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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Luft freien Lauf; das Instrument ist gut, und wie Perlen rollen die Passagen, wie ein Sturm sausen die Arpeggios, wie ein inniges Liebeslied klingt die eingestreute Melodie. Der Musikdirector zieht sich mit immer größer wertenden Augen nach dem Piano wie nach einem Halte zurück; der Kaufmann hat in plötzlicher Ueberraschung den Mund zu schließen vergessen und blickt bald, als dürfe er seinem Urtheile nicht trauen, von dem plötzlich aufgetauchten Künstler nach dem Musikdirektor und von diesem wieder zurück; Eduard aber sagt endlich, als habe er nur einen Probestrich gethan: „Ein recht hübsches Instrument, nur im Tone nicht mächtig genug!“

„Aber, Herr, Sie geigen ja, wie ich in meinem Leben nur irgend etwas gehört habe!“ bricht der Musikdirektor los, „Sie spielen doch nicht etwa Komödie mit uns – wie ist Ihr Name?“

Eduard nennt ihn lächelnd – wer hat wohl in Deutschland bis jetzt seine Meisterschaft gekannt? und der Andere schüttelt wie vor einem Räthsel den Kopf. „Auch von Noten können Sie das?“ fragt er.

„Wir können es ja versuchen!“ ist die Antwort, und der verwunderte Musiker sucht hastig aus seinem Notenpack einige Piècen hervor. „Wählen Sie selbst!“ ruft er. Eduard aber schüttelt nach einem kurzen Einblicke den Kopf. „Haben Sie nicht etwas, das mehr verlangt?“

„Nun denn, hier ist der Paganinische „Carneval“ und die „Hexentänze“!“ ist die Antwort, und mit sichtlicher Spannung wirft sich der Musikdirektor zur Begleitung an das Piano; Eduard aber kennt ja beide Bravourstücke längst auswendig. und kaum wirbeln eine kurze Weile die barocken Gänge über die Saiten, folgen die gewagtesten Sprünge sich in wunderbarer Keckheit und Sicherheit, daß für diese Finger kaum eine Schwierigkeit mehr vorhanden zu sein scheint, als der Musikdirektor wieder aufspringt: „Aber das ist ja kaum möglich – Herr, Sie müssen Concerte geben, Sie haben hunderttausend Mark in den Fingern!“

„Aber erst soll er sich eine Violine suchen, die ihm mächtig genug ist, wie er sagt!“ ruft der entzückte Kaufherr, „heute Abend in meinem Hause, Musikdirektor!“ und damit zieht er den jungen Virtuosen nach der Musikhandlung, ihm auf die Seele bindend, sich das beste Instrument, das er finden kann, auf Rechnung seines Wirths zu nehmen.

In Eduard’s Seele wird es lichter Sonnenschein – wieder, eine gute, eigene Geige! Der Instrumentenhändler bringt Violinen „der besten Gattung“, wie er sagt, aber nach kurzem Anklingen der Saiten legt sie der Wählende bei Seite und fragt nach etwas wirklich Gutem. „Auf meine Rechnung!“ ruft der Kaufherr, den das verwunderte Gesicht des Verkäufers zu amüsiren scheint, „dem Herrn machen Sie kein X für ein U!“

„Er scheint es wirklich zu verstehen,“ sagt der Instrumentenhändler mit einem eigenthümlichen Lächeln und öffnet einen Kasten in einer entfernten Ecke. Zwei unansehnliche Gestelle kommen zum Vorschein, die so wenig auf einen Verkauf gerechnet zu haben scheinen, daß der Händler sie erst zum Theil besaiten muß. Kaum hat sie der Flüchtling aber angeklungen, als auch seine rege Aufmerksamkeit erwacht, er nach dem Bogen greift und beide einer genauen Prüfung in allen Tonlagen unterwirft. „Darf ich dieses Instrument behalten?“ wendet er sich endlich mit halb zweifelndem Blicke an seinen Gönner, „es wird nicht billig sein!“

„Dummes Zeug, ich habe es Ihnen doch versprochen!“ ist die Antwort. „Was kostet das Ding?“

„Tausend Mark!“ sagt der Instrumentenhändler ruhig, „es ist eine echte Cremoneserin.“

„Tausend – tausend Mark für das Bißchen Holz?“ ruft der Kaufmann sichtlich verblüfft.

„So ist es,“ lächelt der Händler, „der Herr versteht sich auf Instrumente!“ Eduard aber hat den gewonnenen Schatz schon wieder zurückgelegt. „Ich konnte mir denken, daß der Preis zu hoch sein würde, und verlange das Opfer nicht!“ sagt er, und damit scheint auch seines Wirthes Stolz wieder zu erwachen.

