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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

die Vertreter der Presse holten sich Rath bei ihr, und oft wurden in ihrem kleinen Salon nicht blos allgemeine Maßnahmen, sondern specielle Pläne besprochen und festgestellt. Dies geschah namentlich in der letzten Zeit, wo Beseler und Willisen, denen die Energie dieser Frau zu wünschen gewesen wäre, Nichts ohne ihren Rath unternahmen, der zum Mißvergnügen der Officiere des Generalstabes oft sogar bei speciell militärischen Operationen in Anspruch genommen worden sein soll. Und diese bedeutende, fast amtliche Thätigkeit, die eine büreaumäßig organisirte Correspondenz mit zahlreichen Actenstücken etc. nöthig machte, genügte dem umfassenden Geiste dieser Frau nicht; auch als Vorsteherin eines Lazarethes in Rendsburg (wenn ich nicht irre, Nr. 5), das sie fast täglich, die Verwundeten tröstend und für ihre Bedürfnisse sorgend, besuchte, ferner als Vorsteherin des Landes-Unterstützungs-Vereins entwickelte sie eine eben so rastlose Thätigkeit. Und bei alledem behielt die seltene Frau Muße genug, in ihren kleinen Abendcirkeln, in denen General Huhn und Bonin, Willisen und Gagern, Beseler und Reventlow, Olshausen und andere einflußreiche Persönlichkeiten gern gesehene Gäste waren, an der lebhaften Unterhaltung, oft über Literatur und andere den Tagesereignissen fern liegende Gegenstände, Theil zu nehmen, wobei es denn freilich vorkam, daß sie, an ihrem Büreau sitzend und noch Depeschen expedirend, nur durch eine gelegentliche Aeußerung die Conversation belebte.

So reich war das Gemüth, so weit umfassend der Geist dieser wahrhaft deutschen Frau, und wir, die wir sie näher kennen zu lernen das Glück hatten, haben es oft genug ausgesprochen, daß, wenn im Rathe der Männer jener Zeit nur Einige von solchem Charakter und solcher Energie gewesen wären, wir heute nicht die Schmach zu ertragen hätten, an der wir darniederliegen.

Seit Jahren fern von der Heimath, weiß ich nicht, ob jene edle Frau auch heute noch an den Leiden des deutschen Volkes mitzutragen hat, oder ob sie bereits heimgegangen ist; immer aber bleibt ihrem Andenken der Segen von Tausenden Einzelner und die dankbare Verpflichtung des gesammten Vaterlandes.


Montecuculi nannte bekanntlich als Hauptmittel einer energischen Kriegführung das Geld. – Die holstein’schen Krieger, um ihre Meinung über dies strategische Problem befragt, würden sich unzweifelhaft genauer ausgedrückt und eine gute Verpflegung als unumgängliches Erforderniß bezeichnet haben, und zwar unter Berufung auf den Erfahrungssatz, daß man mit vollem Magen zwar nicht gut „studiren“, aber desto besser marschiren und fechten könne. Diese Ansichten wurden auch vom Kriegsdepartement getheilt, das für die musterhafteste und reichlichste Verproviantirung Sorge trug und in dieser Beziehung allen Armeen Europas als Vorbild aufgestellt werden kann. Und diese Verproviantirung beschränkte sich nicht blos auf gutes Brod, Speck, Hülsenfrüchte und die prächtigen Fleischstücke der holstein’schen Rinder, sondern erstreckte sich bis auf Reis, Gewürze, Früchte und namentlich reichliche Kaffeelieferungen. Ja, der Kaffee, von dem unglaubliche Portionen täglich vertilgt wurden, gehörte unbedingt zu den unabweislichen Lebensbedürfnissen eines echten Holsteiners. Dies ging so weit, daß jeder „Parolebefehl“ (wie der militärische Ausdruck tautologisch lautet) für eine bevorstehende Recognoscirung gewöhnlich mit den Worten begann: „Um (resp.) 2 Uhr Morgens wird Kaffee gekocht; um 2½ Uhr stehen die Compagnien marschfertig etc.“, denn die Commandeure kannten sehr wohl die Leidenschaft des Holsteiners und wußten, daß Kaffee für das Gefecht ebenso nothwendig sei wie die Munition. Daß neben dem Kaffee die beliebten „Stuten“ (ein mit Korinthen durchbackenes Weizenbrod), Schinken, Würste, Käse und alle die anderen begehrenswerthen Artikel, welche glückliche Muttersöhne in gefüllten Kobern per Feldpost regelmäßig empfingen, oder weniger glückliche von den reichlich versehenen Marketendern bezogen, in wahrhaft fabelhaften Quantitäten verzehrt wurden, muß für diejenigen besonders angeführt werden, welche Lebens- und Leibesbedürfnisse jener gesegneten Striche aus eigener Anschauung nicht kennen.

