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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

In einer persischen Turnhalle.
Von Dr. J. C. Häntzsche.


Daß die Perser Turner sind, dürfte in Deutschland noch wenig bekannt sein. Wie lange sie diese Uebung treiben und durch wen das Turnen bei ihnen überhaupt eingeführt worden, vermag ich nicht anzugeben. Vermutlich stammt es, wie alles das wenige Gute, welches sie noch besitzen, aus der vorislamischen Zeit und ist vielleicht von den Griechen bei ihnen hangen geblieben, denn es steht, wie ihr ganzes Bischen Civilisation, die seit dem Eindringen des starren Islam keinen Schritt vorwärts gethan hat, noch auf einer sehr primitiven Stufe und findet sich, meines Wissens, bei anderen muhammedanischen Völkern nicht, wenigstens konnte ich bei den nomadischen Kurden und Turkmanen und bei den trägen Türken nichts davon entdecken. Plagen wir uns indessen nicht mit trockener Geschichte, sondern treten wir durch die niedrige Thür in das Turnhans (sorchane) ein, um uns das Treiben darin näher zu besehen.

Die Perser turnen nur bei nüchternem Magen, daher am frühen Morgen bei Tagesanbruch. Eine Ausnahme hiervon rücksichtlich der Zeit findet im Ramasan, dem muhammedanischen Fastenmonate, statt, wo bis Sonnenuntergang von Erwachsenen beiderlei Geschlechts durchaus nichts genossen werden darf, daher dann das Turnhaus nur erst eine und eine halbe Stunde etwa vor Sonnenuntergang besucht wird. Diese Zeit im Ramasan wählte ich, um das eine der beiden in der Stadt Rescht befindlichen öffentlichen Turnhäuser in Augenschein zu nehmen. Die Vornehmern daselbst sind jetzt theils zu sehr in ihren Vermögensverhältnissen zerrüttet, theils zu geizig, um sich ihre eigenen Turnlocale zu halten, von denen man wohl hin und wieder Spuren in verfallenden großen Häusern in Rescht, gut erhaltene Räume aber sonst in allen größeren Städten Persiens findet, in denen man persischer, d. h. ostentiöser ist, als in Rescht, wo Alle nur auf Geld noch etwas halten.

Schon außerhalb des fraglichen Locals, welches in einem elenden Basargebäude gelegen ist, tönte mir die bekannte monotone persische Handtrommel entgegen, und nachdem ich in den viereckigen niedrigen, durch ein Paar halb zerbrochene schmutzige Fensterchen matt erleuchteten dunstigen Raum mit gebücktem Kopfe eingetreten war, wäre ich beinahe über sie und einen Luti weggestolpert, welcher die bewußte Handtrommel über ein Kohlenbecken hielt, um die Feuchtigkeit aus dem schlaff gewordenen Felle zu verjagen und es dadurch beim Schlagen tönender zu machen, eine Manipulation, die bei jedem persischen Concerte in den feuchten kaspischen Provinzen alle 20–25 Minuten wiederholt werden muß, sollen nicht am Ende die Töne ganz stecken bleiben. Der Vorturner (Pehlewan), ein halbnackter hagerer Mollah mit röthlich gefärbtem Barte und stereotypem weißen Turban, entpfing mich und geleitete mich an dem einfachen Orchester, bestehend aus besagter Handtrommel und einem persischen Schellentamburin, vorüber nach dem Ehrenplatze dem Eingange fast gegenüber, wo ich mich mit gekreuzten Beinen (ein Vorrecht, welches nur Europäern und der Kadscharenfamilie öffenltich zukommt, während die Perser knieen, was für Europäer noch viel unbequemer sein würde, als das türkische Sitzen, an welches man sich leichter gewöhnen kann) an der Wand niederließ, um dem Turnen neben mir und vor und unter mir einige Zeit zuzuschauen.

Der eigentliche Turnplatz nämlich besteht in einer ziemlich großen, etwa mannshohen runden Vertiefung, die hier an den Seiten mit Backsteinen ausgekleidet, am Fußboden mit gelbem Sande beschüttet war. Die zwischen dieser Vertiefung und den schmutzigen vier Wänden hinlaufende schmale Erhöhung dient zum Einzelturnen oder zum Turnen mit den großen viereckigen Bretern, auf die ich weiter unten noch zurückkommen werde. In Teheran und in anderen größeren Städten in Persien soll die Vertiefung manchmal vieleckig und an den Seiten mit Filz ausgekleidet sein. Der Fußboden wird dort mit Reisig und Filzdecken, auf die man Sand aufschüttet, belegt, um ihn elastisch zu machen. Hier in Rescht bemerkte ich aber nichts von Elasticität; möglich, daß sie verloren gegangen war, wenn sie je bestanden hatte.

