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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 34.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

„Sie übertrafen schon in der ersten Woche die Erwartungen, welche wir von Ihren kaufmännischen Leistungen gehegt hatten. Mr. Reichardt,“ begann Frost auf’s Neue, sich langsam über die Stirn streichend, „Sie gewannen sogar dem alten Bell Interesse ab, so wenig er es Ihnen auch damals wohl hat merken lassen; aber erst nach dem Spielabend im Astorhause, der mir, mit dem früheren zusammen, gewissermaßen ein vollendetes Bild von Ihnen gab, stieg der Wunsch in mir auf, Sie für längere Zeit an uns zu fesseln, und ein hingeworfenes Wort des alten Bell, daß er sich in Ihnen gern einen tüchtigen Nachfolger erzöge, zeigte mir den einzuschlagenden Weg; gestern aber trafen zwei Dinge zusammen, welche meinen Entschluß zur Reife brachten: Bell’s schon eine Zeit lang vorausgesehene, aber jetzt erst erfolgte Ernennung zum Cassirer der Marine-Bank, und die entschlossene, umsichtige Weise, in welcher Sie von dem Geschäfte einen schweren Verlust fern hielten. Ich beabsichtigte, Sie heute mit der interimistischen Führung des Cassirer-Amts zu betrauen, der ich nach kurzer Probezeit natürlich die Bestätigung hätte folgen lassen.“

Er hielt von Neuem inne, vor sich auf den Boden blickend, während Reichardt, bleich, die Lippen wie in einem schmerzlichen, aber festen Entschlusse auf einander gepreßt, das Auge auf seinem Gesichte haften ließ.

„Well, Sir,“ begann der alte Herr aufsehend wieder, und schien mit seinem Blicke jeden Zug in Reichardt’s Gesicht studiren zu wollen, „ich habe Ihnen das Alles gesagt, um Ihnen zu zeigen, wie weit ich in meiner Offenheit gegen Sie gehe, um Ihnen zugleich das Verhältniß, in welchem Sie zu meinem Hause stehen, klar zu machen. Sie wollen weg von uns, Sie haben das als Ihren unwiderruflichen Entschluß angekündigt, und bestehen Sie nach dem so eben Gehörten noch darauf, so werde ich Ihnen sicher nicht das Geringste in den Weg legen – – “ er machte eine Pause und blickte den vor ihm Sitzenden wie zu einer Aeußerung auffordernd an.

„Mr. Frost,“ erwiderte Reichardt, und strebte umsonst einen Druck, der auf seiner Stimme lastete, zu entfernen, „es hätte wahrlich nur der frühern Güte und Freundlichkeit bedurft, um mich hier zu halten, wenn eine Möglichkeit zu bleiben für mich vorhanden, wäre –“ er hielt inne und mußte sich mit Macht zwingen, Frost’s forschenden Blick auszuhalten. Eine leichte Falte legte sich jetzt zwischen die Augenbrauen des Letztern.

Very well,“ erwiderte er, „was ich aber verdient zu haben glaube, Mr. Reichardt, ist wenigstens die Angabe eines irgend plausiblen Grundes. Haben Sie nach meiner offenen Aussprache gegen Sie noch immer kein Vertrauen zu mir gewonnen, so werden Sie wenigstens einsehen, daß man ein Geschäft nicht so augenblicklich ohne Angabe einer Ursache verläßt –!“

Reichardt fühlte sein ganzes Innere zu dem Manne hingezogen, er fühlte sich weich werden, er hätte ihm mögen sein ganzes Herz ausschütten und dann ohne Abschied davon gehen; aber er bezwang sich. „Ich hatte es mir durch John als letzte Freundlichkeit erbeten, Mr. Frost,“ sagte er, „ohne weiter an mich gestellte Fragen gehen zu dürfen; ich weiß, daß ich mich der Verkennung dadurch aussetze, aber ich kann und darf es im Augenblicke nicht ändern –!“

Very well, Sir,“ erwiderte Frost, sich wie in leichtem Unmuthe erhebend, während Reichardt seinem Beispiele folgte, „ich, kann Sie nicht zwingen zu reden; indessen – trotz der Bestimmtheit Ihres Entschlusses will ich dies noch nicht als Ihr letztes Wort ansehen. Ueberlegen Sie bis heute Abend, und dann möge es Ihnen noch immer freistehen, mir die Cassenschlüssel abzuliefern oder in eigenem Verwahr zu behalten. Ich werde Sie nach dem Geschäftsschluß hier erwarten.“

„Ich werde zur Zeit hier sein, Sir! “ erwiderte der Deutsche, der nicht den Muth in sich fühlte, einem solchen Verfahren gegenüber kurz abzubrechen, sich leicht verneigend und wandte sich, von dem Andern einige Schritte geleitet, nach der Thür.

Wie ein Stein begann es sich auf Reichardt’s Brust zu legen, als er das Haus verlassen und der nächsten Eisenbahnlinie zuschritt. Er wußte, daß das Glück zum zweiten Male in seinen Weg getreten war, daß er nur die Hand ausstrecken durfte, um sich die Thür zu den besten Kreisen der Gesellschaft, zu einer erfolgreichen Carriere zu öffnen; daß, wenn er von sich stieß, was sich ihm jetzt bot, von Neuem ein haltloses Leben ohne Ziel und ohne eigentliche innere Befriedigung vor ihm stand – und doch schien es ihm jetzt mehr als je eine Unmöglichkeit, in seiner bisherigen Stellung zu bleiben. Was Harriet aus Laune oder einer Wallung ihres südlichen Blutes für ihn gethan, als sie ihn einer unwürdigen Lage entriß, das war von Margaret aus Erbarmen und Mitleid geschehen; in seiner jetzigen Stellung war er gewissermaßen ihr Geschöpf, und nur zu gut meinte er jetzt ihr heutiges Wesen verstehen zu können. Wie sollte er ihr gegenüber ausdauern, ohne sich selbst aufzureiben? Er mußte ja gehen! Was ihm aber die Ausführung seines Entschlusses am schwersten machte, das war die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_529.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)