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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

inne hatte, das Arbeitszimmer und das Wohnzimmer des Dichters zum Nachtheil des größeren Theiles absonderte und der Wittwe überließ, welche noch durch fünfundzwanzig Jahre diese Räume bewohnte. Der Verfasser erinnert sich heute noch des Gefühles der bangen Ehrfurcht, mit welcher er als achtzehnjähriger Mensch diese Räume betrat. Eine kleine Frau, gekleidet in ein graues, dichtes Wollengewand, empfing ihn. Die Gestalt war etwas gebeugt, aber von feinem Anstand und edler Würde gehalten. Der Kopf in der Umrahmung der sehr dichten Garnirung einer fast altmodischen Haube, war der Ausdruck geistiger Frische und herzlicher Güte. Die Wangen behielten merkwürdiger Weise bis in das höchste Alter einen rosigen Anflug, und dieses große, klare, glänzend braune Auge war der thatsächliche Beleg für ihren Ausspruch: „Ich bin der Meinung, daß, je älter, desto glühender man wird.“

Die ganze Einrichtung der Wohnung war einfach und schmucklos und erinnerte an frühere Zeiten. An einer Wand hing in braunpolirtem Rahmen eine größere Zeichnung des verstorbenen Sohnes, dieser gegenüber ein Pastellbild Jean Paul’s aus dessen späteren Jahren, gemalt von Kreul in Nürnberg, und darunter ein Medaillonbild des Obertribunalrathes Meyer. An dieser Wand stand auch das altmodische, mit braunem Wollzeug bezogene Sopha, auf dem der Dichter seinen letzten Athemzug ausgehaucht hatte. Das daneben liegende Arbeitszimmer Jean Paul’s, in dessen Heiligthum einst nur die geistreiche Herzogin von Kurland einzudringen so glücklich war, hatte sich für den Verfasser nur einmal, und zwar bei einer festlichen Gelegenheit, geöffnet. Da war noch der Tisch, an dem der Dichter gearbeitet, das Repositorium, in dessen Fächern die Tagebücher, Collectaneen und Manuscripte lagen, da waren noch die Stiegen für die Kanarienvögel, da hing eine Bleistiftzeichnung, Portrait Jean Paul’s aus seiner Jugend, da waren noch viele theure Reliquien, und ein Blick durch das Fenster fiel auf die dichte grüne Laube des Gartens, in welcher er so oft den Eingebungen seinen Genius gelauscht hatte, und flog weiter nach den lichtblauen Höhen des Fichtelgebirges.

Ein hoher Genuß war es, wenn die Legationsräthin Einen einlud, an ihrer Seite auf dem Sopha Platz zu nehmen, wenn sie vergangene Zeiten und Menschen heraufbeschwor oder irgend ein Thema aus der Geschichte des Tages herausnahm und mit ihrem klaren, sanften, wohltönenden Organ eine Unterhaltung darüber anknüpfte. Sie interessirte sich für alle Erscheinungen des Tages, sei es in Literatur oder Politik. Namentlich hatte sie das Jahr 1848 beschäftigt, und Verfasser konnte sich bei ihrer Furcht vor der Republik hin und wieder eines Lächelns nicht erwehren. „Die Republik,“ behauptete sie, „sei nur eine Staatsform für Branntweintrinker.“ Nach den Ideen und Kreisen, in denen sie sich bewegte, darf eine solche Aeußerung ebensowenig Wunder nehmen, als es unrecht wäre, zu glauben, daß die Vertreterin derselben eine gehorsame Dienerin ihres aristokratischen Umganges gewesen sei.

Wenn Aristokraten hochmüthig waren, und sie die Absicht merkte, war sie es noch mehr, trotz ihres bescheidenen, anspruchslosen Sinnes, der so weit ging, daß sie nie zu bewegen war, zu einem Portrait zu sitzen. So conservativ sie in politischen Dingen war, so freisinnig war sie in religiösen. Ihre religiösen Anschauungen wurzelten in dem seichten Rationalismus ihrer Jugendzeit. Sie halte denselben aber mit einem positiven, geistigen Inhalt zu vertiefen gewußt. Der Grün-Donnerstag war ihr Abendmahlstag. – „Ich nehme das Abendmahl nicht etwa in dem Glauben, daß ich damit den wahren Leib und das wahre Blut Christi erhalte, sondern daß ich durch Erneuerung dieser äußeren Form desto thätiger und wirksamer in der Liebe gegen meine Mitmenschen werde.“ – Bei ihrer Begeisterung für alles Edle war ihr jede Rohheit in Gesinnung oder That auf das Tiefste verhaßt. Es strahlte eine sittliche Würde von ihr aus, die glücklicherweise jede derartige Aeußerung von selbst von ihr ferne hielt. „Es ist ein schlechter Geschmack,“ lautet die Stelle eines ihrer Briefe, „Geschmack am Schlechten zu finden, und schon aus ästhetischem Gefühl sollte man immer gut sein.“ Dabei war ihre Redeweise immer fein und gewählt, und für das Gemeine in der Welt hatte sie keine Worte.

