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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

solcher Aufenthalt mußte natürlich den Verkehr hemmen und verursachte außerdem große Kosten und Umstände. Trotzdem blühte Handel und Wandel in Berlin; es fehlte nicht an reichen Kaufleuten und Handelsherren und an einem verhältnißmäßig bedeutenden Wohlstande während des Mittelalters, Der Reichthum wurde von einem entsprechenden Luxus begleitet, wogegen von Seiten des Magistrats und der Kurfürsten durch strenge Gesetze vergebens angekämpft wurde. Schon in einer Polizeiordnung aus dem Jahre 1335 heißt es: „Keiner solle bei einer Hochzeit mehr als vierundzwanzig Schüsseln aufsetzen“. Auch die Kleider waren über alle Maßen prächtig, Sammt und Seide, edles Pelzwerk und goldner Schmuck ganz gewöhnlich. Die Verschwendung war so groß, daß von den Kanzeln dagegen geeifert wurde. Zu den großen Pluderhosen gehörten oft mehr als 30–60 Ellen kostbarer Stoffe; sie erregten allgemeines Aergerniß, und der Hofprediger Musculus schrieb dagegen seine berühmte Abhandlung über den „Hosenteufel“. Kurfürst Joachim gab seinen Widerwillen gegen diesen Kleiderluxus in drastischer Weise kund. Als nämlich drei Bürgersöhne in Berlin, um sich in ihren prächtigen Hosen zu zeigen, durch die Straßen zogen und, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, vor sich her zu diesem Zwecke gedungene Musikanten fiedeln ließen, so gebot der strenge Herr, sie zu ergreifen und in das vergitterte Narrenhäuslein zu sperren, wo sie, während die Fiedler ununterbrochen spielen mußten, einen Tag und eine Nacht gefangen gehalten und dem Höhne des Pöbels preisgegeben wurden. Einem von Adel aber, der ebenfalls in seinen Pluderhosen stolzirte, ließ Joachim „vor dem Dohme durch die Wärter“ die langen Schnitte von den Hosen sammt dem Durchzuge oben an den Bändern durchschneiden, so daß die Hosen zur Erde fielen und sein jämmerliches Aussehen allgemeines Gelächter erregte.

Max Ring.





Erinnerungen an Heinrich Heine aus dem Jahre 1851.

Von Heinrich Rohlfs in Bremen.

Von allen unseren deutschen Dichtern ist wohl keiner so verschieden beurtheilt worden, als der vor sieben Jahren in Paris verstorbene Heinrich Heine. Dies ist um so wunderbarer, als seine Freunde wie seine Feinde sich unter den verschiedensten Ständen und politisch und religiös geschiedenen Parteien befinden. Die radicale Burschenschaft und die aristokratische Diplomatie, der oberflächliche commis voyageur und der pedantische, für die Außenwelt abgestorbene Stubengelehrte, die feine Salondame und die leichtfertige Berliner Grisette, der Pietistische Landpfarrer des Wupperthales und der lichtfreundliche Pastor Sachsens, der für Mozart und Beethoven schwärmende classische Musikfreund, sowie der für Richard Wagner’s Zukunftsmusik sich Enthusiasmirende, der durch die raffinirtesten Sinnesgenüsse blasirt gewordene Jüngling der Neuzeit, sowie der jugendliche Greis aus den Befreiungskriegen, der für culinarische Genüsse und eine Havannacigarre begeisterte Hanseat, sowie der bei Knödeln, Dampfnudeln und Bier in körperliche Ekstase gerathende Altbaier, kurz jedes Alter, jeder Stand, jeder Rang war eine Zeitlang von den Heine’schen Gedichten und Schriften hingerissen und bezaubert. Kein Buch außer „Werther’s Leiden“ und den „Räubern“ hat unter den Deutschen je eine solche Wirkung, wie Heine’s „Reisebilder“ und sein „Buch der Lieder“ hervorgebracht. Ja, es gab eine Zeit, in der Heine, ehe die Verwicklungen mit Börne und Platen ihm viele Widersacher und Feinde erweckten, nur einen Stand in einer geschlossenen Phalanx gegen sich hatte, es war der vormärzliche Stand der Censoren, die, wenn auch bei unseren augenblicklich halbfertigen und provisorischen Institutionen ihre Rolle und ihr Amt von den Redacteuren und der Polizei übernommen ist, doch als Stand und Staatsbeamte zu bestehen aufgehört haben. Wenn es nun auch noch nicht an der Zeit sein dürfte, ein abschließendes Urtheil über Heine als Dichter und Mensch zu fällen, da wir als Zeitgenossen desselben durch den Charakter unserer Zeit selbst zu sehr in unseren Urtheilen geleitet werden und die richtige Auffassung eines jeden großen Mannes einer künftigen Generation überlassen bleiben muß, so werden doch gewiß, besonders da wir bis jetzt keine Biographie Heine’s besitzen, alle Mittheilungen über seine Persönlichkeit für die Freunde der Literatur von Interesse sein. Denn je mehr positive Details und Data über Heine vorliegen, desto leichter wird es einem späteren Geschlechte werden, mit Hülfe dieser Materialien zu einem richtigen Verständnisse des Dichters zu gelangen. Hat die Nachwelt doch stets den Vortheil, daß sie von einem überwundenen Standpunkte aus, von der objectiven Höhe der Vogelperspective, und nicht durch von den Vorurtheilen und Schlacken der Gegenwart getrübte Gläser, die Vergangenheit betrachtet und daher von vorn herein einen richtigeren Sinn und ein unbefangeneres Urtheil mitbringt. Die Worte aber, die Schiller von Wallenstein sagt: „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“, können wir auch auf Heine anwenden. So viel jedoch steht fest, daß mit Heine eine neue Epoche unserer Literatur begonnen hat.

