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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Und wie gering sind die Ansprüche, welche Wilhelm Bauer an das Vertrauen seiner Landsleute macht! Die Summe von 12,000 Thalern, sage zwölftausend Thalern, würde genügen, um wenigstens die Hebekameele, Luftpumpen, Schläuche, Haken etc. sammt den nöthigen Taucheranzügen zur Hebung von kleineren Seeschiffen aus einer Tiefe bis zu 100 Fuß zu beschaffen. Die Sammlung einer verhältnißmäßig so unbedeutenden Summe sollte in einem Lande, das sich der zweiten Handelsmarine Europa’s rühmt, doch wahrlich keine Schwierigkeit machen. Sie dürfte sogar durch freiwillige Gaben zu ermöglichen sein, denn wenn z. B. nur jeder Leser unserer Gartenlaube sich zur Beisteuer von drei Silbergroschen entschlösse, so wäre diese Summe gedeckt. Sollte sich denn nicht an jedem Orte, wo dieses gelesen wird, ein bereitwilliger Mann finden, der die kleinen Gaben für ein deutsches Ehrenwerk sammelte? Zu diesem Behufe wird sich sofort ein Hauptcomité mit den nöthigen Zweigcomité’s zu bilden haben, bei welchen vor Allem unsere großen Seestädte sich betheiligen werden. Denn ihrem Interesse und namentlich dem der Versicherungs-Gesellschaften gegen Seegefahr dient ja diese Erfindung zunächst; – die unberechenbare Nützlichkeit derselben, und namentlich der Taucherkammer und des Taucherschiffs, für unterseeische Unternehmungen aller Art, Kabellegen, Korallen- und Perlenfischerei, Wasserbauten bis hinauf zur Naturforschung in den bis heute dem Menschenauge noch verborgen gewesenen Tiefen der Meere, dies Alles wird erst aus der praktischen Verwerthung der Erfindung im Dienste der Schifffahrt hervorgehen.

Eine zweite Unterstützung würde ihr von den deutschen Schiffs-Versicherungs-Gesellschaften und Rhedern dadurch gegeben, daß sie Verzeichnisse einsendeten von den in den jüngsten fünf Jahren verlorenen Schiffen und Waaren, von denen ihnen die Lagestelle und die ungefähre Tiefe derselben bekannt ist, mit der Bemerkung, ob das Schiff von Eisen oder Holz, bekupfert oder verzinkt, ob Dampfer oder Segelschiff; ferner ob sie diese Schiffe und Waaren Herrn Bauer für die Dauer von drei Jahren zum Heben überlassen, und zwar gegen die Verpflichtung, daß derselbe von den gehobenen Schiffen eine Abgabe von 20 Procent aus dem Reinerlös des geborgenen Gutswerths nach Abzug der Hebekosten an die betreffenden Eigenthümer entrichte, oder ob sie dieselben ganz frei geben, oder gegen welchen Betrag sie dieselben im unterseeischen Zustande berechnen. Aus einem solchen Verzeichnisse würde die Auswahl für die ersten Hebungsarbeiten zu machen sein, und diese würden dann von selbst das Capital schaffen, das zur Herstellung der Taucherkammer und der stärkeren Kameele und Luftpumpen für die Hebungen der größten Schiffe bis zur Tiefe von 500 Fuß erforderlich ist.

Dieser Apparat würde die Summe von 120,000 Thalern in Anspruch nehmen. Wer aber bedenkt, wie viele Millionen aufgegebenen Guts damit zu retten sind, der wird nicht daran zweifeln, daß schon die erste gelungene Hebung mittels Tauchern und Ballons dieser Erfindung hinlängliches Vertrauen erwerben würde, um in unsern Seestädten die Summe für den vollständigen Apparat flüssig zu machen.

Möge dieser Artikel nicht bloß gelesen werden! Der Erfinder ist jeden Augenblick bereit, in die Tiefe des Meeres zu gehen, in welche ihm seine tüchtigen, von ihm eingeschulten Taucher so kühn und treu folgen werden, wie einst Witt und Thomson in den „Teufel der See“.

Dr. Fr. Hofmann.     


Der Letzte seines Stammes.

Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung.)

