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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sich verschiedene Vorträge einzelner Vereine, von denen das Doppelquartett der Königsberger Sänger ganz besonders ansprach. Wie gut auch in akustischer Beziehung die kolossale Halle gebaut sei, das konnte man vollständig beurtheilen, wenn man die Klangwirkung der oft nur von wenigen Sängern vorgetragenen einzelnen Lieder verfolgte.

In den Pausen zwischen den Gesängen gab es oft genug von Seiten des Vorstandes erfreuliche Mittheilungen zu machen; da waren telegraphische Grüße aus Rußland, Belgien und aus vielen deutschen Städten eingetroffen. Von den in Bern lebenden Deutschen langte an jenem Abend ein prachtvoller silberner Pokal an, mit der Bestimmung, daß derselbe bei diesem Feste erwachenden Nationalsinnes dem sich durch die beste Leistung auszeichnenden Vereine als Preis zuerkannt werden sollte. Alle diese Meldungen wurden mit Jubel und mit Dank aufgenommen.

Für diesen Abend der Vorfeier stand blos ein einziger Gesammtvortrag aller Vereine auf dem Programm und zwar ein in jeder Beziehung würdevoller. Gegen Mitternacht traten alle Sänger zusammen und stimmten mit wahrer Begeisterung Arndt’s Vaterlandslied an. Was ist des Deutschen Vaterland? Wie brausten diese Fragen, von den gewaltigen Tonmassen gehoben, hin durch den großartigen Raum, und wie zündete jedes Wort in den Herzen aller Anwesenden! Da strahlte jedes Auge höher im Bewußtsein der hier herrschenden Einheit, die dem ganzen Vaterlande hätte als würdiges Vorbild dienen können. Und als man endlich zu der Strophe kam: das ganze Deutschland soll es sein! – da stimmten auch Tausende und aber Tausende im Publicum mit ein, und in diesem erhebenden Augenblicke schöpften wohl auch diejenigen unsrer deutschen Brüder, über deren Heimath die dunkeln Wolken sich noch immer nicht zertheilen wollen, Muth und Hoffnung für eine bessere Zukunft, die um so näher erscheint, je fester und treuer Alle zusammenhalten. – Der Beifallssturm, der nach dem Arndt’schen Liede losbrach, ließ nicht früher nach, bis endlich die letzten tiefergreifenden Strophen wiederholt wurden. Möge der Nachklang dieses Liedes als ein heiliges Vermächtniß von jedem Sänger mit in die Heimath gezogen sein!

Mit diesem Liede war die Vorfeier zu Ende. Es war ein schöner Tag, den wir heute durchlebt, und er erfüllte uns mit froher Zuversicht auf die übrigen Festtage.


(Schluß folgt.)




Amerikanische Zustände.

Von Otto Ruppius.
Nr. 1.

Die letzten Ereignisse in den Vereinigten Staaten, der Conflict zwischen Süd und Nord, die Niederlage der nördlichen Armee in der Schlacht bei „Bulls Run“, die Flucht der nördlichen Freiwilligen, eine Flucht, wie sie die Kriegsgeschichte in dieser Sonderbarkeit noch nicht aufzuweisen hat, sind in Aller Munde; trotz aller bereits bekannten Specialitäten aber steht der deutsche Beobachter noch vor den Begebenheiten, ohne sich dieselben in ihrer Eigenthümlichkeit ganz erklären zu können, ohne einen rechten Maßstab für ihre Tragweite zu finden, und auch nur Derjenige, welcher tief in die Geheimnisse der amerikanischen Zustände eingedrungen, wird zu einer richtigen Erkenntniß von Ursache und Wirkung, zu einem klaren Urtheile über Gegenwart und Zukunft gelangen können. Dabei aber sind die öffentlichen amerikanischen Verhältnisse nicht allein von staatlichen, sondern auch von so hohem allgemein menschlichem Interesse, daß ein tiefes Eingehen in dieselben seitens eines deutschen Blattes um so mehr zu einer Nothwendigkeit wird, als die amerikanischen Zeitungen bei der augenblicklichen kritischen Lage der Dinge sich schwerlich herbei lassen werden, die bewegenden Ursachen bei ihrem rechten Namen zu nennen.

