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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Controlor,“ jammerte er, „das wage ich nicht zu übersetzen! Das brächte Sie und mich in’s Unglück!“ Ich zuckte die Achseln; der Marschall aber, ungeduldig über die Zögerung, rief einen jungen Officier herbei, welcher meine Antwort übersetzen mußte. Als er sie vernommen, maß er mich einen Augenblick vom Kopf bis zum Fuß und ließ mir dann durch den Officier sagen, ich sei sehr kühn, aber er verzeihe mir, denn er sehe wohl, daß mir übel mitgespielt worden sei. Darauf ward mir bedeutet, mich niederzusetzen und zu schreiben, was mir dictirt würde. Es war das Verzeichniß der Lebensmittel, die ich binnen zwölf Stunden herbeischaffen sollte, und einer Kontribution an Geld. Anfangs schrieb ich geduldig, was mir Waninger seufzend verdolmetschte, denn da der junge Officier abgetreten war, mußte er wieder das gefährliche Amt übernehmen. Als aber die Zahlen gar kein Ende nahmen und alle zahmen Thiergattungen, wie sie kaum in der Arche Noah gewesen sein mochten, gleich nach Tausenden verlangt wurden, fing ich an auf meinem Sitze hin und her zu rücken und vernehmlich zu brummen. „Sagen Sie dem Herrn Marschall,“ rief ich dem entsetzten Waninger zu, „ob er mich für einen Taschenspieler hält, der Tauben und Meerschweinchen aus seinem Hute herauszaubern kann?“ Der unglückliche Dolmetscher bebte am ganzen Leibe.

„Das getraue ich mir nicht zu sagen – das lassen Sie sich von Jemand Anderem übersetzen!“ Dies Zwiegespräch wurde anscheinend unmerklich eingeschaltet, denn Massena fuhr fort im Saale auf und ab zu schreiten und zu dictiren. Ich sah ihm aber wohl an, daß ihm unsere Zwischenbemerkungen nicht entgingen. Zuletzt kam die Contribution. Bis kommenden Tag Mittags 12 Uhr sollten achtzigtausend Gulden baar erlegt sein. Das wart mir zu viel. „Das schreibe ich nicht!“ rief ich unmuthig und warf die Feder auf den Tisch. „Das heißt mit unserm Elend noch Spott treiben! Sagen Sie dem Longinus da, der herumsteigt wie der Hahn im Werg, daß ich das nicht schreibe!“ Der Dolmetscher war starr; Massena aber stand mit zwei gewaltigen Schritten hinter mir und gab mir einen derben Schlag auf den Rücken. „Est ce que vous êtes fâché, monsieur?“ rief er mit blitzenden Augen, als habe er nichts Geringeres vor, als mich in der Mitte abzubrechen.

War ich zuvor schon aufgeregt, so stieß die erlittene Mißhandlung dem Fasse vollends den Boden aus. Zornglühend sprang ich auf und trat vor den Marschall hin, der unwillkürlich einen Schritt zurück machte. „Ja,“ rief ich und vergaß im Eifer ganz, daß mich der Marschall nicht verstand, „Ja, ich bin fâché! Ich bin es als Beamter Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich nicht gewohnt, mit Schlägen tractirt zu werden! Das mag bei Ihnen Sitte sein; bei uns nicht, Herr Marschall! – Ja, ich bin entrüstet und scheue mich nicht, es zu zeigen! Es ist geradezu Hohn, mit dem Elend, in das Sie uns versetzt haben, von uns eine solch’ ungeheuere Summe zu verlangen. Ebenso gut könnten Sie fordern, ich solle bis morgen Mittags 12 Uhr die zusammengeschossene Stadt wieder aufbauen! Es ist Hohn mit unserer Armuth, diese Lieferungen zu verlangen, jetzt, nachdem Ihre Horden Alles ausgeplündert und kaum eine Klaue übrig gelassen haben! Es ist Hohn, Lieferungen zu fordern, die man kaum in Friedenszeiten und beim größten Ueberflusse aufbringen könnte, und es ist noch der größte Hohn, daß ich sie liefern soll, ohne alle amtliche Hülfsmittel und binnen einer Zeit, die nothwendig einen Hexenmeister voraussetzt. Wenn es auf die armen Schärdinger denn doch einmal abgesehen ist, so machen Sie ihnen rasch und ohne Flausen den Garaus! Und mich, der Ihnen die Wahrheit gesagt hat, und den Sie doch schon einmal ruinirt haben, mich lassen Sie füsiliren, damit mein Weib zur Wittwe und meine Kinder zu Waisen werden … und damit bin ich zu Ende!“

Der Marschall war während meiner ganzen Standrede unbeweglich geblieben und hatte kein Auge von mir verwandt. Dolmetscher Waninger war vor Schrecken halb ohnmächtig in einen Stuhl gesunken; die dienstthuenden Officiere und Soldaten standen lautlos an den Wänden herum, unter ihnen der junge Lieutenant, der schon einmal als Uebersetzer gedient hatte und jetzt zurückgekommen war. Diesem winkte Massena vorzutreten und befahl ihm, was ich gesagt hatte, auf’s Genaueste zu übertragen. Ich hätte es aus seinen Gebehrden entnehmen müssen, wenn ich auch noch weniger französische Worte verstanden hätte, als ich wirklich verstand. Der junge Mann gehorchte mit sichtbarem Widerstreben.

