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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Forschen und Streben, als studentischer Jugendübermuth hervor. Ein Glaubensbekenntniß aus seinem Tagebuche jener Zeit ist voller Schwärmerei für wahren Glauben und Gottesdienst und voller Verachtung gegen weltliche Freuden, voller Haß gegen studentischen Trunk, ja gegen Tanz, Musik und unschuldigere Freuden. Auch erste Liebe, erste Poesie, erste Tragödie (Prexaspes) befreien ihn nicht aus seiner evangelisch-theologischen Gebundenheit. Erst das nüchterne, kritische, scharfe Berlin in der flachen, märkischen Sandebene und das Berliner Theater, damals noch eine Stätte dramatischer Classicität, fingen an, an diesen Banden zu rütteln, obwohl tägliches Bibellesen und Collegia bei Neander und sogar Hengstenberg den Theologen gegen die Verlockungen der Musen schützten. Er wohnte in der Charlottenstraße am Gensd’armenmarkte bei dem kleinen, sehr durchgebildeten Künstler und Theater-Regisseur Weiß, durch den er mit der Bühne vertraut, Theater-Kritiker, Theater-Dichter und Corrector ward. Im Hause unten war die damals schon berühmte, literarische Conditorei von Stehely, die er nicht ein einziges Mal besuchte. Der alte, kleine Künstler und sein Sohn, der Maler, erwähnten ihren Freund, den Studenten der Theologie Kinkel, mit Liebe, aber er war ihnen zu fleißig, zu theologisch, zu wenig „Berliner“ gewesen. Berlin hatte ihm während eines bloß zehnmonatlichen Aufenthalts (October 1834 – August 1835) direct wenig angethan oder genützt, ihm aber freiere Blicke in’s Leben eröffnet. Diese mögen während seiner übrigen Studentenzeit (wieder in Bonn) nachgewirkt und einen Bruch mit der strengen Urania zu Gunsten freundlicherer Musen vorbereitet haben. Doch war und blieb er noch voller Theologe nach außen und machte ein glänzendes Licentiaten-Examen, um sich nun als Privatdocent in Bonn zu versuchen.

Den theologischen Privatdocenten lockten Katheder und Studenten mit dicken Heften, um darin Schwarz auf Weiß nach Hause zu tragen, aber dem Dichter und künftigen Lehrer der Kunstgeschichte ließ es keine Ruhe mehr im Norden und in der Theologie.

„Hinaus zum Süd! Auf springt der Alpen Thor –
O kennst Du diesen Zauberlaut: der Süden?
Es reißt entzwei der Thränen Nebelflor,
Und Lebenskraft umrauscht den Lebensmüden.“

Kinkel reiste durch Südfrankreich, über Nizza, Genua, Lucca etc. nach Rom und kam nach halbjährigem Genuß des Südens, „zum reifen Thun gekräftigt“, im März 1838 auf seinen theologischen Lehrstuhl zurück, in das nordische Leben, „erhellt von des Südens Nacht“.

Er ist wieder Privatdocent und bleibt Privatdocent noch volle neun Jahre, und erhält erst nach eilfjährigem preußischem Staatsdienste unter dem „Cultus-Ministerium“ 400 preußische Thaler Gehalt. Cotta trug ihm 1847 die Redaction der Augsburger Allgemeinen Zeitung mit glänzendem Gehalt an, aber Cultus-Minister v. Eichhorn sagt ihm persönlich sehr graciös, daß man sich freuen würde, ihn dem preußischen Staatsdienste zu erhalten, und er bleibt, was er seit eilf Jahren gewesen. Ehe wir uns den furchtbaren Geist ansehen, der ihn mit Gewalt aus seiner friedlichen, glücklichen Welt rief und trieb, gilt es, uns ein Bild von diesem Gelehrten, Lebens- und Liebesglücke zu entwerfen. Wir beschränken uns auch hier auf die Hauptzüge.

Als Gelehrter und Lehrer der christlichen Kunstgeschichte (vor oft 200 Studenten der kleinen Universität) und der Culturentwickelung, welche in der Kirchengeschichte liegt, später in der philosophischen Facultät der Kunst[1] und Literatur überhaupt, wußte er dem nüchternen, frommen Protestantismus, in welchem seine Dichterseele keine wahre Befriedigung mehr finden konnte, Geist, Begeisterung und Schönheit theils abzugewinnen, theils einzuhauchen. Dies machte ihn mit seinem klangvollen, lebendigen Vortrage zu einem der beliebtesten akademischen Lehrer, der natürlich dem „odium theologicum“, dem berüchtigten Hasse amtlicher Gottesgelahrten, nicht immer entgehen konnte. Namentlich warf ihm das Provinzialschul-Collegium einmal vor, „das alte Testament herabgesetzt“ zu haben.

Dieser Haß drängte sich noch weiter in sein häusliches und herzliches Leben ein. Als er die geistvolle, berühmte Künstlerin Johanna Mockel[2] aus den Fluthen des Rheins gerettet, hatte er „seines Geistes hellen Stern“, die liebende, geliebte Gattin, die ihn hernach mit dem Heroismus eines Weibes aus viel gräßlicherer Todesgefahr befreite, gefunden und ewig und unauflöslich mit sich vereinigt, und kein Mensch hatte ein Recht mehr, in solch’ ein Lieben und Leben hineinzureden. Aber die Theologen und Klatschschwestern drängten sich harpyienartig ein. Erstere hatten ihm schon vorher gedroht, daß er sich als Gatte einer vorher geschiedenen Frau in der theologischen Facultät beförderungsunfähig machen werde. Sie hielten Wort, was insofern dankenswerth ist, als sich Kinkel wohl selbst auf diesem Gebiete beförderungsunfähig und für seinen schöneren Beruf, die Sphäre der Kunst und des Schönen, reif gemacht hatte. Mit dem Weibe und der Künstlerin war er einer höheren, schöneren Thätigkeit gewonnen und gab die häßlich an ihm mäkelnde Theologie auf.