Heinrich Heine ist der erste deutsche Dichter, in dem sich das Bild seiner ganzen Zeit mit ihren Fehlern und Tugenden, in allen ihren Bestrebungen, Neigungen, Gedanken und Gefühlen in politischer, socialer und kulturhistorischer Beziehung abspiegelt. Ich halte diesen Umstand für so bedeutend, daß ich fest überzeugt bin, daß spätere Literarhistoriker von Heine an für die deutsche Literatur eine neue Periode datiren und daher unsere ganze jetzige Literaturperiode die Heine’sche nennen werden. Heine wird daher erst dann ganz begriffen werden, wenn es einem späteren Geschichtsschreiber gelungen ist, von dieser merkwürdigen Zeit ein treues und wahres Bild geliefert zu haben. Wenn man aber Heine ohne Rücksicht auf seine Zeit beurtheilen wollte, dann würde das Urtheil auf jeden Fall schief, hinkend und einseitig werden. Dem Biographen Heine’s muß daher erst der Schlosser und Macaulay der politischen Geschichte vorausgehen. So verschieden auch in diesem Augenblicke das Urtheil über Heine ausfallen mag, darin sind die Meisten einig, daß er als lyrischer Dichter selbst neben Goethe und Schiller steht und von keinem Dichter der Neuzeit übertreffen ist. Seine zahlreichen Feinde und Widersacher, an denen jedes Genie zu leiden hat, -– denn nur der Dumme ist eben durch den ihm angeborenen Panzer der Dummheit vor Feinden gesichert, – sind mit ihren persönlichen Invectiven und Injurien seit seinem Tode verstummt, und die kurz vor seinem Ende bei Hoffmann und Campe erschienenen neuen Gedichte – ich meine den Romancero – haben den Deutschen gezeigt, daß Heine’s geistige Spannkraft selbst auf seinem Sterbelager noch nicht erloschen war, und die binnen wenigen Tagen vergriffene Auflage von 4000 Exemplaren hat bewiesen, wie groß noch immer der Zauber war, den der deutschfranzösische Dichter, wie die Franzosen in ihrer Eitelkeit ihn zu nennen beliebten, auf die Freunde der Dichtkunst ausübte. Man erinnert sich vielleicht noch, mit welcher Theilnahme das deutsche Publicum zur Lebenszeit Heine’s die Berichte von Alfred Meißner und Adolf Stahr aufnahm. Wenn meine Schilderungen auch nicht die Bilderpracht eines Alfred Meißner zur Schau tragen, noch gewürzt sind durch die schwungvolle Phantasie eines Adolf Stahr, so werden sie doch das Verdienst haben, nach der Quelle zu schmecken. Ein halbjähriger Aufenthalt in Paris gab mir hinreichend Gelegenheit, Heine, den ich als Dichter seit meiner Jugend verehrte, auch als Mensch auf’s Höchste schätzen zu lernen.

Als ich im Frühjahr 1851 nach Paris kam, schwankte ich lange, ob ich es wagen sollte, Heinrich Heine zu besuchen. Mehrere Bekannte, die ich dort traf und denen ich meine Zweifel mittheilte, versicherten mir, daß es mir nichts helfen könne, wenn ich zu ihm ginge, indem ich sicherlich abgewiesen würde; denn Heine’s Zustand sei ein solcher, daß er nicht einmal die mit Empfehlungsschreiben von seinen Verwandten Versehenen zu sich ließe und selbst Leute von literarischem Rufe nicht mehr annehme. Einem Enkel der Goethe’schen Charlotte in Werther’s Leiden, der auf diese Verwandtschaft hin keinen Zweifel hegte, vorgelassen zu werden, war dasselbe widerfahren. Dies Alles waren Beweggründe genug, mich in meinem Schwanken zu bestärken. Der Gedanke jedoch, daß ich mir, wenn ich Paris wieder verlassen hätte und Heine vielleicht nicht mehr zu den Lebenden gehörte, stets Vorwürfe machen würde,

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