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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Werfen wir zunächst hier einen Blick auf Bödeker’s amtliche Berufsthätigkeit. Obwohl die Stellung eines Predigers in einer großen Stadt, um eine im höchsten Sinne des Wortes gedeihliche zu werden, eine weit schwierigere ist, als eine solche in der Landgemeinde, so gewann er sich doch bald in seiner Gemeinde nicht nur, sondern weit über die Grenzen derselben hinaus, einen so heilsamen Einfluß, wie er sonst nur einem langjährigen bewährten Freunde zu Theil zu werden pflegt. Der Hauptgrund davon lag, wie in seiner geistigen Kraft und Lebendigkeit überhaupt, so auch besonders in der natürlichen, zutraulichen und eben deshalb so leicht bewegenden Sprache im Umgange wie auf der Kanzel. Man mußte sich gestehen, daß solch ein klar verständlicher, aus dem Herzen kommender Ton neu sei in der Gemeinde, und weil zum Herzen dringt, was vom Herzen kommt, so kehrte man mit stets wachsender Liebe dort ein, wo dem schlichten Sinne, dem unverdorbenen Gemüthe stets neue Nahrung geboten wurde. Mit jedem Vortrage wuchs die Zahl der Zuhörer, damit aber auch der Eifer Dessen, dem sie horchten, und wie oft mit klopfendem Herzen und thränendem Blick! Wer auch nur wenige Predigten Bödeker’s gehört oder gelesen hat, findet gar leicht, daß sie von jenen Kunstmitteln frei sind, welche dem berechnenden Vorbedachte dienen müssen, um irgend einen wünschenswerthen Eindruck, mit einem Worte, um Effect zu machen. Die Eindringlichkeit und Kraft derselben beruht allein in der schlichten Natürlichkeit, womit die Predigten angelegt und ausgebaut sind; wir möchten sagen, sie beruht in ihrer Bürgerlichkeit, welche der Sprache der Bibel, wie sie aus der immer noch unübertroffenen lutherischen Uebersetzung bekannt ist, am nächsten kommt.

Wir können überhaupt seine felsenfeste Ueberzeugung von der Größe des geistlichen Berufes, seinen Eifer, seine innige Liebe für denselben nicht treffender bezeichnen, als mit den Worten, die wir von ihm selber vernehmen. Er sagt sehr oft: „Ich wollte, wenn ich wählen müßte, lieber Pastor sein ohne Gehalt, als die Stelle aufgeben und die volle Einnahme beziehen.“ – Dem König Ernst August, selbst eine originelle und active Natur, konnte ein solcher Pastor in seiner Residenzstadt nicht lange unbekannt bleiben; er nahm denn auch bald Veranlassung, denselben zur Tafel zu ziehen, wo die Unterhaltung zwischen dem Monarchen und dem Prediger eine sehr lebhafte und andauernde war. Nach aufgehobener Tafel äußerte einer der Cavaliere zu Bödeker: „Der König scheint Ihnen gewogen zu sein und wird Sie sicher nächstens befördern.“ Er antwortete auf der Stelle: „Ich will nicht befördert werden; ich will Pastor an der Marktkirche bleiben, das genügt mir; als solcher bin ich am unabhängigsten und kann am meisten wirken; ich werde meine Gemeinde nicht eher verlassen, als bis sie mich wegjagt.“ – Als dem Könige diese Worte hinterbracht wurden, äußerte er: „Ich hab’s dem Menschen gleich angemerkt, daß er nichts von mir haben will.“

Daß Bödeker auch als Theolog freisinnig ist, dafür möge hier nur ein Fall citirt werden. Als vor mehreren Jahren das ganze geistliche Ministerium den evangelischen Pastor Steinacker aus Triest (durch die Ultramontanen aus seiner dortigen Wirksamkeit vertrieben und hiernach an der Kreuzkirche zu Hannover zum zweiten Prediger erwählt) wegen seiner angeblichen Irrgläubigkeit verurtheilte, als darauf das königliche Consistorium, auf den Antrag jener geistlichen Herren, Steinacker’s Wahl ablehnte, da war es Bödeker, welcher Steinacker gegen seine sechs Collegen durch ein Separatvotum in Schutz nahm. Er erhielt dafür vom königlichen Consistorium einen officiellen Verweis. Steinacker ist nun bereits seit mehreren Jahren Pastor im Weimar’schen, wofür Bödeker’s Verwendung ihm auch mit behülflich gewesen.

Auch darin sehen wir in ihm den echten Geistlichen, daß er keinen Anlaß zum Hausbesuch seiner Gemeindeglieder versäumt und daß der Aermste wie der Angesehenste dabei keinen Unterschied macht. Und überall sehen wir nicht einen Pfarrherrn, der in seinen Amtshandlungen ein Anderer ist als zu Hause oder in vertraulicher Gesellschaft: wir sehen nur den Freund, der glücklich ist in seinem Berufe. Daß er’s wirklich ist, bezeugt er selber durch einen der schönsten Aussprüche des Apostels Paulus, einen Spruch, welchen wir unter einem älteren Portrait Bödeker’s zugleich als Facsimile lesen: „Nicht daß wir Herren seien über eueren Glauben, sondern wir sind Gehülfen eurer Freude.“ –