Doch alle diese reichlich vorhandenen Artikel, welche dem armen österreichischen und selbst dem preußischen Soldaten schon als der außerordentlichste Luxus erschienen wären, konnten dem echten Holsteiner nicht genügen; es fehlte ihm ja noch die Butter, die Eier, die Milch, hin und wieder ein junges Huhn, alles Dinge, die von der Gewohnheit des elterlichen Hauses her erst eine einigermaßen opulente Verpflegung ausmachten. Diese nun zu beschaffen, war neben der Erfüllung der allgemeinen Landespflicht eine der Hauptaufgaben des ordentlichen Soldaten. Allerdings hatte dies auf den Vorposten oft seine großen Schwierigkeiten, und diesem Umstande ist es theilweise gewiß zuzuschreiben, daß das Verlangen, die Feldwachen zu beziehen, wo jene als unentbehrlich erachteten Dinge doch leichter zu erreichen, bei allen Landeskindern ein so allgemeines war; die mit dem Feldwachtdienst verbundene größere Nähe des Feindes und der Wunsch, sich mit „Hannemann“ zu messen, stand bei dem echten Holsteiner wahrscheinlich erst in zweiter Reihe, mit welcher Vermuthung ich übrigens seine kriegerische Bravour nicht im Entferntesten zu beeinträchtigen Willens bin.

Das erwähnte Bedürfniß nach „frischen“ Landesproducten hatte auf den Feldwachen denn eine ganz eigenthümliche Art der Fouragirung, die Absendung der sogenannten „Eier- und Butter-Patrouillen“ in’s Leben gerufen, die weit über die Vorpostenlinien hinaus nach denjenigen Dörfern und Gütern geschickt wurden, welche von der regelmäßigen Verpflegung des Gros der Vorposten nicht betroffen waren, und daher noch angemessenen Vorrath von diesen Artikeln hatten. Eine solche Patrouille führte denn den nachstehenden, wahrhaft verwegenen Streich aus.

Unser Corps lag damals südlich von der Schley, am großen und keinen Wittensee, unsere Abtheilung mit dem Repli in Dammdorf (oder wie es seiner hübschen Mädchen wegen galant genannt wurde: Damendorf), mit den Vorposten in Ascheffel, Groß- und Klein-Hütten und weiter östlich auf dem Wege nach Eckernförde, vor uns Kochendorf und Osterbye, hinter denen bereits die dänischen Postenketten standen. Zwischen diesen und den unsrigen befand sich somit ein ziemlich breiter Strich, der das gewöhnliche Terrain für die kleineren Recognoscirungen abgab, und mitten in diesem das adlige Gut Marienfeld, das, von dem Besitzer verlassen, durch einen Inspector verwaltet wurde. Dieses Gut nun, von größeren regelmäßigen Requisitionen verschont und im besten Wirthschaftszustande, mit Milchkühen und Geflügelhof, war denn, gewissermaßen eine grüne Oase in der Wüste, das gewöhnliche Point de vue aller jener Fouragir-Patrouillen; wenn es nirgends mehr etwas gab, in Marienfeld war gewiß noch Vorrath. Die Dänen freilich kannten die Vorzüge dieses Eldorado ebenso gut wie wir; sei es aber, daß ihre Bedürfnisse an „frischer Waare“ oder ihre Baarfonds (und anders, etwa gegen Requisitionsscheine, wurde nicht geliefert) nicht so groß waren als die unsrigen, – genug, sie erschienen viel seltener und außerdem, in Folge einer stillschweigenden Abmachung, wie sie auf Vorposten oft genug vorkommt, nur des Vormittags, wir dagegen, da wir unsere Feldwachen Mittags bezogen, erst nach dem Essen. Marienfeld war auf diese Weise gewissermaßen als neutrales Terrain proclamirt.

Eines Tages bezogen wir wiederum unsere gewöhnliche, seitwärts von Marienfeld liegende Feldwache. Nachdem die Sicherheitsposten abgelöst, die dienstliche Meldung: „Aus Feldwache No… nichts Neues“ in’s Hauptquartier expedirt war, erscholl das ordnungsmäßige Commando: „Freiwillige zur Butter-Patrouille vor!“ und ein Oberjäger mit etwa zehn Mann, beladen mit sämmtlichen Feldkesseln der Wache und von den einzelnen Eier- resp. Butterbedürftigen sorgfältig instruirt, marschirte ab. Wie gewöhnlich ließ sich kein Däne sehen, die Patrouille kam ungefährdet in Marienfeld an, machte ihre Einkäufe und war im Begriff, den Rückmarsch anzutreten, als sie von dem Inspector des Gutes, der unter der Mannschaft einen Bekannten erblickte, zum Kaffee eingeladen wurde, den die Familie gerade einnahm. Nun wäre es für Holsteiner natürlich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, eine Einladung zum Kaffee auszuschlagen; dieselbe wurde also dankbarlichst acceptirt, und die Mannschaft begab sich in’s Herrenhaus, nachdem der Oberjäger glücklicherweise so vorsichtig gewesen war, einen Posten vor dem Hofe aufzustellen. Im Familienzimmer fand man neben der Hausfrau drei junge Damen und – einen offenstehenden Flügel, den alsbald einer der Jäger in Beschlag nahm und, während der Kaffee servirt wurde, zur freudigen Ueberraschung einen prächtigen Walzer aufspielte. Was war natürlicher, als daß die andern Jäger, das „Angenehme“ mit dem „Nützlichen“ vereinigend, Hirschfänger und Lederzeug abhingen, die jungen Damen zum Tanzen aufforderten und nach Herzenslust walzten. Sie sollten dabei arg gestört werden! Denn sei es, daß die Dänen den Holsteinern einmal ihre regelmäßigen Fourage-Excursionen gründlich verleiden wollten, sei es, daß vielleicht ein junger Officier, der zum ersten Male die Wache

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_063.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)