Seite:Die Gartenlaube (1861) 724.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Redenden etwas verblüfft an und bemerkte mit einer Verbeugung, daß ich nicht wüßte, wie ein kaiserlich königlicher Controllor zu Schärding dazu kommen solle, sich in eine solche Angelegenheit zu mischen. „Weil es Ihre Fräulein Tochter ist,“ entgegnete er, „mit welcher ich mich verbinden will. Mein Fräulein, ich bitte Sie hiermit in Gegenwart Ihrer Eltern um Ihre Hand – Mein Herr, – Madame, ich ersuche um Ihre Einwilligung.“ – Constanze stand hoch erröthend mit niedergeschlagenen Augen da; ich und Katharina sahen uns einen Augenblick verblüfft an. „Aber mein Herr,“ rief sie dann, „wir sehen Sie zum ersten Mal … „Ist das nicht auch mein Fall mit Ihnen?“ entgegnete der Oberst artig. „Und doch kenne ich Sie alle schon so gut, um Ihnen einen solchen Antrag zu machen … Sagen Sie mir vor Allem, Fräulein Constanze,“ fuhr er, zu derselben gewendet und ihre Hand er greifend, fort – „sagen Sie mir, ob Sie meinem Antrage nicht abgeneigt sind; ob Sie sich entschließen können, meine Gattin zu werden.“ Constanze, obwohl beklommen, schlug ruhig ihr großes dunkles Auge auf und heftete es fest auf den Fragenden.

„Sie haben das Aussehen eines edlen Mannes, Herr Oberst,“ sagte sie dann. „Geben Sie mir Gelegenheit, mich davon und von der Ernsthaftigkeit Ihrer Frage zu überzeugen, so werde ich keinen Grund haben, mit meiner Antwort zurückzuhalten.“

Der Oberst ergriff ihre Hand. „Das genügt mir,“ sagte er. „Ich bin nicht so thöricht, zu verlangen, daß Sie mir schon jetzt Ihr bestimmtes Jawort geben; aber ich werde Ihnen beweisen, daß mein Aussehen Sie nicht getäuscht hat, und Sie werden einwilligen.“

„Aber mein Herr,“ schaltete ich eiligst ein, um meine väterliche Autorität doch ein Bischen geltend zu machen, „Sie begreifen doch, daß man eine so wichtige Angelegenheit nicht mit einem Fuß auf dem Wagentritt abmachen kann, als wenn wir uns zu einer Spazierfahrt für ein paar Stunden verabredeten? Das ist bei uns zu Lande nicht üblich; ich müßte doch vor Allem Ihre Papiere prüfen und die gegenseitigen Bedingungen feststellen …“

„Dazu werden wir noch Zeit genug haben,“ unterbrach mich der Oberst rasch. „Verstehen Sie mich recht. Ihre Tochter hat einen raschen und tiefen Eindruck auf mich gemacht; sie ist eben so geist- und gemüthvoll als anmuthig und schön. Ich werbe um sie und werde mich von diesem Augenblicke an als verlobt betrachten – von Ihnen aber und von Constanzen verlange ich entgegen nichts, als daß Sie meinen Antrag nicht geradezu zurückweisen; nichts als die Versicherung, daß Sie über diese kostbare Hand nicht verfügen wollen, bis Sie wieder von mir gehört haben.“

Jetzt fand es Katharina für gut, sich in’s Mittel zu legen. „Nun, nun, Herr Oberst, damit hat es ohnehin keine Gefahr; Constanze wird sich so schnell nicht verheirathen. Wir Frauen haben in solchen Dingen ein bestimmtes und sicheres Gefühl; darum sage ich Ihnen, daß ich der ganzen Art Ihres Auftretens glaube. Dennoch soll ein vielleicht doch flüchtiger Augenblick weder Sie binden, noch bei meinem Kinde Hoffnungen oder Wünsche erwecken, deren Erfüllung so ungewiß ist. Wir sagen daher auf Ihre freundliche Werbung nicht Nein, aber auch nicht Ja. In Jahresfrist werden Sie Zeit genug haben, sich das Ja zu holen, wenn Sie es dann noch zu erhalten wünschen …“

Der Oberst verbeugte sich und küßte galant Katharinens Hand. „Ich begehre nichts Besseres,“ sagt er, „Sie werden sehen, wie bald ich wiederkomme.“ Er wollte noch mehr sagen, aber erneuter Posthornruf unterbrach ihn. „Ich muß fort,“ rief er, indem eine düstere Wolke über seine Züge lief. „Ihre Hand, Constanze! Lassen Sie mich in Ihrem Auge lesen, mit welch’ schönen Hoffnungen ich von Ihnen gehe. Leben Sie wohl! ich preise die Schickung, die mich hieher geführt, denn ich nehme ein volles Herz, eine beglückende Erinnerung mit.“ Ihre Hand festhaltend, sah er ihr einen Augenblick tief und innig in’s Gesicht; der Ausdruck desselben war edel und, von einer wehmüthigen Regung erweicht, doppelt schön. Ich selbst konnte mich einer unwillkürlichen Rührung nicht erwehren, als ich die stattliche Gestalt in voller Manneskraft und Schönheit betrachtete und die tiefe Empfindung gewahrte, die der starke Mann kaum niederzukämpfen vermochte. „Gedenken Sie meiner, Constanze,“ rief er dann rasch, indem er ihre Hand an die Lippen führte, und mit einem flüchtigen „Leben Sie wohl“ für Katharina und mich war er aus dem Saale. Noch eh’ wir Zeit gefunden, uns über das ungewöhnliche Erlebnis; eine Bemerkung zu machen, hörten wir von der Straße herauf den Wagen fortrasseln und das Posthorn, immer schwächer werdend, in der Ferne verklingen. – Damit war wieder alles Außerordentliche aus unserem Leben verschwunden, und die Tage vergingen in gewohnter Gleichmäßigkeit und behaglicher Zufriedenheit. Des Vorgefallenen ward nicht erwähnt; ich und Katharina unterließen es, weil wir am Tage und bei ruhiger Ueberlegung uns überzeugt hielten, daß das Ganze nicht mehr war, als eine schöne, augenblickliche Aufwallung. Constanze schwieg ebenfalls; sie war dieselbe in der liebevollen, gewinnenden Anmuth ihres Umgangs und Betragens; nur war ihr ganzes Wesen entschiedener und jungfräulicher, sie hatte vollständig aufgehört, ein Kind zu sein.