Damit gehen wir zu jenem Theile von Bödeker’s Thätigkeit über, welche ihn vorzugsweise in den weitesten Kreisen bekannt und willkommen machte, und welche wir nicht anders als mit dem Worte „universelle Hülfsthätigkeit“ zu bezeichnen vermögen. Diese Skizze würde nun aber zu einem umfangreichen Buche sich ausdehnen müssen, wollte sie jedes Einzelne in seinem Beginn, seinen Folgen, seinem Fortbilden darlegen und alle Fälle, wo Bödeker sich als Mensch, Mitbürger, Freund und Helfer bewährte, aufzählen. Schon in Göttingen als Docent begann er seine Werkthätigkeit, indem er einigen Personen angemessene Dienststellen zu verschaffen wußte. In Hannover aber gewann diese Thätigkeit schon während der ersten Jahre eine wahrhaft überraschende Ausdehnung, – hier ist sie endlich bis zu der Höhe gestiegen, daß es im Volke längst sprüchwörtlich geworden ist, zu sagen: „Na, wenn di Keener mehr helpen kann, denn mußt du na’n Paster Bödeker gahn; wenn aber de ook keen Rath weet, denn büst du gewiß verlaarn!“ – Und Tausende, ja aber Tausende sind während der letztverflossenen 36 Jahre durch die kleine Hofpforte vor der Marktpfarrwohnung mit gramerfüllten Zügen eingegangen, und wenn sie daraus zurückschritten, erglänzte der Freudenschein einer neugeweckten Hoffnung von ihren bleichen Wangen.

So kommt es aber auch, daß bei jeder gemeinnützigen Sache, für welche die Preßorgane aufrufen, Bödeker’s Name mit an der Spitze steht und stehen muß; man kann ihn dabei nicht mehr entbehren, wollte man auch, er gehört einmal mit dazu. Erschiene eine solche Publication und man fände unter den Begründern ihn nicht mitgenannt, so würde das Publicum schon mit einem gewissen Mißtrauen die Sache ansehen, es würde sprechen: „Wie kommt’s, daß Bödeker’s Name nicht mit dabei ist? da muß wohl nicht viel daran sein!“ Und die letztere Betrachtung basirt zugleich auf dem Vertrauen, welches er universell nicht nur für seinen Willen, sondern auch für seine Einsicht sich hergestellt hat. Greift Bödeker eine Sache mit an, so ist man sicher, daß er vorher von ihrer Ausführbarkeit sich überzeugt hat, und daß er dann auch alles nur Menschenmögliche aufbietet, sie zu verwirklichen. So kommt es, daß er noch nichts von gemeinnützigen Instituten begonnen hat, was nicht auch vollendet wurde. Beweise davon sind:

1) Die Stadtschullehrer-Wittwen-Casse für die Residenz Hannover. Bödeker gründete sie, gleich nachdem er, der 24jährige Candidatus theol., zum zweiten Prediger an der Stadtkirche erwählt worden, als erstes öffentliches Dankeszeugniß für seine Erwählung, indem er den Fonds dazu mit 50 Thalern seines Ersparnisses anlegte. Durch eine fortgesetzte Sammler-Wirksamkeit seinerseits und in Folge deren ihm anderweitig zugeflossene Spenden hat sich dieser Fonds so gesteigert, daß die Schullehrer-Wittwen der Stadt nunmehr eine jährliche Pension von 24 Thaler erhalten.

2) Die „Marienstiftung“, durch welche jahraus, jahrein eine Anzahl armer junger Mädchen der unteren Volksclassen zu tüchtigen Dienstmädchen ausgebildet wird.

3) Das Rettungshaus in Ricklingen, unweit Hannover. Dem Verwaltungsrathe desselben übergab Bödeker ein schuldenfreies Grundstück nebst Hause im Werthe von 5000 Thaler; in dieser Anstalt werden jährlich 20 bis 30 sittlich verwahrloste Knaben gebessert, bis sie zum Eintritt in eine Lehrlingsschaft geeignet sind.

4) Die allgemeine Volksschullehrer-Wittwen-Casse für das ganze hannoversche Land. Bödeker gründete dieselbe im Jahr 1834 mit einem Votiv-Geschenk von 3 Louisd’or seitens eines Mitgliedes seiner Gemeinde; der Fonds dieser Wittwen-Casse, für welche Bödeker ebenfalls unermüdlich sammelte und endlich auch die directe Beihülfe des Königs und des Ministeriums wie deren Fundation als „milde Stiftung“ durchsetzte, beläuft sich gegenwärtig auf 170,000 Thaler und gewährt den in drei Classen eingeschriebenen Volksschullehrer-Wittwen des Landes eine jährliche Pension von resp. 13, 17 und 26 Thalern, welcher Betrag sich allmählich immer mehr erhöht.

5) Das „Schwesternhaus“, belegen in der Aegidien-Thors-Gartengemeinde vor Hannover, ein Stift für 40 bis 50 unbescholtene Frauenzimmer des Bürgerstandes in vorgerücktem Alter, welche sich für eine geringe Einkaufssumme ein lebenslängliches Asyl erwerben.

6) Der „Mäßigkeits-Verein“, vor nunmehr zwanzig Jahren gestiftet.

7) Der „Thierschutz-Verein“, ebenfalls seit fast ebenso lange durch ihn gestiftet. Als Filial davon hat Bödeker mit seinem Gelde und unter seiner Leitung in Hannover die erste Pferdeschlächterei errichtet. Es floriren jetzt zwei Pferdeschlächtereien in Hannover, und es sind, nach deren Ausweis, im letzten Jahre

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