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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wetzend, Lilly mit diesen manchen Schlag ertheilend und sie so einige Mal im Hofe umherjagend und zur Leiter der Hühnersteige treibend. Zwei Mal lief sie daran vorüber, dann aber sah ich sie sich Hals über Kopf hinein stürzen und Peter ihr folgen.

Auf der Treppe in der Scheuer erstieg ich den Boden, blickte durch das Fenster in der Klappe und sah nun Lilly schon gemächlich im ersten besten Neste sitzen. Sie schien jetzt plötzlich wie umgewandelt, demüthig senkte sie den Kopf und blinzelte ängstlich und verlegen umher. Peter aber stand in der kleinen Pforte, die zur Hühnersteige führte, noch mit hängenden Flügeln zornige Töne aus seiner fast athemlosen Brust hervorkeuchend. Ich hob nun die Klappe in die Höhe und rief ihm freundliche Beruhigungsworte zu. Da war es, als schäme er sich, in seiner Herrin eine Zeugin seines häuslichen Unglückes erkennen zu müssen, denn nicht wie sonst, wenn ich ihn anredete, hob er freudig die Flügel, jetzt legte er sie so glatt als möglich zusammen, und traurig und beschämt den Kopf senkend, wendete er sich um und schlich die Leiter hinab.

Von diesem Tage an habe ich niemals wieder bemerkt, daß Peter eine seiner Hennen besonders favorisirte, und was Lilly betraf, war und blieb sie zwar eine träge und unordentliche Eierlieferantin, beschloß ihr Leben deshalb schon auf der Mittagshöhe ihres Daseins im Suppentopfe; allein Peter gegenüber war sie seitdem von aller Prätension und Launenhaftigkeit geheilt.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer
XIII.

Im Sommer 1853 brachte Wilhelmine längere Zeit in Mannheim zu, ging später mit ihrem Gatten nach Elgersburg in Thüringen und blieb dort, wo sie sich in der herrlichen Natur besonders wohl fühlte, bis Ende October, während Herr von Bock nach Rußland zurückkehrte, um noch einmal Alles daran zu setzen, Wilhelmine von der Verbannung zu erlösen. Nach unsäglichen Mühen und namhaften Opfern wurde endlich dies Ziel erreicht. Wilhelmine erhielt die ersehnte Kunde in Berlin, wohin sie sich von Elgersburg aus begeben hatte, und in den ersten Frühlingstagen des Jahres 1854 trat sie die zweite Reise nach Trikaten an. Vorher schrieb sie an Carus:

„Berlin, 2. Januar 1854.

„Mein hoch und innig verehrter Freund! Die endliche glückliche Lösung unserer unseligen Angelegenheit wird Ihnen wohl schon bekannt geworden sein, und so greife ich denn heule mit jubelvollem Herzen zur Feder, um Ihnen meinen herzinnigsten Glückwunsch zu Ihrem wiedergekehrten Wiegenfeste zu bringen. Mir ist so leicht und wohl in der Seele, daß ich allen Menschen ein gleiches Gefühl der Glückseligkeit wünschte und vor allen Ihnen, mein verehrter Freund, der Sie so Vielen zu Freude und Trost leben; aber leider wird es in Ihrer edlen Seele nicht so heiter glänzen, sondern Schatten der tiefsten Schwermuth dieselbe umziehen, da der Tag, an welchem Sie das Licht der Welt erblickten, zu nahe den berührt, an welchem sich zwei Augen schlossen, aus denen Ihnen die dankbarste und zärtlichste Kindesliebe entgegenlachte. Sie schwebe ein Engel des Lichtes über Ihrem Haupte und breite sanft und schützend ihre Flügel über Sie aus, damit Sie den Ihren, uns Allen noch recht, recht lange erhalten bleiben!

Ich werde nun in kurzer Zeit nach einem Lande zurückkehren, welchem ich, meinem ganzen Wesen nach, ewig fremd bleiben werde, und in welches mich nichts zurückruft, als eine heilige Pflicht, an welches mich nichts fesselt, als die Liebe und Hochachtung für den besten und edelsten Mann. Ich steige in ein offenes Grab, und mit dem Niedersinken des russischen Schlagbaumes versinkt auch für mich Alles, was sonst ein Leben wohl schmückt. Kunst und Poesie, der Verkehr mit Menschen, an deren reichem Wissen man sich erlaben kann, Industrie und Weltgeschichte, alles das bleibt jenseit jenes Schlagbaums zurück! Aber ich werde dort eine Häuslichkeit, Ordnung und – Ruhe, wenigstens äußere Ruhe finden und an der Seile eines Mannes leben, der mir ein treuer und liebevoller Freund ist. Ich werde nicht allein sein in der Einöde, die mich erwartet, ich habe den treuen Freund, den geliebten Mann und – mich selbst! – “