Bewundernswerth war ihr praktischer, ökonomischer Sinn, der dem Baireuther Publicum Anlaß zur Erfindung von allerhand kleinen Anekdoten gab. Die guten Leute konnten nicht begreifen, wie eine Frau, die eine nicht unbedeutende Pension und vielleicht ein Vermögen von 40,000 Thlr. besaß (35,000 Thlr. hatte Reimer in Berlin für das Verlagsrecht sämmtlicher Schriften bezahlt), wie diese mit fast kaum 300 Thalern jährlich sich begnügen konnte. Es ist wahr, daß sie ihre Gäste nicht eben lucullisch bewirthete, aber wer hätte das auch verlangt? Dafür war sie für ihre Familie das Bild werkthätiger, edler, nie ermüdender Liebe. Für ihre Familie strickte, nähte sie den ganzen Tag, für ihre Familie hätte sie selbst darben können, und dem Bitten und Drängen dieser Familie nachgebend, entschloß sie sich im Jahre 1850, Baireuth zu verlassen und nach München in das Haus Förster’s überzusiedeln. „Seit zwei Monaten,“ schrieb sie in einem Briefe aus München vom 25. Juli 1850, „bin ich nun mit aller Habe hier und, indem ich die Bedürfnisse und Wünsche aller Meinigen mit allen Sinnen wahrnehmen und belauschen kann, viel glücklicher, als in Baireuth. Freilich kann ich jetzt weniger mir selbst leben, allein befriedigter, beruhigter, indem ich für diese theuersten Gegenstände meiner Sorge und meiner Liebe das Möglichste zu thun in Nichts gehindert bin. Sie haben mich, entfernt von ihnen, nur immer für sie beschäftigt gesehen, beurtheilen Sie demnach die Aufgaben, die ich mir selber stellte, da ich ihnen nahe bin, und die Bedürfnisse von elf Menschen meinem Auge naheliegen. Auf Welt und Geselligkeit habe ich verzichtet, sogar die brieflichen Mittheilungen an entfernte Freunde und Bekannte sehe ich mich genöthigt zu beschränken, und möchte fast Jeden bitten, mich für todt zu halten, was ja auch so gut sein könnte und hoffentlich nicht mehr ferne sein wird.“

Ehe sie aber dieses Ziel erreichte, sollte ihr der bittre Kelch des Lebens und der Schmerzen noch einmal gereicht werden. Sie sollte noch am Sarge ihrer ältesten Tochter weinen, die im Anfang des Jahres 1853 starb. „Gott hatte dieses reine, nur Liebe ausströmende Herz viel lieber, als mich, und nahm sie, auf dem Höhepunkt ihres Lebens stehend, in seine Vaterarme auf. Bald ihr nachzufolgen, ist mein innigstes Gebet!“

So schrieb sie am Tage nach dem Scheiden dieser Tochter. Sie folgte ihr erst nach sieben Jahren, fast an demselben Tage, nach einem Leben voll Mühe und Liebe im dreiundachtzigsten Lebensjahre.

Georg Horn.


Pariser Bilder und Geschichten.
Von Sigmund Kolisch.
Mirès.

Der Gerichtspalast von Paris brachte in den ersten Tagen des Juli ein Drama zur Aufführung, welches ein grelles Licht auf die politisch-socialen Zustände des französischen Kaiserreichs wirft und einen Abgrund zeigt, der geeignet ist, nicht nur die zunächst betheiligte Gesellschaft, sondern die europäischen Völker sammt und sondern zu erschrecken und zu belehren.

Die Moral, welche aus diesem Drama schreit, lautet: „Wehe, tausendfach wehe der Nation, die in einem Anfall von feiger Angst ihre Kräfte hingiebt, einem Herrn, wie er auch geartet sei, die sich taub, blind und stumm machen läßt, damit sie nicht höre, was über ihr Schicksal berathen wird, nicht sehe, wie man die Fäden spinnt, an welchen sie gehalten und geführt wird, damit ihr kein Warnungs- und Schmerzensruf entfahre! Ohne Freiheit keine Sicherheit, ohne Freiheit der Presse keine Sicherheit der Person und des Eigenthums, keine Redlichkeit in der Verwaltung, keine Gesetzlichkeit, alle Interessen der Bürger der Willkür des Beamtenthums, den Uebervortheilungen jeder Art bloßgestellt. Die Entwürdigung und die Demoralisation werden allgemein, da Jeder sich gezwungen sieht, seine Ueberzeugung zu verbergen, zu verleugnen oder gar aufzugeben, wenn diese der Behörde, die Alles vermag, mißfällig sein könnte und ihm folglich nur zwischen Feigheit und Abtrünnigkeit die traurige Wahl bleibt.“ Das ist die Moral.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_552.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)