Seite:Die Gartenlaube (1861) 746.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

anzuregen und Anzeigen zu sammlen) muß sich schon sehr schlecht auf sein Geschäft verstehen, wenn er es nicht täglich auf eine Summe bringt, vor der das Tagesgehalt manches hochgestellten deutschen Beamten ganz winzige Verhältnisse annimmt. Aber ein echt französisches Rednertalent muß ein solcher haben, wenn er überhaupt nur angestellt sein will, denn darauf kommt hier begreiflicherweise in den meisten Fällen Alles an, davon kann das Eingehen von Tausenden und aber Tausenden abhängen.

Es sind mir Anzeigenmakler (courtiers d’annonces) vorgekommen, welche mit einer solchen Sicherheit Geschäfte machten, daß sie sich zeitweise verpflichteten, in einem angegebenen Zeiträume so und so viel Annoncen zu liefern, was sie auch immer zu ihrem Nutzen und Frommen pünktlich ausführten. Als Beleg für unsere Aussage sei hier nur ein Beispiel angeführt. Der hiesige Buchhändler und Buchdruckereibesitzer G. stand im Begriff, eine neue Eisenbahnkarte zu veröffentlichen, als ihm der Gedanke kam, statt einer gewöhnlichen Einfassung möchte auch eine aus gedruckten Annoncen am Platze sein, zumal eine solche, nach genauer Berechnung, ein Sümmchen von 36,000 Francs abwerfen müßte. Geschwind theilte er seinen Einfall einem seiner gewandtesten und nobelsten Annonciern mit, und wer sich, trotzdem er schon alle Hände voll zu thun hatte, verpflichtete, en passant in Zeit von sechs Wochen die kostbare Anzeigen-Einfassung herbeizuschaffen, das war dieser Herr. Dieselbe brachte ihm beiläufig – (ich selbst sah die Rechnung) – 3000 Thaler (10,000 Francs) ein. Nun ist dies freilich ein sehr gewandter Bursche, dessen Unverschämtheit unter Umständen seiner Liebenswürdigkeit die Wagschale hält, bei dem man Alles voraussetzen darf, nur keine Liebe zur Wahrheit, dessen Decorum von untadelhaftester aristokratischer Verfassung, und der bei den Clienten der Geschäfte, für die er „macht“, in so hohem Ansehen steht, daß man ihm auf zehn Schritt Entfernung mit einem Stuhl entgegenkommt. Gleichwohl giebt es viele andere, die nicht so erhabene Eigenschaften haben und doch gute Geschäfte machen.

Seit Emil v. Girardin’s Eingriffen in die französische Presse – Emil Girardin war einer der Ersten, die das Anzeigen- und Reclamenwesen in Frankreich aufbrachten, eigentlich der Gründer desselben – läßt sich mit dem, was in Paris darauf abzielt, die Aufmerksamkeit des Publicums rege zu machen, und „Reclame“ genannt werden kann, eine großartige Eintheilung treffen. So haben wir hier die Zeitungsreclame: die literarische, artistische, industrielle Reclame; – die Mauerreclame: die Journal-, Grundstück-, Häuser-, Theaterreclame; – die Gassenreclame: die Manufacturisten-, Restaurant-, Zahnarzt-, Sprachlehrer-, Leichdornschneiderreclame; – die Negerreclame: auf der Straße, im Vorzimmer; – die Fensterreclame; – die Reclame durch den Unfall aus Absicht; – die mimische und oratorische Reclame; – die Reclame der Rattengifthändler, Wasserträger etc. –

Die Zeitungsreclame (als Anzeige, Feuilletonartikel oder Reclame im weiteren Sinne) nimmt unter den Reclamen ihrer größeren Verbreitung sowohl als ihrer Kostspieligkeit wegen den ersten Rang ein, da die unentgeltliche Aufnahme, zu der es hier und da, in Erwartung eines splendiden Gabelfrühstücks oder eines lucullischen Diners, ein dienstfertiger Journalist bringt, kaum in Anschlag gebracht werden kann. Giebt es doch, sogar Journale, auf deren mit etlichen tüchtigen Federn ausgestattetem Redactionsbureau gar nie etwas Anderes geschrieben und getrieben wird als Reclame, ja wo die Raffinirtheit so weit gegangen, das; man für die einlaufenden bezahlten Manuskripte ein Reclamen-Fachwerk mit Aufschriften errichtet, deren chromatische Stufenfolge die lieben Mitarbeiter belehrt, inwiefern Herr X., der 1000 Fr. bezahlt, zu loben, inwiefern Herr Y der nur 100 Fr. bezahlt, zu tadeln, und in welchem Grade Herr Z., der noch weniger oder gar nicht generös gewesen, mit Geißelhieben zu bedenken.

Die Coterieen der Herren Literaten treten hier, wie anderwärts, mit Im-Auge-Behaltung des Sprüchworts: „Eine Hand wäscht die andere“, in der literarischen Reclame zu Tage. Die Vergütung erfolgt, wo sie vorkommt, in natura, d. h. in Exemplaren und Dejeuners, wiewohl die unter den Faits divers veröffentlichten Reclamen, die übrigens auch Niemanden, als den Verleger angehen, vor dem gestrengen Anzeiger keine Gnade finden und ihre 4 oder 6 Franken pro Zeile zahlen müssen, wie die des gemeinsten Professionisten.