Die Ruhe, die Wilhelmine in ihrer Häuslichkeit zu finden hoffte, wurde ihr nicht zu Theil. Es gelang ihr nicht, sich in Rußland einzugewöhnen. Ihr Körper litt mehr und mehr unter den Einflüssen des Klimas, und ihr Gemüth wurde nur zu bald wieder von einem Heimweh bedrückt, das ihr Alles, was sie umgab, im düstersten Lichte erscheinen ließ und sie endlich nach Deutschland zurücktrieb. Aber in Deutschland entbehrte sie den Gatten, und die Sehnsucht nach ihm ließ sie wiederum vergessen, was ihr das Leben in Rußland unerträglich gemacht hatte. Ueberdies fand sie in der alten Heimath mancherlei, was sie schmerzlich berührte und ihr zu gerechten Klagen Anlaß gab. Theils hatte sie, selbst in ihren geselligen Beziehungen, unter den Nachwirkungen der Dresdener Anklage zu leiden; theils war sie im Allgemeinen mit den politischen und socialen Zuständen des Vaterlandes unzufrieden. So sehen wir sie in den nächsten Jahren immer unstät, immer unbefriedigt, bald in den deutschen Bädern, deren Gebrauch ihr verordnet war, bald in Berlin, bald wieder in der Einsamkeit des livländischen Gutes. Im Frühjahr 1855 schreibt sie an Herrn von Donop:

„Schloß Trikaten, 15. April.

„… Ihr Brief vom 22. Februar vorigen Jahres traf mich wenige Tage vor meiner Abreise und in der fürchterlichen Unruhe des Einpackens. Damals fand ich also keinen freien, ungestörten Moment mehr, um Ihnen auf heimischem Boden noch ein Wort des Dankes und ein Lebewohl zuzurufen. In meiner neuen Heimath angelangt, war die erste Zeit meines Hierseins dadurch in Anspruch genommen, das Chaos, welches mich umgab, zu lichten, Ordnung und Sauberkeit – soweit das hier überhaupt möglich ist – herzustellen und wenigstens den Räumen, die ich bewohne, einen Anstrich von Poesie zu geben, ohne die es mir einmal nicht möglich ist zu leben, was aber mit den unendlichsten Schwierigkeiten verknüpft war, denn hier ist Alles Prosa, nackte, kahle Prosa in ihrer unschönsten Gestalt. Sie rufen mir in einem Ihrer Briefe zu, den Sie mir nach C… schrieben: „was will die Muse unter den Abderiten?“ – Was würden Sie sagen, wenn Sie mich hier sehen könnten? Schlagen Sie Goethe's Iphigenia auf und lesen Sie den ersten Monolog, lassen Sie nur den „rauhen Gatten“ weg, so paßt das Uebrige meist auf mich und meine Stimmung, denn – es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher! – Sind wir wirklich nur dazu geboren, von der Wiege bis zum Grab in ewigen Kämpfen durchs Leben zu gehen, so ist dies Loos vor Allem meines. Es könnte jetzt Alles gut sein; das Schicksal hat mir für so manche harte Prüfung reichlich Rechnung getragen, denn es hat mir einen treuen, edlen Freund zur Seite gestellt; aber es ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Mich hat hier ein unüberwindliches Unbehagen erfaßt, welches die Folge vergeblichen Bemühens ist, Resultate erreichen zu wollen, die unter den hiesigen Verhältnissen zu den Unmöglichkeiten gehören, ein Unbehagen, das wie eine düstere Wolke auf meinem Gemüthe lastet, das, niedergedrückt mit betrübt, nicht einmal zu der Energie gelangen konnte, lieben Freunden zu sagen, daß ich noch lebe, und daß die Erinnerung an vergangne schöne Tage, mit ihnen verlebt, meinem abgeschiedenen und monotonen Dasein die einzige heitere Abwechselung gewährt. Nun kommt auch noch das peinliche Gefühl dazu, wenn ich am Schreibtisch sitze, daß ich nicht niederschreiben kann, wie ich empfinde, sondern mit ängstlicher Sorgfalt meine Gedanken umgehen muß, was mir alle Unbefangenheit raubt. Jeder Zwang ist lästig, besonders mir, aber der, ein übervolles Herz nicht ausschütten zu dürfen, ist gewiß der lästigste. Und wie viel hätte ich Ihnen zu sagen, wie viel möchte ich Ihnen mittheilen! Doch, wie gesagt, einem Blatt Papier darf man nicht immer anvertrauen, wozu man sich getrieben fühlt, besonders wenn es einen so weiten Weg zu machen hat, wie von hier nach Deutschland – man hat Beispiele, daß Briefe verloren gehen. Sie verstehen mich. So will ich denn für jetzt den heißen Wunsch unterdrücken, einem Mann mein Herz rückhaltlos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_798.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)