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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

denn es lag ja die Sprache des Herzens bei Allen zu Grunde. Das war eine prächtige Völkerwanderung an jenen Abenden in der Festhalle, und Keiner wird diese begeisternden Stunden vergessen, so lange noch ein Herzschlag in ihm wohnt.

Lange nach Mitternacht brachen wir auf, allem der prachtvolle, tageshelle Mondschein ließ noch Keinen an die Nacht glauben, und überall bildeten sich wieder neue Gruppen von Sängern oder Zechern, die sich erst trennten, als die Morgendämmerung das Mondlicht verscheucht hatte. Kein Wunder also, daß dem am Montage (den 22. Juli) 6 Uhr Morgens ertönenden Sängerrufe nicht so rasch, Folge geleistet ward. Der Schlaf forderte seine Rechte, und da die Probe in der Festhalle heute überdies erst um 8 Uhr begann, so konnte sich der Müde wohl noch ein Stündchen süßen Schlafes gönnen. Zur Mittagsstunde aber durchwogte ein Leben die Stadt, wie noch an keinem Tage zuvor. Mit ihren Fahnen, Emblemen und Schildern strömten die Sänger dem Kornmarkte zu, um sich hier zu dem großen Festzuge aufzustellen. Ich war einige Zeit zweifelhaft, welche Partei ich ergreifen sollte. Um meiner Referentenpflicht recht zu genügen, hätte ich mir einen Platz an irgend einem Fenster sichern müssen, um den ganzen Zug dort vorübergehen zu sehen: allein die Sängerpflicht, selbst mit im Zuge zu erscheinen, gewann endlich die Oberhand, und ich hätte es bitter bereut, wenn ich der letzteren nicht treu geblieben wäre, denn der Eindruck, den ich so von allen durchzogenen Straßen empfing, wird mir ewig unvergeßlich bleiben.

Die fröhlichen Sängermienen wurden anfangs etwas bedenklich, als sich am Himmel einige schwere Gewitterwolken aufthürmten, allein nach einem ganz kurzen, wohlthätigen Regenschauer heiterte sich der Himmel und mit ihm die Blicke Aller wieder auf, und prachtvoll, wenn auch um einige Grade zu heiß, strahlte bald auf’s Neue die Julisonne über uns. Die Ordnung des Zuges war so getroffen, daß die Vereine genau nach alphabetischer Reihe ihrer Heimathstädte auf einander folgten. Festlich geschmückte Bürger begleiteten jede einzelne Abtheilung und stellten im Verein mit den Turnern aus Nürnberg und dessen Umgegend jede erforderliche Ordnung leicht her. Dem Zuge voran ward das gestern enthüllte Festbanner Nürnbergs getragen, welches aus der einen Seite die Germania, auf der andern den bekannten Festspruch in kostbarer Stickerei zeigte. Sechs starke Musikchöre waren im Zuge vertheilt, doch waren bei der Länge des letzteren kaum zwei zu gleicher Zeit zu hören. Die Schilder, welche mit den Fahnen jeder Abtheilung vorausgetragen wurden, ließen die Heimath der vorbeiziehenden Sänger sofort erkennen. Ueber 260 Vereine mit mehr als 6000 Sängern waren in dem Zuge, der 240 meist herrliche Fahnen aufzuweisen hatte.

Wo aber wäre Jemand im Stande, den brausenden Jubel zu schildern, der in allen Straßen, auf allen Plätzen den Zug empfing und begleitete! Wir wandelten förmlich unter einem fortwährenden Regen von Blumen und Sträußen, welche aus allen Fenstern und von der Straße von zarten Händen uns zugeworfen wurden. Sängergrüße, Fahnenschwenken und Lebehochs als Entgegnung fanden ebenfalls kein Ende, und feuriger Dank wurde besonders den nur allzuoft wahrhaft schönen Blumenspenderinnen zugejubelt. Bei ihrer großen Freigebigkeit und bei der Länge des Zuges geriethen hier und da bald einige der Damen in Verlegenheit, da ihr Blumenvorrath erschöpft war; allein ein begeistertes Frauenherz weiß rascher Hülfe zu schaffen als der bedächtigere Mann. Waren die Sträuße zu Ende, so wurden unbarmherzig die Zierpflanzen in den Töpfen am Fenster geplündert, deren eine enorme Anzahl an jenem Tage auch ihr letztes Blatt noch hergeben mußten; dann ergriff man die Kränze und Guirlanden, die als Festschmuck das Fenster zierten und warf sie auf die Sänger herab, die jauchzend die Hände danach emporstreckten. Ich habe mehrere Damen bemerkt, welche zuletzt, als aller Vorrath erschöpft war, noch die künstlichen Blumen ihres Haarschmuckes oder ihrer Hüte opferten, um nur nicht mit leeren Händen für die dargebrachten Vivats zu danken.

