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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

hatte. Ferner mußte er täglich ein Verzeichniß sämmtlicher Personen einreichen, welche die Apotheke besuchten, und zwar nicht nur ein Verzeichniß solcher Personen, welche ihm selbst Besuche abstatteten, sondern auch derjenigen, welche Apothekerwaaren kauften. Der Apotheke gegenüber wohnte ein Buchbinder, der zu seinem Aufseher bestellt wurde und den Auftrag hatte, den Besuch in der Apotheke zu controlliren. Wehe dem Apotheker, wenn auf der Liste des Buchbinders ein Name figurirte, der nicht auf den Listen Karberg’s verzeichnet war! Neue, immer höhere Geldstrafen mahnten ihn zu einer strengern Aufmerksamkeit. Diese geistreichen Specialitäten des Precetto habe ich weder in Venetien, noch in Rom, noch in Modena entdecken können. Die Polizeibeamten des Papstes könnten wirklich in Schleswig erfolgreiche Studien machen.

So ging es viele Monate. Mancher wurde der täglichen Plackereien und Geldstrafen müde und verließ das Land. Karberg war aber ein konsequenter und energischer Mann. Er blieb. Mit unerschütterlicher Ruhe reichte er alle Tage seine Verzeichnisse ein, erschien täglich zur bestimmten Minute auf der Polizei, und bezahlte Brüche über Brüche. Den Dänen dauerte die Sache zu lange. Man mußte andere Mittel ersinnen, um Karberg los zu werden.

Eines Tages erschien in der Apotheke ein junger Mann, der sich für einen Candidaten der Pharmacie ausgab und sich Worsaal nannte. Er fragte Karberg, ob er nicht geneigt sei, seine Apotheke zu verkaufen. Karberg schien eine Ahnung seiner schrecklichen Zukunft zu haben. Er sagte Ja, führte den Käufer in der Apotheke umher, zeigte ihm die Waarenvorräthe, legte ihm die Bücher vor und bestimmte dann seinen Preis. Aber kaufen wollte der Mann die Apotheke nicht. Er wollte sie umsonst haben. Der Mann war ein Vetter des dänischen Amtmanns in Apenrade, des Kammerherrn und Ritters vom Danebrog, Heltzer. In die Apotheke Karberg’s kam er nicht wieder. Er kaufte sich in Apenrade ein Haus, und als er das Haus hatte, da richtete er sich dort eine Apotheke ein. Als Karberg eines Tages aufstand und auf die Polizei gehen wollte, um seine Listen einzureichen und seine Anwesenheit in der Stadt zu constatiren, erblickte er zu seinem nicht geringen Erstaunen eine neue Apotheke. Die Sache war mit großer Schnelligkeit und Heimlichkeit betrieben worden. Das Haus, worin die Apotheke über Nacht hergerichtet wurde, war einer sehr achtbaren Frau unter dem Verwande, man wolle in demselben eine Bierbrauerei anlegen, abgekauft worden. Zur Anlegung einer Apotheke hätte sie es niemals hergegeben. Das Realprivilegium hatte der neue Apotheker schon in der Tasche, als er Karberg’s Apotheke besah. Er hatte es aus Kopenhagen mitgebracht. Karberg hatte freilich das Realprivilegium seiner Apotheke mit 30,000 Thaler bezahlt, und am 23. Januar 1846 war dies Privilegium von König Christian VIII. auf ihn extendirt worden. Indeß auf solche Kleinigkeiten kommt es in Schleswig gar nicht an. Der Baron Hobe von Gelting wird seit mehreren Jahren von Seiten der Dänen angegangen, ihnen seine Baronie zu verkaufen. Wenn er dann sagt, sein Grundbesitz sei Fideicommiß, und er sei schon deshalb gar nicht berechtigt, denselben zu verkaufen, so giebt man ihm lachend die Antwort, darin liege gar keine Schwierigkeit, die Fideicommißangelegenheit würde man ihm sehr leicht in Ordnung bringen. So bot der Umstand, daß Karberg bereits im Besitz eines Realprivilegiums war, gar keine Schwierigkeiten.

Karberg reichte nun einen Protest bei dem Sanitätscollegium in Kiel ein, er wandte sich im Beschwerdewege an die Polizeibehörde, an die oberste Medicinalbehörde, an das Ministerium in Kopenhagen, er berief sich auf sein Privilegium – er bekam entweder eine abweisende, oder gar keine Antwort. Seine Apotheke war durch die Anlegung einer neuen Apotheke auf die Hälfte ihres frühern Werthes gesunken. Der jetzige Werth erreichte nicht mehr die Höhe der auf das Grundstück eingetragenen Hypothekenschulden. Karberg war bereits ein armer Mann geworden.

