der Tischplatte wie unbewußt mit den Fingern in unregelmäßige bedeutungslose Striche und Formen auseinander zog. Er war noch jung und sein Gesicht von schönem, kräftigem Schnitt, aber über Jugend und Schönheit war ein Sturm dahingegangen und hatte seine Spuren zurückgelassen, wie der Hagelschlag an einem jungen fruchtknospenden Baume: das Stämmchen hat zwar die Zerstörung überdauert, aber es kränkelt seitdem, und Rinde, Blatt und Frucht tragen die Zeichen der Verheerung. Es war etwas Wüstes und Unstetes in den dunklen Augen, und ein häufiges Zucken der Mundwinkel gab dem ganzen Gesichte einen unheimlichen, fast widrigen Ausdruck.

„Bist nit gut aufgelegt?“ fragte die Müllerin, als sie zurückkam und sich ihm gegenüber setzte. „Was studirst denn aus?“

„Wie wir auseinander kommen, Müllerin,“ sagte der Bursch. „Es thut nicht mehr gut mit uns Zwei’ …“

„Warum nit gar!“ rief sie mit gezwungenem Lachen. „Trink, Quasi, trink, damit Dir andere Gedanken kommen! Als wenn Du nit wüßtest, was heut’ für ein Tag ist! Als wenn Du nit gerade deswegen heut’ gekommen wärst!“

„Ich weiß wohl, aber es nutzt doch nichts. Ich bin erst neulich

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