Unwillkürlich drängte sich wohl Jedem die Frage auf, wodurch wir zum Gegenstand so vieler Güte und Aufmerksamkeit werden mochten. Egoistisch wäre es gewesen, hätten wir unsere Gesangesleistungen als Ursache all dieser Huldigungen ansehen wollen. Aber nein, der mächtigen Triebfeder des Ganzen, dem nationalen Gedanken, der hier angestrebten mit gelungenen Vereinigung aller deutschen Volksstämme galt der Jubel und die großartige Begeisterung, die sich bei jenem Zuge überall kund gab und welche manchem Auge Thränen der Rührung und Freude entlockte. Die Einheitsidee war endlich hier einmal keine Theorie mehr, und das Herz quoll über voll Seligkeit und Hoffnung, wenn man auf alle die Tausende sah, die sich dieser Einheit und ihrer Segnungen wahrhaft bewußt waren. Nach allen Theilen des Vaterlandes hin haben sich jene Eindrücke hoffentlich schon übersiedelt, denn da war kein deutscher Gau, der nicht in dem Zuge vertreten gewesen wäre. Allen aber wurde mit gleicher Liebe begegnet, und das eben gab dem Feste die unaussprechliche Weihe. Solch einen Zug hat wohl noch keine Zeit und keine Stadt gesehen, denn sein größter Glanz war die gleichmäßige Begeisterung der Theilnehmer und des Publikums.

Gegen zwei Stunden nahm dieser Zug in Anspruch, doch waren uns dieselben im unaufhörlichen Strudel der Freude und Rührung wie Minuten erschienen. Erst als wir die Festhalle wieder betraten, vermochten wir uns einigermaßen zu erholen und zu sammeln. Um 4 Uhr begann die zweite Hauptaufführung, in welcher zum Vortrag kamen: Hymnus, von B. E. Becker'; Unser Hort, von J. Grobe; Frühlingsgruß an das Vaterland, von B. Lachner; der deutsche Landsturm, von Kücken; Hymnus, von H. Neeb; Schlachtgebet von Möhring; Ermanne Dich, Deutschland! von A. M. Storch, und zum Schluß: Danklied, von Kalliwoda. Auch diese Aufführung ging trefflich von Statten. Nach Schluß derselben ließ sich freilich eine ziemliche Abspannung der Stimmen bemerken. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel seit Sonnabend gesungen worden war. Die Einzelvorträge wurden auch an diesem Abend wieder in der Festhalle fortgesetzt, allein für Viele war die Hitze nach den heutigen Anstrengungen doch in der überfüllten Halle unerträglich, und diese suchten Erquickung in der durch einen kurzen Regenschauer wunderbar erfrischten Natur. Der Gipfelpunkt des Festes war jetzt erreicht. Der Theil des Gesammtgesanges konnte eigentlich mit heute als abgeschlossen angesehen werden, denn nur eine ländliche Nachfeier stand uns noch bevor.

Am Morgen des Dienstag (23. Juli) ging die Sängerwallfahrt, zumeist in Begleitung ihrer lieben Wirthsleute, hinaus nach dem etwa 3/4 Stunde entlegenen Walde am Duzendteiche, einem Lieblingsorte der Nürnberger, der diesen Vorzug seiner reizenden Lage wegen auch vollkommen verdient. Hier waren Tische und Bänke errichtet und die zurechtweisenden Tafeln wieder dabei aufgepflanzt; allein ein schattiges Lager auf weichem Moos im Walde hatte hier für die Meisten noch mehr Anziehungskraft, und so entstanden Hunderte solcher Niederlassungen. Da wurde in der herrlichen Natur noch manche herzliche Verbrüderung geschlossen, und gerade diejenigen Sänger, deren Heimath weite Länderstrecken trennten, fühlten sich hier am mächtigsten zu einander gezogen.

Je näher aber die Nachmittagsstunde rückte, desto stiller wurden die fröhlichen Kreise, denn Jedermann fühlte, wie das herrliche Beisammensein immer mehr zur Neige gehe. Auf dem Rathhaussaale war am Nachmittage noch eine Versammlung der sämmtlichen Vereinsvorstände, wobei neben andern Angelegenheiten auch die Feier des nächsten großen deutschen Gesangfestes besprochen wurde. Man hielt es für erforderlich, eine Pause von fünf Jahren bis dahin eintreten zu lassen, um dann wieder etwas wahrhaft Großartiges schaffen zu können. Frankfurt am Main ward vorläufig als nächster Festplatz bestimmt und diese Wahl mit allgemeinem Beifall begrüßt. Nach den in Nürnberg verlebten Sängertagen hat gewiß jede andere Stadt einen sehr schweren Stand, doch darf man überzeugt sein, daß Frankfurt seine schöne Aufgabe würdig lösen wird. Die Herren in der Eschenheimer Gasse werden sich hoffentlich bis dahin wohl auch an die in Nürnberg so sehr gefeierten deutschen Nationalfarben gewöhnt haben.

Unsere Reihen hatten sich schon bedeutend gelichtet, als wir am Dienstag Abend zum letzten Male die Festhalle betraten. Ein wehmüthiges Gefühl beschlich Jeden, wenn er bedachte, wie er nun so bald von diesen herrlichen Räumen Abschied nehmen sollte. Noch einige allgemeine Lieder wurden angestimmt, und hierauf dankte der Vorstandsausschuß durch Dr. Gerster den aus allen Gauen herbeigeeilten Sängern für die rege Theilnahme am Feste, welches aus einem Sängerfest eigentlich ein Volksbundestag geworden sei. Höchst bezeichnend war es, als hierauf zugleich zwei Sänger, einer aus Innsbruck und der andere aus Berlin, die Tribüne bestiegen und so gemeinschaftlich den herzlichen Dank des Südens und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_591.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)