So ging der Winter vorbei, der März neigte sich bereits zu Ende, und die Kriegsgerüchte, die uns schon früher geängstigt hatten, kamen drohender wieder, wie Gewitterwolken, die man schon vorübergezogen glaubt, mit einer Wendung des Windes plötzlich und schwärzer als zuvor wiederkommen. Regimenter über Regimenter drängten sich heran und blieben nach allen Richtungen hin im Innviertel stehen, überall nur wenige Stunden von der bayrischen Grenze. Die Quartiermacher und Marschcommissäre gaben einander die Thüre der Amtsstube in die Hand, und wir kamen gar nicht zu Athem vor lauter Arbeit. Es war bei Allen ausgemacht, daß der Krieg wieder beginne und daß es diesmal einen Kampf auf Leben und Tod mit dem gewaltigen Franzosenkaiser gelte, der insgeheim die Vernichtung und Zerstückelung Oesterreichs beschlossen hatte. Darum war Alles getroster als sonst, denn man fürchtete nicht, daß die schlimme Zeit von 1805 sich wiederholen werde, sondern hoffte, daß dieser Krieg der letzte sein und den so hart entbehrten Frieden für immer bringen werde.

Eines Morgens war schon sehr früh Alles in dem kleinen Schärding auf den Beinen. Ueberall standen die Leute in Gruppen vor den Häusern beisammen, und wer fort konnte, eilte der Rathhausgasse zu und suchte in der Nähe des Brauhauses zum Stöger Posto zu fassen. Dahin sah man auch hie und da in größter Eile die eine oder andere schwarze Gestalt mit stattlichem Schiffhut und im Rathsherrnmantel lossteuern. Dort stand auch ich mit dem Landrichter und allem Amtspersonal, denn Kaiser Franz war in die Stadt gekommen und beim Stögerbräuer abgestiegen. Schon standen wir Beamten an der Thüre, um zur Audienz vorgelassen zu werden, als uns der Kammerdiener die Thüre wieder vor der Nase zuschlug und eilig auf ein paar Männer zutrat, die erst nach uns in’s Vorzimmer gekommen waren. Es waren zwei Landleute in Tyrolertracht. Der Eine war ein starker, breitschultriger Mann im kurzen, braunen Lodenrock, über der kurzen Lederhose den breiten, mit weißen Pfaufederstiften gezierten Gürtel. Er hatte ein ernsthaftes und doch freundliches Gesicht und trug einen breiten, schwarzen Bart, der bis auf die halbe Brust herabfiel. Der zweite war jünger, eine hochaufgewachsene, schlanke Gestalt im langen, grünen Rock und gleicher Weste. Der Kammerdiener flüsterte nur ein paar Worte mit den Beiden, dann führte er sie mitten durch uns hindurch und, ohne sie erst anzumelden, zum Kaiser hinein.

„Geben Sie Acht, Herr Controlor,“ raunte mir der Bierbrauer Waninger zu, der als Rathsherr hinter mir stand, „das hat etwas zu bedeuten. Den Einen von den Tyrolern kenn’ ich recht gut vom Sehen; ich bin ja öfter hineingereist, um Wein einzukaufen. Der Kleine mit dem Barte, das ist der Sandwirth Hofer aus dem Passeyerthal, und auch der Andere kommt mir bekannt vor. Er hat die Unterinnthaler-Tracht, so wie man sie um Rinn herum trägt, und ich werde mich nicht beirren, das Gesicht schaut in die Speckbacher-Familie hinein. Was die nur beim Kaiser wollen!“

Das war nun wohl nicht zu errathen, aber daß sie nichts Unangenehmes gebracht hatten, das sah man klar, als sie wieder herauskamen, und mit vergnügten und entschlossenen Gesichtern an uns vorbeischritten, denn da trug Jeder von ihnen eine schwere goldene Ehrenkette mit einer Denkmünze über der Brust. Wenige Tage darnach kam die Nachricht, daß die Tyroler aufgestanden waren, um wieder von Baiern loszukommen und mit dem alten Kaiserreiche vereinigt zu werden. Es hat mich meine Lebtage gefreut, daß ich die beiden Männer gesehen habe, und besonders gefiel es mir von Hofer, als ich sein schmähliches, aber mannhaftes Ende auf den Wällen von Mantua erfuhr, daß er den Kugeln der Franzosen so aufrecht entgegen getreten war, als ich ihn aus dem Audienzzimmer des Kaisers hatte kommen und den Weg zu dem blutigen Ende beginnen sehen.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_724.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)