Aber der Amtmann und sein Vetter und das Ministerium in Kopenhagen hatten dennoch die Rechnung ohne den Wirth gemacht, wie man zu sagen pflegt. Zu einer Apotheke gehören Kunden, welche Recepte machen lassen und Waaren kaufen. In der neuen Apotheke war und blieb es still und leer. Kein Recept wurde bestellt, nicht das Mindeste gekauft. Die Deutschen in Schleswig sind groß im zähen, passiven Widerstande, wenn ihnen auch die Initiative in der Handlung abgeht. Da gab der Amtmann den dänischen Beamten, der städtischen Armencasse, der Verwaltung des Krankenhauses und der Gefängnißdirection auf, von nun an ihre Apothekerwaaren nur von dem neuen Apotheker, seinem Vetter, zu beziehen. Der neue Apotheker mußte aber auch verdienen. Karberg hatte der Armencasse, dem Krankenhause und der Gesängnißverwaltung immer einen Rabatt von 25 Procent bewilligt. Der Amtmann befahl, von diesem Rabatt jetzt abzustehen. Die Anstalten wurden freilich aus dem städtischen Vermögen verwaltet, und die Stadt büßte den Rabatt ein. Aber darauf kommt es in Schleswig wieder nicht an. Von den Beamten, aus der Armencasse und von den Kranken in den Gefängnissen konnte indeß die neue Apotheke nicht allein bestehen. Der Amtmann war um neue Mittel nicht verlegen. Wo wäre das jemals bei einem dänischen Beamten in Schleswig der Fall? Der Amtmann berief die zwölf Kirchspielvögte des Amtes zu sich. Er stellte ihnen vor, daß der Regierung Alles daran gelegen sei, daß die neue Apotheke reussire. Die Regierung befehle Jedem von ihnen durch seinen Mund, und zwar bei Strafe der höchsten Ungnade, durch alle möglichen Mittel dahin zu wirken, daß die Bauern und Hofbesitzer bei dem neuen Apotheker ihre Recepte machen ließen. – Aber die Kirchspielvögte waren brave und charakterfeste Männer. Sie erklärten dem dänischen Amtmann, Kammerherrn und Danebrogsritter, daß sie sich zu solchen Dingen nicht hergeben würden, daß sie sich den Teufel um die Gnade oder Ungnade der Regierung bekümmerten, und daß der Apotheker Karberg ein vortrefflicher Apotheker und ein hochgeachteter Mann sei. Nur Einer von den Zwölfen war der Ischarioth; er ging auf den Befehl des Amtmanns ein. Ich nenne deshalb seinen seit dieser Zeit in der ganzen Umgegend von Apenrade nicht mit Freude genannten Namen. Es war der Kirchspielvogt Reuter – ein Deutscher.

Aber trotz alledem blieb es in der neuen Apotheke still und leer. Alle Anstrengungen des Kirchspielvogts Reuter waren vergebens. Keiner von den in seinem Kirchspiel wohnenden Hofbesitzern und Bauern kaufte auch nur für einen Bankschilling in der neuen dänischen Apotheke. Es mußten andere Mittel in Bewegung gesetzt werden, um den Widerstand zu brechen und dem verhaßten Karberg das Handwerk zu legen – das sah der Amtmann von Apenrade, das sah das Ministerium in Kopenhagen ein.

Es wurde nun ein eigenes Sanitätscollegium für Apenrade errichtet, und der neue dänische Apotheker wurde zum Mitgliede desselben ernannt. So wurde Worsaal der Vorgesetzte Karberg’s, wurde Mitvisitator der Landesapotheken und konnte in dieser Eigenschaft bei Tag und bei Nacht in Karberg’s Apotheke kommen und dieselbe visitiren und inspiciren. Dies geschah auch. Bei jeder Gelegenheit wurde Karberg’s Apotheke auf’s Genaueste visitirt. Indeß auch mit den Visitationen kam man nicht weiter. Die Ordnung in Karberg’s Apotheke war so musterhaft, daß selbst der neue Apotheker keinen Makel entdecken konnte. Da verfiel man auf ein neues und wirklich teuflisches Mittel. Karberg erhielt unter Androhung einer schweren Geldstrafe den polizeilichen Befehl, seine beiden deutschen Gehülfen abzuschaffen und zwei Dänen zu engagiren, angeblich, weil die deutschen Gehülfen sich mit dem dänisch redenden Theil des Publicums nicht verständigen könnten. Die Absicht, welche diesem Polizeibefehl zu Grunde lag, war natürlich eine ganz andere. Man wollte gewaltsam Versehen provociren, Karberg dann schwerere Brüche auferlegen und auf Grund der Versehen die Apotheke schließen. Karberg wurde wirklich gezwungen, einen seiner guten deutschen Gehülfen zu entlassen und den Dänen zu engagiren, den ihm die Polizei vorschlug. Aber er merkte die Absicht der Polizei; er paßte genau auf. Der Däne war nicht im Stande, Versehen zu provociren, weil der deutsche Gehülfe und Karberg selbst ihn keine Minute in der Apotheke allein ließen. Aber der Däne hatte noch eine zweite Rolle in der Apotheke übernommen, die Rolle des Spions. Karberg hatte immer die Gewohnheit gehabt, mit seinen Gehülfen gemeinschaftlich zu Mittag zu speisen – er konnte den dänischen Gehülfen von dem gemeinschaftlichen Mittagsessen nicht ausschließen. Der Däne rapportirte nun jedes Wort, was bei Tisch gesprochen wurde. Als Karberg die zweite Rolle seines neuen Gehülfen durchschaute, warf er ihn aus dem Hause.

Man sah, auch so kam man nicht zum Ziele. Alle kleinen Mittel und Quälereien halfen nicht; es mußte zu andern Maßregeln geschritten werden. Andere Federn, andere Personen wurden in dem Karbergschen Drama in Bewegung gesetzt. Es ist das immer so in Schleswig.

Am 17. Februar 1855 erhielt Karberg ein Rescript des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_713.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)