Zuerst stieg der halbnackte Mollah in den vertieften Raum, wohin ihm mehrere Turner folgten, Perser und Schwarze, fast alle in gleicher Naturtracht, d. h. in aufgestreiften oder kurzen blauen Baumwollenhosen, einige wenige in ganz kurzen Lederhosen, andere gar nur mit der rothblauen baumwollenen persischen Badeschürze bekleidet. Mit aufgehobenen Händen und Zeigefingern hüpften sie, ähnlich wie man bei uns den Chinesentanz nachahmt, im Gänsemarsche, Einer nach dem Andern, im Raume rund herum, indem sie dabei die Beine abwechselnd stark anzogen und in den Knieen beugten, die Hände ebenso abwechselnd erhoben und senkten. Dieser Einleitung folgte zu je Zweien das Ringen der Pehlewan, welche, wie die Widder bei ihren Kämpfen, stets mit den Köpfen beginnen, die sie sich in die Achselgegend gegenseitig einsetzen, und mit dem Rücken endigen, auf den der überwundene Gegner zu liegen kommen muß. Außerdem hat das Ringen nichts Besonderes, nur kommt es hierbei nicht sowohl auf die Kraft an, als mehr auf gewisse von den Pehlewan eingelernte Kniffe oder Kunstgriffe, die oft in unehrlicher Weise angebracht werden. Nach den Ringern producirten sich Einige ebenfalls paarweise mit den ungeschickten hölzernen Mil, schweren Keulen mit kurzen Griffen, die etwa unseren Handeln entsprechen, nur daß sie bei weitem größer sind, die sie aber recht geschickt zu handhaben wissen. Sie drehen erst eine in weitem Bogen herum, dann mit der anderen Hand die andere, hierauf beide zusammen. Endlich schwingen sie beide abwechselnd über dem Kopfe, und Manche gehen so weit, diese unbeholfenen Klötze in die Luft zu schleudern und sie dann ganz geschickt an dem kurzen Stiele wieder aufzufangen. Zwei kurze, kräftige schwarze Luti besaßen hierin sowie im Ringkampfe ganz besondere Fertigkeiten und stachen die eigentlichen Perser weit aus.

Währenddem turnten die Einzelnen auf dem oberen Raume, der mir dazu viel zu schmal und zu beengt erschien. Einige stemmten sich auf Füße und Hände zugleich, den Kopf nach vorn und häufig nach unten, und machten so vom Platze aus Vor- und Rückwärtsbewegungen, manche mit Ein- und Ausbeugen des Rückgrats zugleich, ähnlich wie bei unserer Bauchriege. Andere bedienten sich stehend oder auf dem Rücken liegend je zweier großer, länglich viereckiger schwerer Breter, ähnlich großen Holzschilden, die in der Mitte mit einem Loche versehen sind, in dem ein Querholz als Handhabe steckt. Diese Breter suchten sie mit ausgestreckten Armen einander zu nähern und von einander zu entfernen, wobei sie liegend den Fußboden mit ihnen berührten, stehend die Arme nach hinten zogen, so weit sie konnten.

Fast alle diese einfachen, zum Theile höchst schwerfälligen Uebungen können allerdings einen directen Einfluß vorzugsweise auf Kräftigung der Streck- und Beugemuskeln der Extremitäten und der Brustmuskeln ausüben. Die übrigen Körpertheile nehmen meist nur indirect an diesen Vorgängen Theil, und es sind daher vom persischen Turnen bei weitem nicht die Vortheile zu verlangen, die man vom schwedischen oder deutschen Turnen hoffen kann. Zudem wird dasselbe planlos und ohne ärztliche Indication getrieben, wiewohl es die persischen sogenannten Aerzte manchmal als Kräftigungsmittel nach erschöpfenden Krankheiten und bei Verdauungsbeschwerden anrathen sollen, wie sie auch das Kneten der Weichtheile in und außer den Bädern zuweilen verordnen, Beides natürlich ohne anatomische, physiologische und pathologische Kenntnisse.

Indessen bleibt es ein nicht zu verwerfendes Hülfsmittel für den europäischen Arzt, nach vollständig oder bei großentheils geheilten Lähmungen, zur Unterstützung des Chinins und Eisens bei Wechselfieberkachexieen, bei starken Milzanschwellungen nach Wechselfiebern u. s. w., und in diesen Fällen habe ich mich desselben oft mit Vortheil bei meinen persischen Kranken bedient. Denn ihnen eine Gymnastik zumuthen zu wollen, wie sie z. B. in Dr. Schreber’s vortrefflichem Werke enthalten ist, nach welchem ich dortige europäische Kranke im Zimmer turnen ließ, würde heißen, sich bei dem Perser lächerlich, folglich unmöglich machen. Ohnehin lauert er jeder Bewegung des Europäers auf, um ihr etwas in seinen Augen Lächerliches, weil Rasches oder ihm Ungewohntes, abzulauschen. Das Bewegen und Reiben der Gelenke und das Drücken, Reiben und Kneten des ganzen Körpers oder einzelner leidender Körpertheile in und außer den warmen Bädern, eine Art passiver Gymnastik, sind ausgezeichnete Mittel in manchen Gelenkkrankheiten und in Fällen, wo es darauf ankommt, ohne gleichzeitige große Ermüdung des Patienten, die peripherische Blutcirculation zu bethätigen und dadurch namentlich die Haut zu vermehrter Thätigkeit anzuregen, und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_028.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2019)