Die Erde lag noch im Schatten, der Nebel erfüllte noch die Thäler, als Graf Joseph, von seinem Diener gefolgt, langsam die Höhe emporritt. Je höher er stieg, um so tiefer sank der Nebel. Durch Wälder von Wallnußbäumen, an Weingärten vorbei, deren große Blätter thautriefend der Sonne warteten, ging es hinauf, und ein leises kühles Wehen erfrischte ihm die Brust. Er athmete leichter und voller als je zuvor, und das Emporsteigen, das Vorwärtskommen erfreuten ihn, denn in Beidem liegt ein Gelingen. Er sah hinab, ein Meer von Nebel schwamm zu seinen Füßen, bewegte sich langsam hin und her, ließ hie und da eine Stätte in unklaren Umrissen erkennen, und zog sich dann wieder wirbelnd und schwebend zusammen. Er sah empor, und es traf ihn wie eine Verklärung. In einem Schimmer, für dessen Farbe und Pracht es keinen Namen gab, leuchteten die schneeigen Grate des Gebirges auf dem unsäglich klaren Himmelsblau, und als habe das Licht noch die Gewalt, welche es in den Tagen besessen, da die Wasser des Himmels sich von den Wassern auf der Erde schieden, so zerriß vor der Sonne ersten Strahlen das schwebende Gewölk zu seinen Füßen, und tief geborgen unten im Thale, wo die schäumende Plessur aus ihrer engen Felsenwiege hervorbrach, lag die Stadt noch schlummernd da.

Er hielt sein Pferd an, um hinabzuschauen. Da lagen sie wieder, der Dom, der Bischofssitz, die Wege, welche von demselben nach der Stadt hinunterleiteten! Er sah die Bäume, welche sein Haus umgaben, sah das Haus mit seinen geschlossenen grünen Fensterladen, und auch das Zimmer, dessen Fenster offen waren, sein Zimmer, in dem er die Nacht geschlafen. Es heimelte ihn Alles an. Die Stadt, so klein sie war, erschien ihm schön und war ihm plötzlich lieb. Er wußte sich die Empfindung nicht zu deuten. Er hatte oft genug von den Höhen des Montmartre auf Paris hinabgesehen, ohne ein Gefühl der Liebe für den Ort zu haben, obschon er sein ganzes Leben dort gelebt, obschon er durch alle seine Erinnerungen mit demselben verwachsen war, und doch war es eine natürliche Erfahrung, die er an sich zu machen hatte.

Große Städte, unübersehbare Häusermassen erregen nur Erstaunen, erregen höchstens Verwunderung, und sprechen durch die historischen Thatsachen, welche sich an ihre Mauern knüpfen, zu unserm Geiste; lieb gewinnen, lieben kann man nur Städte, die man in ihren Einzelnheiten erkennen, die man als ein Einiges, als ein Individuum mit einem Blicke übersehen kann; und wenn der Großstädter ein Weltbürger wird und der Kleinstädter mit unwandelbarer Neigung an seiner Heimath hängt, so ist das, wo es geschieht, nicht nur Folge der geistigen Atmosphäre, welche sie in ihren Aufenthaltsorten athmen, sondern es beruht auf einem physischen Gesetz, das auf bestimmte Naturen seinen unabweislichen Einfluß ausübt.

Steigend und steigend ritt er in den Tag hinein. Hier rauschte die Rabiosa durch das Thal, dort rieselten kleine Bäche aus dem Gestein hervor oder fielen schäumende Fluthen von Absatz zu Absatz an den Felsen hernieder, um sich mit den wilden Gletscherwassern der Rabiosa zu mischen und ihre gemeinsame Fülle in den Rhein zu ergießen, der sich fern ab von den Schweizerbergen in das Meer ergießt. Dann wieder sah er auf den grünen Matten die Hütten der Senner, wie sie vom Thal bis zum Bergesgipfel, sich in Entfernungen an einander reihend, eine Kette bilden durch das ganze Land, und worauf er seinen Sinn auch richtete, die Natur und das Leben des Menschen in ihr, Alles war auf Gliederung und Zusammenwirkung begründet. Die Flüsse und die Menschengeschlechter, sie hatten dieselbe Bestimmung und dasselbe Schicksal: zusammenwirken für die größtmögliche Kraftentfaltung und sich auflösen in das Allgemeine.

Er war sich neu in diesen Betrachtungen, denn in dem wechselnden und vielbewegten Leben von Paris, das in jenen Tagen nicht nur die Hauptstadt Frankreichs war, hatte er in den letzten Jahren mehr mit Andern als mit sich selbst verkehrt, und wenn manch Einer in der Zurückgezogenheit an sich die unangenehme Erfahrung machen muß, daß er nur den Geist seiner Umgebung gehabt habe, so wurde Graf Joseph es nun gewahr, wie viel von seinem Geiste er Andern geliehen, wie viel Empfindung er in Andere hineingelegt, und wie er allermeist der Schöpfer der Gedanken und der Gefühle gewesen sei, die er durch Andere zu empfangen geglaubt hatte. Er begegnete auf seinem einsamen Wege keinem fröhlichen Genossen, keinem Reisegefährten, aber er fand sich selbst in dieser Stille, in dieser erhabenen Natur, und wo man sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_062.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)