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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Etwa nach einer Stunde des Marsches ritt Lützow mit seinem Adjutanten Körner gegen die Württemberger zurück und forderte durch einen Trompeter den Commandanten der Colonne zu einer Besprechung auf. Die nun von Lützow gestellte Frage, ob ein Angriff beabsichtigt sei, beantwortete Kechler verneinend und setzte hinzu, daß er nur Befehl habe, Lützow zu folgen. Es wurde dann zwischen diesen beiden Officieren verabredet, daß keines der Corps das andere angreifen dürfe, ohne dasselbe von dem Beginn der Feindseligkeiten vorher in Kenntniß zu setzen.

So folgte Kechler’s Colonne am 17. Juni 1813 dem Corps Lützow’s bis in die Gegend von Kitzen, wo beide Truppen Halt machten, und hier erfuhr Kechler, daß indessen eine starke Heerabtheilung mit Reiterei und Artillerie unter dem Befehle des Generals Fournier von Leipzig her bereits in dem nahegelegenen Städtchen Lützen eingetroffen sei. Dorthin begab sich Kechler mit seinem Adjutanten und meldete Fournier das Vorgefallene. Mit dem zwischen Kechler und Lützow getroffenen Uebereinkommen wegen eines Angriffes schien Fournier einverstanden, aber nur zu bald ließ sein ganzes Benehmen erkennen, daß er beabsichtige, so rasch als möglich mit überlegener Macht Lützow meuchlerisch zu überfallen. Kechler und sein Adjutant (unser Gewährsmann) beschlossen, Lützow vor der ihm drohenden Gefahr schleunig zu warnen, denn die Achtung gegen die muthigen Freiheitskämpfer und die auch durch Despotengewalt nie zu unterdrückende Vaterlandsliebe war auch in jenen braven Officieren mächtiger als der Gehorsam, den sie gezwungen und mit blutenden Herzen dem Tyrannen Napoleon hatten schwören müssen. Kechler sandte deshalb sogleich mit jenem geheimen Auftrage den Cavallerieoberlieutenant Grafen Ferdinand von Reischach an Lützow ab, um diesen von dem ihm drohenden Unheil in Kenntniß zu setzen. Graf Reischach erreichte jedoch Lützow’s Schaar nicht mehr zeitig genug, denn Fournier hatte in aller Eile durch die Reiterei Normann’s Lützow überfallen und sein Corps aus einander sprengen lassen. Es steht fest, daß Normann, der am 18. Oktober 1813 gegen den Willen des Königs von Württemberg mit 800 Reitern zu den Alliirten überging, nur nothgedrungen dem Befehle Fournier’s Folge leistete, und die eben erzählten Thatsachen beweisen, wie leicht es jenen Truppen werden mußte, die keinen Verrath ahnenden Lützower zu werfen.

Körner, der als Parlamentär einer feindlichen Abtheilung entgegenritt und nicht an Gegenwehr dachte, erhielt von dem Officier der Feinde einen Säbelhieb über den Kopf und konnte sich nur mit Mühe in den nahen Wald retten, wo er wie durch ein Wunder seinen Verfolgern entkam. Ermattet sank er vom Pferde und erwartete den Tod, denn er vermochte nicht mehr, sich weiter zu schleppen. Aber als Held und Dichter wollte er sterben, noch hatte er Macht über seine Sinne und blutend entwarf er das herrliche Sonnet:


Abschied vom Leben.

Die Wunde brennt; – die bleichen Lippen beben. –
Ich fühl’s an meines Herzens matterm Schlage,
Hier steh’ ich an den Marken meiner Tage –
Gott, wie Du willst! Dir hab ich mich ergeben. –

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Viel gold’ne Bilder sah ich um mich schweben;

Das schöne Traumbild wird zur Todtenklage. –
Muth! Muth! – Was ich so treu im Herzen trage,
Das muß ja doch dort ewig mit mir leben! –

Und was ich hier als Heiligthum erkannte,

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Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,

Ob ich’s nun Freiheit, ob ich’s Liebe nannte:

Als lichten Seraph seh’ ich’s vor mir stehen; –
Und wie die Sinne langsam mir vergehen,
Trägt mich ein Hauch zu morgenrothen Höhen.


Noch sollte dies aber nicht des edlen Dichters Schwanengesang sein, denn mitleidige Bauern fanden ihn am nächsten Morgen und brachten den Verwundeten mit heldenmüther Aufopferung vorsichtig in das nahe Dorf Groß-Zschocher, und obgleich ein feindliches Commando jenes Dorf besetzt hielt, ward Körner doch glücklich beim Gärtner des Rittergutes untergebracht und versteckt. Auch wundärztlicher Beistand war bei der Hand, doch mußte man rasch auf weitere Hülfe und Flucht denken.

Zuerst schrieb der verwundete Dichter an seinen Vater, um diesen nicht in Ungewißheit über sein Schicksal zu lassen und um entstellenden Gerüchten vorzubeugen. Auch hier war größte Vorsicht nöthig für den Fall, daß der Brief unterwegs in falsche Hände gerathen möchte, und auch um die französische Postspionage zu täuschen. An seinen Vater schrieb daher Körner:

„Ohnfern Leipzig, am 13. Juni 1813.