Als er geendet hatte, sah mich der Marschall noch einen Augenblick durchdringend an. Dann trat er näher vor mich hin, legte mir die Hand auf die Schulter und hielt, als wenn er sich revanchiren wollte, eine Gegenrede an mich hin. Auch ohne Waninger’s Hülfe, der diesmal sich nicht im Mindesten scheute, begriff ich den Inhalt. „Sie sind ein braver Mann,“ sagte. „Sie haben Muth; ich liebe das und sehe es gern, wenn man mir unumwunden seine Gedanken sagt. Zum Beweise dafür und zum Beweise, daß wir nur thun, was wir thun müssen, erlasse ich der Stadt die Contribution. Von den Lebensmitteln liefern Sie die Hälfte. Ich stelle Ihnen genügende Mannschaft zur Disposition – können Sie das in 24 Stunden schaffen?“

Diesen Ausgang hatte weder ich, noch Einer der Anwesenden erwartet. Alle athmeten in einer angenehmen Empfindung aus, ich aber faßte ohne Umstände des Marschalls Hand, schüttelte sie und dankte ihm ordentlich gerührt, weil er mich dafür, daß ich meine Schuldigkeit gethan, nicht bestrafte und so freundlich war, uns einen Theil von dem zu schenken, was uns ohnehin gehörte. Aber so ist der Mensch, wenn die Gewaltigen der Erde ihre Macht auch mißbrauchen, er erträgt es, so lange ihm ein Winkel gelassen wird, in dem er behaglich niederkauern kann. Erst wenn die Meute des Uebermuths ihn auch da aufstört, zeigt er Krallen und Zähne.

Der Marschall ging; ich ward in ein anderes Zimmer gebracht und mir bedeutet, meine Arbeiten zu beginnen. Ich that es so gut als möglich aus dem Kopfe, da alle Verzeichnisse und Register mit dem Landgericht in Rauch aufgegangen waren. Inzwischen ward von allen Seiten für meine Bequemlichkeit gesorgt: statt der Holzschuhe erhielt ich ein Paar abgeschnittene Reiterstiefel aus der Garderobe des Marschalls, und auch mein isabellfarbener Ueberrock, der an mir zum Verräther geworden, wurde ausgekundschaftet und mir wieder ausgeliefert. Auf des Marschalls Befehl wurde mir eine ausgesuchte Mahlzeit mit Wein aus seinem eigenen Flaschenkeller servirt. Der junge Adjutant, der mir halb zur Beschleunigung meiner Arbeit, halb als Wache beigegeben war, munterte mich auf, zu genießen – ich konnte ihm aber nicht Bescheid thun. Der Wein krampfte mir die Kehle zusammen, denn ich dachte an meine Kinder und an mein gutes Weib und an all die Bedrängnisse, denen sie vielleicht ausgesetzt waren. Aber auch dafür ward Rath. Ich hatte nur einige Worte über ihre Lage gesprochen, als mir der Adjutant anbot, meine Familie im Hause unterzubringen. Wenige Minuten nachher machte sich eine Ordonnanz mit einigen Zeilen von mir nach der Waitzenau auf den Weg, und ehe eine Stunde verging, sah ich die kleine Karawane wohlbehalten und unter dem Freudengeschrei der Kinder ihren Einzug halten. Ich durfte nicht zu ihnen hinab, denn man schien immer ein wenig zu fürchten, daß ich eine Gelegenheit zur Flucht benutzen würde – aber vom Fenster aus konnte ich ihnen zurufen und zuwinken; sie sahen Alle gesund und freudig zu mir herauf, die zwölf Kinderaugen und die meiner Katharina, wie Sterne, nur mit dem Unterschiede, daß ich in diesen Himmel hinab statt hinauf sehen mußte.

Sie wurden gegenüber in einem großen Zimmer im Nebengebäude einquartiert, und in freien Augenblicken konnte ich mein Herz damit stärken, daß ich hinüber sah und mich überzeugte, daß es ihnen an nichts mangelte. Sie hatten sogar einige Bettstücke und waren verhältnißmäßig sehr comfortable untergebracht. Auch mein betrübtes Lieferungsgeschäft ging mit Hülfe einiger Bürger, die sich unter meine Aegide geflüchtet hatten, über Erwarten gut von statten. Massena bezeigte mir seine Gunst auf jede Weise, ich ward täglich an seine Tafel gezogen und war hie und da so glücklich, einem Bedrängten durch mein Fürwort behülflich zu sein. Am vierten Tage waren die beabsichtigten Truppenbewegungen alle ausgeführt; auch der größte Theil der Lieferungen war da. Der Marschall beschloß daher aufzubrechen. Das geschah aber so unvermuthet, daß ich in dem unvermeidlichen Gedräng und Getreibe vergaß, mir von meinem Gönner eine Sauvegarde gegen die immer neu nachrückenden Truppentheile geben zu lassen. So zog er denn ab, ohne daß ich ihn nochmals sprechen konnte; im Vorbeireiten jedoch bemerkte er mich, und rief mir mit freundlichem Winke zu, daß ich bald von ihm hören solle.

Nun war es mir wieder gestattet, bei den Meinigen zu sein und mich mit ihnen des Wiedersehens zu erfreuen. Abgesehen davon begann aber für uns Alle eine neue und trübseligere Zeit, als wir sie schon durchlebt hatten. Daran waren zwei Dinge schuld. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_755.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)