„Wenn das Ding soviel werth ist und es Ihnen völlig genügt, so werden mir auch wohl die tausend Mark für mein Versprechen nicht zu viel sein,“ erwiderte er, „sind Sie zufrieden damit?“

„Ich nehme Ihr Geschenk an,“ sagte der junge Virtuose, in überwallender Freude des Mannes Hand ergreifend, „und hoffentlich sollen Sie von der Geige noch mehr zu hören bekommen!“

Wenige Tage darauf ward zur Unterstützung der ungarischen Flüchtlinge ein großes Concert angezeigt, und zum ersten Male lasen deutsche Augen den Namen Eduard Reményi als Sologeiger auf einem Programm. Die Sage von dem aus der Wildniß gekommenen Künstler hatte sich schon in der Stadt verbreitet, die Neugierde, wie die Theilnahme für die Flüchtlinge hatten die Concert-Räume zum Erdrücken gefüllt; alle Erwartungen aber wurden durch das Geniale und echt Vornehme in der Erscheinung Reményi´s wie durch sein die Begeisterung entzündendes Spiel übertroffen; in den nächsten Tagen konnte sich der Gefeierte vor Einladungen nicht retten, und als ein zweites Concert zur Hülfe der Ungarn einen wo möglich noch brillanteren Verlauf genommen, ward dem jungen Künstler von den Damen Hamburgs ein Dutzend „selbstgefertigter“ feinster Spitzenhemden, von seinen männlichen Verehrern aber eine werthvolle goldene Uhr mit Kette und zahlreichen Berloques überreicht. Beide Spenden bewahrte er noch Jahre darauf, als die ersten sichtbaren Errungenschaften seiner Geige auf.

Von dem gesammten auf ihn fallenden Gelderträge aber behielt er nur das nöthige Reisegeld nach England und sandte das Uebrige durch Vermittelung seines Wirths an seine Mutter. – Von London aus, wo er in verschiedenen Concerten einen gleichen Enthusiasmus und pekuniären Gewinn erzielte, ward seiner Mutter eine erneuete Unterstützung, und dann wandte er sich nach den Vereinigten Staaten, Ruhm und Bewunderung auf seinem dortigen Wege vor sich hersendend.

Vor zwei Jahren hörte der Erzähler dieses das Letzte von ihm; damals war er, nach London zurückgekehrt, zum Concertmeister der Königin ernannt worden; die englischen Blätter bezeichneten ihn als einen der ersten jetzt lebenden Violin-Virtuosen; in seiner nächsten Umgebung aber war er nur bekannt als „Görgey’s Geiger“.

O. R.




Die Bauden des Riesengebirges.

Von Rudolph Gottschall.

Jene verwundeten Hirsche, welche der Sage nach die Quellen von Warmbrunn entdeckten, haben gewiß viel dazu beigetragen, daß sich der Urwald in diesem Thalkessel und auf dem Hochgebirge lichtete und das Reich Rübezahls bis auf den heutigen Tag ein Lieblingsziel fremder Wanderer wurde. Kein schöneres Panorama, als dieser Haupthöhenzug der Sudeten mit seinem Kamm und seinen Kuppen hinter den von frischen Bergströmen durchrauschten, mit zahlreichen Häusern, Villen und schattigen Bäumen belebten Warmbrunner Thale! Freilich, da oben herrscht in der bei weitem größeren Hälfte des Jahres winterliche Einöde, und auch der Sommer hält nicht, was die lockende Bergrotunde verspricht! Auf den sumpfigen Knieholzwiesen oder den steilen Glimmerschieferkegeln ist ein beschwerliches Wandern, und nur der Anblick einzelner Schöpfungswunder, wie der Schneegruben und der beiden Teiche, nur die umfassende Rundschau über Schlesiens und Böhmens Berge und Ebenen entschädigt für die Weltverlassenheit des wüsten Gebirgskammes.

Doch die Ansiedelungen der Menschen erstrecken sich bis auf alle Höhen des Kammes hinauf! Unsere schlesischen Sennhütten, die Bauden, unterscheiden sich wesentlich von den Schweizer Sennhütten; sie haben, wie das Riesengebirge selbst, dem nicht nur die Gletscher, sondern auch die Adler fehlen, welches aber doch an großen Naturbildern reicher ist, als die anderen Mittelgebirge, einen eigenthümlichen Charakter. Die bekanntesten Bauden befinden sich auf der schlesischen, die zahlreichsten auf der böhmischen Seite des Gebirges. Jene sind meistens Gastherbergen für die Bergreisenden und mit größerem oder geringerem Comfort eingerichtet; diese bilden ganze Baudendörfer und sind Wohnungen für die Mitglieder dieser hochgelegenen Dorfgemeinden. Die Zahl der Bauden im Bereiche des Riesengebirges mag sich auf ungefähr 3000 belaufen. Man unterscheidet Sommer- und Winterbauden; jene werden nur im Sommer, der Viehwirthschaft wegen, bezogen und im Herbste wieder verlassen; diese bleiben im Winter wie im Sommer bewohnt.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_763.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)