Die Geschichte lehrt uns, daß, je freier die Staats-Einrichtungen waren und je unbeschränkter die einzelne Persönlichkeit sich darin zu entwickeln vermochte, auch die schlimmen menschlichen Anlagen innerhalb der Staatsgesellschaft zu einer Entwickelung gelangten, welche endlich den Segen ungehemmter Freiheit in einer Weise paralysirte, die das fernere Bestehen des bisherigen Staats zu einer Unmöglichkeit machte. Die alten Republiken gingen meist an innerer, naturgemäß hervorgerufener Fäulniß zu Grunde, gerade wenn sie äußerlich in der höchsten Blüthe zu stehen schienen. – Dieselben Verhältnisse wie dort, oft wahrhaft frappirende Spiegelbilder, bestehen jetzt in den Vereinigten Staaten, dennoch aber suchen die Wenigsten die Ursachen der letzten amerikanischen Ereignisse in diesen Zuständen, und doch ist es so wahr, daß es dem geöffneten Auge wie ein Gorgonenhaupt entgegenstarrt: die Vereinigten Staaten sind politisch so durch und durch verfault, daß eben nur eine entstehende innere Schwierigkeit, wie die jetzige, nothwendig war, um den äußerlich glänzenden Bau auseinander bersten zu lassen und selbst für die kräftigste Hand, für den klügsten Kopf eine Wiederherstellung früherer Verhältnisse unmöglich zu machen. – Die Schlacht bei „Bulls Run“, in welcher für den Eingeweihten zum ersten Male in der crassesten Weise die Natur der innern Zustände zu Tage trat, ist der Anfang zum Ende der Union und wohl auch der Republik,[1] – das ist keine Prophezeiung, sondern ein einfach aus den bestehenden Verhältnissen sich entwickelnder logischer Schluß, und der Leser mag ihn aus den Thatsachen, wie sie zum klaren Verständnis hier folgen werden, sich selbst ziehen.

Die amerikanische Republik ist auf die breiteste Basis freier Selbstregierung gegründet. – Die sämmtlichen Beamten der einzelnen Staaten und Communen, wie die Mitglieder der gesetzgebenden Körper werden in directer Wahl vom Volke ernannt, und nur die Unions-Aemter, wozu vor Allem die Minister-, auswärtigen Gesandten- und Consulatstellen mit ihren Nebenämtern, die Post- und Zollämter gehören, sind dem Präsidenten zur Besetzung überlassen, welcher damit die thätigsten Mitglieder der Partei, welche ihn erwählt hat, belohnt.

Sich um eines der ersteren, durch Volkswahl zu besetzenden Aemter zu bewerben, oder dafür zu „laufen“, wie der technische Ausdruck ist, gehört aber zu den kostspieligsten Dingen. Die Wähler müssen bearbeitet und für diesen Zweck einflußreiche Männer angeworben und bezahlt werden; hartnäckige Opponenten sind, wiederum durch Geldvergütung, aus dem Wege zu schaffen; je bedeutender das mögliche Einkommen oder der Einfluß durch ein Amt ist, je höher steigen die Kosten, und mancher unglückliche, noch nicht mit allen Schleichwegen zur Erlangung von Stimmen bekannte Candidat ruiniert sich finanziell durch den Wettlauf nach einem wünschenswerthen Posten für sein ganzes Leben.

Dieses aufgewandte, oft nur geliehene Geld, was in den meisten Fällen in gar keinem Verhältniß zu dem zu erwartenden gesetzlichen Einkommen steht, muß nun von dem glücklichen Sieger vor allen Dingen aus dem erlangten Amte wieder herausgearbeitet werden; ein unschuldiger Deutscher, welcher die Höhe der Einkünfte kännte, würde freilich nicht begreifen, wie das möglich sei. Die gesetzlichen Einkünfte aber sind eben nur das Geringste bei einem Amte, und was durch „pickings and stealings“, in ehrlichem Deutsch: durch angenommene Bestechungsgelder, unredliche Profitmacherei und offenen Diebstahl, herausgeschlagen werden kann, ist die Hauptsache. Der Terminus „Pickings and stealings“ ist ein in der politischen Sprechweise Amerikas völlig eingebürgerter technischer Ausdruck, und der Begriff hat seine Berechtigung in einer Weise erlangt, daß das Einkommen eines Amtes fast durchgängig nicht mehr nach den gesetzlichen Emolumenten, sondern nach der Möglichkeit des unredlich zu erwerbenden Geldes berechnet wird. Einige Fälle aus der gewöhnlichsten Praxis zur Erklärung.

Dem Assessor einer kleinen Stadt, d. h. dem Beamten, welcher


  1. Herr O. Ruppius ist soeben erst aus Amerika nach der Heimath zurückgekehrt. Er kennt Amerika und seine Zustände genau, und wir dürfen interessante Mittheilungen aus seiner Feder erwarten, trotz alledem möchten wir doch unsere Zweifel über die Richtigkeit seiner Schlußfolgerungen aussprechen. Ein politisches Institut wie die Union und die nordamerikanische Republik stürzt nicht über Nacht zusammen, so wenig wie Preußen und Oesterreich durch zeitweilige Corruption zu Schanden gegangen. Wo neben dem Faulen soviel Gesundes und Kräftiges in die Höhe strebt, kann von Untergang nicht die Rede sein.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_574.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)