Der Hochzeitstag im Wonnemonat 1843 war ein neuer Frühlings-Anfang in Kinkel’s Leben. Die theologische Gottesfurcht hatte sich zu einer dichterischen Gottesliebe erweitert und erhoben, zu einem Pantheismus, dem wir die schönsten Gedichte Kinkel’s verdanken: „Menschlichkeit“, „Abendmahl der Schöpfung“, „Vor den achtzehn Gewehrmäulern“. Doch die wahre Poesie aus dieser Zeit ist keine gedruckte. Man lebte sie in sich und in Anderen. Das Schloß Clementsruhe, später Poppelsdorf bei Bonn, wo Kinkel wohnte und, nicht selten mit dem Kinde Johanna auf dem Schooße und der Frau Johanna zur Seite, arbeitete, wurden Wallfahrtsorte der Dichter und Tempel der Poesie in heiterer und lebensfrischer Freude des Schaffens und Gestaltens. Ein Verein von Dichtern und Dichterinnen hielt als „Maikäferbund“ seine Sitzungen in Kinkel’s Hause, hielt Gericht über die neuesten Dichtungen und bekränzte den Sieger. Kinkel gewann manche solche Lorbeerkränze, so z. B. für die Tragödie „Lothar“, die freilich für unaufführbar galt, da ein „Papst“ darin vorkam. Auch sein „Grobschmied von Antwerpen“ und der herrliche, pantheistische „Traum im Spessart“[3], das in 24 Stunden geschriebene Liederspiel „Friedrich Rothbart in Susa“, „Otto der Schütz“, (sechszehnte Auflage 1855, jetzt zweiundzwanzigste), das Lustspiel „Heilung des Weltschmerzlers“, und die Tragödie „die Stedinger“ wurden mit dem Lohne ersten Preises anerkannt. Der Verein schrieb eine „Zeitschrift für Nichtphilister“, auf dunkelgrünem Papier, genannt „der Maikäfer“, die Kinkel als „Molterwurm“ redigirte. Es ist eine Sammlung, ein Archiv der besten und originellsten Einfälle und Ergüsse der Mitglieder, unter denen wir die volksthümlichsten und geehrtesten Namen der deutschen Literatur finden, sodaß ein künftiger Biograph und Historiker der deutschen Poesie manche Schätze und Stoffe darin entdecken mag, wie in dem Bettina’schen „Lindenblatt“, das eigentlich den „Maikäfer“ gebar, und in dem vom Anfang an in London fortgeführten Familien-Journale des Kinkel’schen Hauses. – Wer diese blühende Lebens-, Liebes- und Dichterzeit genauer kennen lernen will, findet keine bessere Quelle, als die Schilderung Johanna Kinkel’s im „Kinkel-Album“.

Der theologische Privatdocent war in die philosophische Facultät übergegangen, wurde 1846 außerordentlicher Professor der Kunst- und Literaturgeschichte, und nun erst begann jener oben genannte Gehalt. Der berühmte Professor der Künste Kugler in Berlin verschaffte ihm bald darauf einen Ruf in die preußische Hauptstadt. Inzwischen erschien sein „Männerlied“ in dem Dichterbuche „Vom Rhein“. Bethmann-Hollweg, damals geistiger Oberpräsident der Frommen im Lande, schrieb darauf an Kugler, daß so ein Dichter des Männerliedes nicht nach Berlin passe. So blieb er außerordentlicher Professor in Bonn, bis er als Gesandter des Volks und ohne Erlaubniß Bethmann-Hollweg’s in der gesetzgebenden Versammlung Preußens erschien.

Wir haben’s nun mit Kinkel dem Volksvertreter, Kämpfer und

Märtyrer für deutsche Einheit und Ehre zu thun. Die schwarz-roth-goldene Fahne, welche am 20. März 1848 in Bonn als Standarte des neuen Deutschlands nach dem „Patent“ des Königs von Preußen von allen Parteien in gemeinschaftlicher Begeisterung eingeweiht ward, führte Kinkel zum ersten Male auf die öffentliche Volksrednerbühne. Seine ersten Worte galten der deutschen Einheit, wie alle nachfolgenden Worte und Werke. Mit einem Schlage fand er sich als Volksführer der Kreise Bonn und Sieg, Seele des Handwerker-Bildungsvereins und der Wahlen für die preußische Nationalversammlung. Sein Programm vom 10. April hatte bloß einen Gedanken, ein Pathos: Einheit des alten deutschen Reichs.

  1. Geschichte der bildenden Künste bei den christlichen Völkern. Mit 28 Tafeln. Von G. Kinkel. Bonn 1845.
  2. S. Johanna Kinkel, Gartenlaube 1859, Nr. 1.
  3. Novellen und Erzählungen von Gottfried und Johanna Kinkel. Stuttgart, Cotta.

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_022.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)