Euer Wohlgeboren nehme ich mir die Freiheit zu melden, daß, du Sie durch mancherlei Nachrichten über meinen Zustand in Besorgniß sein dürften, ich Ihnen betheuern kann, ich sei gesund und noch mein eigner Herr. Ich denke von hier, aus dieser Versicherungscasse meines Ichs, nach meinem zweiten Vaterlande, doch bis jetzt nur nach Karlsbad zu wandern. Ich bitte Euer Wohlgeboren, dieses meiner lieben Frau nach Wien zu melden, da mir vielleicht die Gelegenheit dazu fehlen sollte. Lassen Sie sich also durch kein Gerücht schrecken; ich lebe jetzt bei vortrefflichen Leuten, die mir jeden Schmerz vergessen machen. Genehmigen Sie mit Ihrer ganzen Familie die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Lorenz Juranitsch.“

Dies ist der Name des jugendlichen Helden aus Körner’s Trauerspiel „Zriny“, und der Verwundete wählte diese Unterschrift, um seinem Vater jeden Zweifel über die Urheberschaft des mit schwacher Hand geschriebenen Billets zu ersparen.

Hier in Groß-Zschocher konnte jedoch Körner unmöglich bleiben, da er Entdeckung fürchten und auch bessere ärztliche Hülfe haben mußte. Nichts lag in diesem Zustande der Noth ihm näher, als der Gedanke an seine Freunde in Leipzig. An Kunze schrieb er deshalb:

     „Lieber Wilhelm!

Du wirst mir einen sehr großen Freundschaftsdienst erweisen, wenn Du zu mir heraus, zum Gärtner des Gutsherrn kommst. Ich liege stark verwundet, doch keineswegs gefährlich. Deiner Betty tausend herzliche Grüße. Verschwiegenheit brauche ich Dir wohl nicht erst anzurathen!

Groß-Zschocher, am 18. Juni 1813.

Dein Theodor.“

Beide Briefe wurden einem zuverlässigen Boten übergeben und zuvörderst an den als treuen Freund bewährten Kaufmann Kunze nach Leipzig geschickt. Wie erschrak dieser, der seit jenem Tage des Ausmarsches nichts wieder von Körner erfahren, als er jetzt diese Trauerbotschaft erhielt! Doch hier galt es rasches, entschlossenes Handeln. Kunze ging also zuerst zu dem in Leipzig wohnenden Besitzer des Rittergutes Groß-Zschocher, um dessen Rath zu hören. Es war dies aber ein überaus ängstlicher Mann, der den unüberlegten Schritt (wie er es nannte!) seines barmherzigen Gärtners tadelte und auf schleunige Fortschaffung Körner’s drang. Es war allerdings eine gefährliche Sache, mit der feindlichen Partei auch nur im geringfügigsten Verkehr zu stehen, denn die französische Besatzung Leipzigs unter dem Befehle des Herzogs von Padua ahndete jedes derartige Verbrechen auf das Strengste.[1]

Durch den schlechten Erfolg des ersten Schrittes ließ sich Kunze jedoch durchaus nicht abschrecken; er suchte vielmehr einen andern, nicht minder bewährten und ergebenen Freund Körner’s, den Dr. Wendler, einen allgemein geachteten Arzt, auf und hier fand er sogleich bereitwilliges Gehör und die Versicherung thätigster Mithülfe, um den verwundeten Helden mit eigner Gefahr dem sichern Verderben zu entreißen. Allein die größte Vorsicht war nöthig. Nach reiflicher Ueberlegung beschlossen die beiden hochherzigen Freunde des Dichters, einen redlichen, ihnen ergebenen Fischer mit in’s Geheimniß zu ziehen. Vorher wurden jedoch dem treuen Boten wohlweislich Kleider und eine Perrücke für Körner mitgegeben, damit er sich bei seiner weiter beabsichtigten Flucht unkenntlich machen konnte. Auch ließ man ihm einen Platz im Walde genau bezeichnen, wo sich morgen zu einer bestimmten Stunde die rettenden Freunde einfinden und ihn abholen wollten.

Am nächsten Tage in der frühesten Morgendämmerung fuhren Kunze und Dr. Wendler auf dem Kahne des Fischers nach dem Dorfe


  1. Wir wollen nur ein Beispiel der französischen Gerichtspflege anführen. Am Tage vorher, am 17. Juni, hatte bei Ankunft eines Parlamentärs ein kleiner Zusammenlauf von Neugierigen stattgefunden und man hatte der Aufforderung, auseinander zu gehen, nicht rasch genug Folge geleistet. Einige übelberüchtigte Subjecte hatten sich sogar zu Thätlichkeit hinreißen lassen. Eine dazu niedergesetzte Commission verhängte über die Ruhestörer sehr strenge Festungs-, Zuchthaus- und Gefängnißstrafen. Die Stadt aber mußte zur Sühne, daß ein so furchtbares Verbrechen in ihren Mauern vorgekommen war, nur – 80,000 Thaler Contribution zahlen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)