In der artistischen Zeitungsreclame, die hier und da mit einem Gefolge von Attesten und marktschreierischem Pompe auftritt, begegnen wir gewöhnlich Allem, nur nicht dem mindesten Kunstverständniß. Der Berichterstatter zieht über den ersten besten Kunstgegenstand nach mitgetheilten Notizen in echt ritterlicher Weise zu Felde, legt sich dabei nach Kräften auf die Phrasendrechslerei, wobei Sinn und Inhalt natürlich oft den Kürzern ziehen müssen, und bringt nicht selten ein Ding zu Stande, dem nur die materielle Form fehlt, um für eine Drommete gelten zu können. In diesen beiden Arten waltet zum Theil die Camaraderie ob.

In tausend Farben spielt und schillert die Theaterreclame. Hier bietet sich den diversen Recensenten in der That ein so weites Feld für ihre mehr oder minder egoistischen Bestrebungen dar, daß sie darauf in den sonderbarsten Sprüngen und Stellungen einhersetzen können. Der Schauspieler und die Schauspielerin treten dabei nicht selten vor dem Mann und der Männin in den Hintergrund. Der Mann ist überhaupt vor den Verlockungen des Sündenapfels nie sicher, geschweige denn ein Pariser Journalist, dessen Bekanntschaften sich durch alle Schichten der bürgerlichen Gesellschaft, vom Boudoir der Soubrette bis zum Putzzimmer der Hofdame hinauf, verzweigen. Die reizende Donna Blanca mag noch so oft ein cis für ein c, ein dis für ein d singen – der Pariser Journalist, den sie mit ihrem Lächeln beglückt, macht sie in seinem Bericht zu einer Nachtigall. Tönen die Mißtöne der neronischen Heldin allzustark in’s Publicum hinein, so daß ihr Lob als Unverschämtheit erscheinen könnte, so trägt der Berichterstatter in einer andern Beziehung stark auf, hebt ihr Spiel hervor, lobt ihre Aussprache, preist ihren vollen Busen, steigt am Ende auch wohl noch tiefer hinab, indem er ihr holdes Füßchen rühmt, und siegt so trotz Allem und Allem. Und von welch’ schlagender Wirkung sind beim Pariser Journalisten nicht ein halbes Dutzend Freibillete, ihm vom Theaterdirector höchst eigenhändig adressirt! – Doch lüften wir den Schleier nicht weiter, wir könnten uns sonst am Ende noch hinter die Coulissen verlieren.

Die Concertreclame ist in Paris die erbärmlichste von allen. Eine grössere Lobhudelei kann gar nirgends vorkommen. Liest man die Pariser Musikzeitungen, so meint man, die Seinestadt müsse von musikalischen Berühmtheiten wimmeln. Dem ersten besten Tastenhämmerer, und wenn er bisher in der größten Obskurität gelebt, wird mindestens, wenn er leidlich bezahlt, das Adjectiv célèbre beigelegt. Wenn alle die Pianisten, Violinisten und Violoncellisten, Tenoristen, Bassisten und Baritonisten, die hier Concerte geben oder mit concertiren, berühmte Künstler, nur überhaupt Künstler wären, möchte ich wissen, wo die nichtberühmten stecken sollen, ja ob es überhaupt noch nichtberühmte giebt. –

Die Reclamenwuth ist unter den berühmten, d. h. allen Pariser Künstlern ordentlich grassirend; das Wort „Reklame“ macht den stolzesten Kunstjünger – und ist er der verwegensten Dandy's einer – lammsanft und aalgeschmeidig. Einem vornehmen Gönner macht der Pariser Sänger oder Pianist einen Katzenbuckel; vor dem Journalisten bückt er sich zur Erde. Geht ein solcher Allerweltskünstler gar mit dem großen Gedanken um, ein Concert geben zu wollen, dann wird der Journalist erst recht von ihm in den Himmel gehoben. Freilich ist dessen Feder ihm zur Lösung seiner Aufgabe ein mächtiger Hebel und das Zusammenbringen eines Concert-Auditoriums in Paris nicht das Werk eines Augenblicks, wie es denn des artistes célèbres genug giebt, die, nachdem sie sich drei Monate lang in Regen und Sonnenschein auf dem Pariser Straßenpflaster umhergetrieben, gleichwohl am Abende, wo ihr Concert die Welt in Staunen setzen soll, kaum ein Dutzend Menschenkinder zu ihren Zuhörern zählen.

Am einträglichsten für den Journalisten ist die Reclame der Erfindungen, da sie durchgehends von Solchen hervorgerufen wird, die das goldene Kalb anbeten und es bequem finden, gegen eine Anzahl Goldstücke ihr geistloses Haupt mit dem Nimbus zu umgeben, der irgend einem denkenden armen Teufel Jahre des Nachsinnenn gekostet. Wie viel scharfsinnige Erfinder kommen nicht aus Deutschland nach Paris und London herüber, die gezwungen sind, gegen einige hundert Franken oder Schillinge den mühsam und obscur erworbenen Ruhm auf einen reichen Explorateur zu übertragen!

Doch der geneigte Leser verzeihe, daß ich mich so lange bei Dingen aufhielt, die sich am Ende in jeder größern Stadt in Deutschland wiederholen. Als ob Paris in Hinsicht auf Reclame

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_746.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)